Er spielt seit gut 40 Jahren mit den größten Bands im Rocksegment und hat so gut wie alle möglichen Allüren erlebt. Selbst blieb er dabei stets der stille und fleißige Arbeiter im Hintergrund. Morgen, am 25. August, feiert der gebürtige Nordire Vivian Campbell seinen 60. Geburtstag. Zum Ehrentag sprachen wir mit ihm über das neue Album seiner Band Def Leppard, wie man eine im Rockbusiness eine beständige Karriere schafft und warum Wettbewerb in der Musik ungesund ist.
Gitarrist Vivian Campbell war zeit seines Lebens zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Nordire begann seine Gitarristenkarriere schon als 15-Jähriger bei der NWoBHM-Band Sweet Savage, die sogar Metallica beeinflusste und ersetzte ab 1983 Jake E. Lee in der Band von Ex-Black-Sabbath-Sänger Ronnie James Dio. Gut drei Jahre lang war er ein essenzieller Teil der Band, bevor er 1987 nicht mehr den Lockrufen von Whitesnake widerstehen konnte. Eine Welttournee später überwarf er sich in der Casting-Band mit David Coverdale, gründete mit Foreigner-Sänger Lou Gramm die Band Shadow King, legte das Projekt aber nach nur einem Album auf Eis. Grund dafür - ab 1992 ersetzte Campbell den ein Jahr davor verstorbenen Steve Clark bei den Rock-Heroen Def Leppard. Dass er seither 30 Jahre, also exakt die Hälfte seines Lebens, ein wichtiger Bestandteil der Band bleiben würde, hätte er nach den ersten Karrierejahren wohl selbst nicht für möglich gehalten.
In den letzten Jahren hat sich Campbell auch solo ausgetobt, halft bei Thin Lizzy aus und gründete als Hommage an Dio sein Hard-Rock-Projekt Last In Line, aber das Engagement bei Def Leppard eröffnete ihm eine Beständigkeit in seiner Karriere als Musiker, die er bis dorthin nicht kannte. Heute ist Campbell das zweite Mal verheiratet, zweifacher Familienvater, lebt seit geraumer Zeit in New Hampshire an der US-Ostküste, hat zweimal einen Krebs besiegt und den Motorsport als seine zweite große Liebe entdeckt. Am 25. August feiert der Wundergitarrist seinen 60. Geburtstag. Wir haben mit ihm über das neue Def-Leppard-Album, seine große Karriere und die wichtigsten Lehren aus seinen vielen Stationen gesprochen.
„Krone“: Vivian, für das neue Def-Leppard-Album „Diamond Star Halos“ habt ihr euch aufgrund der Pandemie kein einziges Mal persönlich gesehen. Eine für euch völlig neue Art, ein Album einzuspielen…
Vivian Campbell: Def Leppard war noch nie eine traditionelle Band, wenn es um Musikschreiben und das Aufnehmen geht. Wir fünf müssen nicht unbedingt zur selben Zeit im Studio sein und selbst wenn wir es sind, arbeiten wir nicht immer zwingend zusammen. Wir können viel adaptieren, spielen nach Click-Tracks und wechseln uns gerne ab. Dieses Mal dachten wir, dass unser Skelett noch immer gut aussieht, aber wir neue Kleidung draufgeben müssten. Für mich war es ein doppelschneidiges Schwert. Einerseits hatte niemand von uns den großen Druck, der in einer Gemeinschaft herrscht. Andererseits hatte ich das erste Mal nicht nur den Musiker-, sondern auch den Produktionshut auf und das war hart. Ich bin technisch wahrscheinlich der begabteste in der Band und dann haben sie mir diese Verantwortung umgestülpt. Ich war 2020 auf eine große Tour eingestellt., doch dann kam Corona. Joe Elliott rief mich an und sagte mir, wir würden uns nicht wie üblich bei ihm in Irland treffen, aber trotzdem an einem neuen Album arbeiten, weil wir ja alle Zeit hätten. So hat jeder bei sich zuhause gearbeitet. Ich war anfangs davon überfordert, weil ich das nie gemacht habe.
Phil hat mir gesagt, er verwende das Programm Logic, das ich dann runtergeladen habe. Alle waren unheimlich kreativ und wir hatten schnell das Material für zwei Alben beisammen. Ich habe anfangs gesungen, weil ich ein gutes Mikrofon habe und habe mich dann am Telefon mit unserem Techniker Ronan in Dublin zusammentelefoniert, damit ich mit den Logic-Files auch zurechtkommen würde. Er hat mir alles so eingestellt, dass ich möglichst locker arbeiten konnte. Bei Def Leppard gibt es viele Stimmen, also habe ich auch viel gesungen. Dann ging es zur Gitarre, was mich nervöser machte als sonst, weil ich wieder mit der Software arbeiten musste. Als ich die Hürden der Technik übersprungen habe, lief alles wie von selbst. Ich habe mich monatelang tief in diese Materie reingearbeitet und wir haben bis Anfang 2021 extrem viel geschrieben. Dann war bald klar, auch in diesem Sommer wird es nichts mit einer großen Stadiontour und wir schrieben noch mehr Songs. Da entstanden die letzten Songs, wie eben die erste Single „Kick“.
Man hört dem Album gut die Geschichte und Historie von Def Leppard an, aber ihr habt trotzdem einen sehr frischen und modernen Zugang. Es wirkt fast so, als hättet ihr euch schon an eurer Diskografie orientiert, ohne aber zwanghaft zurückschauen zu wollen.
Zu den ersten Songs, die bei mir in der Dropbox landeten, gehörten Joes Piano-Balladen „Angels“ und „Goodbye For Good This Time“. Das klang sofort nach einem erwachsenen, ausgereiften Album mit dicken und großen Melodien. Ich dachte mir anfangs, dass da hoffentlich mehr Rock kommt, aber am Ende musste ich mir doch keine Sorgen machen. (lacht) Wir nennen Joe ja gerne Elton Joe, weil er sich gut am Piano anstellt, aber eben noch nicht Elton John ist. Es hat doch eine Zeit lang gedauert, bis er so gut wurde, wie er jetzt ist. (lacht)
Aber durch das Lernen der Technik und das Songschreiben sind die zwei Pandemiejahre bei euch schneller vergangen als für viele andere Leute. War das eine gute Sache in einer furchtbaren Zeit?
Ich bin nicht so tief in die Songs eintaucht, eher ein bisschen im Teich herumgeschwommen. (lacht) Ich meine damit die Technologie, mit der ich noch heute nicht ganz in Frieden arbeite. Es ist heute viel einfacher ein Album zu machen, weil du nur ein kleines Heimstudio dafür brauchst. Die Technik ist für mich eine eigene Kunstform. Echt gute Tontechniker sind unersetzbar. Sie können wahnsinnig viel Klang in wenig Platz gießen. Wenn ein Gitarrist mit 120 Spuren auf Pro Tools daherkommt, komprimieren sie alles auf geniale Art und Weise. Musikmachen und die Technik sind zwei ganz verschiedene Disziplinen. Ich habe mich gut in die technische Arbeit eingelesen und eingeübt, aber es ist nicht mein Steckenpferd. Ich hatte eine Scheidung und zog sogar innerhalb L.A. oft um, derzeit lebe ich an der Ostküste in New Hampshire. Ich hatte schon früher ein Heimstudio und konnte das Wichtigste erledigen. 2009 ließ ich mich scheiden und vieles landete in Schachteln, die ich dann nie mehr ausgepackt habe. Jetzt war es Zeit dafür und jeden Morgen gab es etwas Neues im Dropbox-Ordner.
Fühlst du dich an der US-Ostküste mittlerweile wohl und zuhause?
Ich wohne direkt am Wasser und in der Natur, es ist wundervoll. Es ist eine andere Art von „Wildlife“ als es früher war. (lacht) Ich habe mich in Los Angeles nie so ganz wohlgefühlt, obwohl ich den größten Teil meines Lebens dort verbracht habe. New Hampshire ist sehr entspannt und ich bin dort kreativ viel aktiver. Ich müsste nur endlich mal alle Kartons auspacken. (lacht)
Du bist seit genau 30 Jahren Phil Collens Gitarrenpartner bei Def Leppard - eine ziemlich lange Zeit. Ist eure Beziehung als Instrumentalisten der Band so eng wie nie zuvor?
Wir haben uns nie in einem Wettbewerb gesehen, wie das bei vielen anderen Rock-Bands mit mehr als einem Gitarristen der Fall ist. Bei Def Leppard wusste schon immer jedes einzelne Mitglied, dass er in erster Linie dem Song dient. Es geht nicht um die Fähigkeiten von uns einzelnen, sondern um das Produkt. Die Gitarrensoli sind immer strikt und wir ufern auch nie aus, weil es das bei uns nicht braucht. Das Solo muss den Song unterstützen, es darf nicht einfach da sein, um anzugeben. Wir wissen instinktiv bei jedem Lied, ob Phil oder ich der bessere Typ ist, um das Solo beizusteuern. Wir haben verschiedene Zugänge und spielen unterschiedlich - das gilt auch für die Stimmen hinter Joe als Hauptsänger. Ich bin normal der höhere Part im Refrain, Phil ist für die tieferen Stimmen zuständig. Da die High-Parts zunehmen, wurde meine Stimme in den letzten Jahren mehr ins Zentrum gesetzt, aber das passiert einfach, weil es dazupasst und darüber wird nicht lange diskutiert und schon gar nicht gestritten.
Ihr kommt auch extrem gut miteinander aus und seid immer noch eine Runde voller guter Freunde. Auch das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wie wichtig ist die Freundschaft zwischen euch?
Am Wichtigsten ist der Respekt. Wir sind Freunde und mögen uns, aber vor allem haben wir professionellen Respekt voreinander. Wir genehmigen uns genug Freiräume und jeder kann seine Stärken einbringen. Ein Bandleben besteht ja auch aus Frauen, Kindern und dem Privatleben, das zerstört sehr viele Bands. Bei Def Leppard respektieren wir aber nicht nur uns als Individuen, sondern auch das jeweilige Umfeld. Niemand ist wichtiger als der andere, wir sind eine Gruppe, in der jeder denselben Wert hat. Bevor ich vor 30 Jahren der Band beitrat, kannte ich nur Joe, weil wir Freunde waren. Er hat mir schon früher die Philosophie der Band erklärt und worum es hier geht. Def Leppard arbeitet sehr eigenständig. Ich kenne ja auch andere Bands wie Dio oder eine Version von Whitesnake.
Gerade bei Whitesnake wurdest du ja alles andere als glücklich. Du kennst auch die andere, absolut nicht friedliche Seite des Hard-Rock-Geschäfts auch sehr gut…
Ich kenne alle Seiten und bei Def Leppard ist das Ego Def Leppard. Es ist an keiner einzelnen Person verhaftet, die über allem steht. Das Kollektiv steht über allem und dient allem anderen.
Unlängst wart ihr mit Mötley Crüe auf der mehrfach verschobenen Stadiontour. Dort kann man auch nicht unbedingt von kleinen Egos und großem Teamwork sprechen…
Wir sind aber nicht mehr in den 80er-Jahren und sie sind auch keine jungen Hüpfer mehr. Sie müssen die Energie konservieren und aufpassen, wie sie sich verhalten. Rock’n’Roll ist keine Welt der Ausschweifung mehr, wir alle nehmen das Geschäft sehr ernst.
Wie hast du dich denn über die Jahre verändert und entwickelt? Was bedeutet dir der Rock’n’Roll heute?
Ich bin von Sternzeichen Jungfrau und daher ziemlich ausgeglichen. Mir ging es immer darum, die Dinge flach zu halten und alles von außen zu betrachten. Selbst in den 80ern, wo es wirklich wild zuging, war ich nie der große Trinker oder habe mich in Drogen verloren. Ich habe diese Exzesse so gut wie möglich abgelehnt. Mir war es immer wichtiger Gitarrist zu sein und nicht Rockstar. Ronnie James Dio hatte ein ähnliches Mindset wie ich und deshalb arbeiteten wir so gut zusammen. Ich war immer sehr fokussiert auf meine Arbeit. Ich habe viel geübt, war immer pünktlich und nüchtern - das hat Ronnie bei anderen auch anders kennengelernt. Für mich war diese Lebensweise aber sicher entscheidend, um diesen Erfolg zu haben. Dieser Ruf hat mich dann 1987 auch in die damalige Vision von Whitesnake gebracht. Das war nichts anderes als eine Casting-Band von Geffen Records, die eine Art Supergroup um David Coverdale gebildet hat. Wäre ich damals in der Gosse gelegen und hätte mir Nacht für Nacht Koks durch die Nase gezogen, hätten sie mich nie in die Band geholt. Man musste sich auf die Leute verlassen können. Party im Rock’n’Roll ist okay, aber wenn du eine Karriere daraus machen willst, dann kenne deine Grenzen.
Die Rock’n’Roll-Geschichte ist seit mehr als 50 Jahren voller grandioser Gitarristen und Einzelkönner. War das Spielen des Instruments für dich auch immer ein Wettbewerb oder hast du dich einfach nur auf dich konzentriert?
In den 80er-Jahren in Los Angeles zu sein bedeutete automatisch, dass man in einem Konkurrenzkampf war. Ich habe diesen Kampf nicht gesucht. Musik ist kein Sport. Du kannst nicht wie im Hochsprung die Latte messen oder einen Tennissatz gewinnen - Gitarrenfähigkeiten sind immer subjektiv und geschmacksabhängig. Shrapnel Records und Co. haben Ende der 80er-Jahre aber wirklich einen Wettkampf daraus gemacht. Ich habe das mitgekriegt, wollte mich aber nicht zu sehr hineinziehen lassen. Rein technisch gab es immer viel bessere Gitarristen und das hat mich eine Zeit lang frustriert. Ich bin als Blues-Gitarrist aufgewachsen und hatte keine Chance, mit den ganzen Shreddern mitzuhalten, davon musste ich mich erst befreien. Ich hatte immer ein schwieriges Verhältnis zu meiner eigenen Leistung. Die alten Dio-Alben habe ich mir jahrzehntelang nicht angehört, weil ich immer etwas daran auszusetzen hatte. Das hat sich erst später gelegt. Früher hat es mich davor geschaudert, aber heute kann ich verstehen, warum die Menschen diesen oder jenen Part von mir mögen. Ich bin einfach nicht gut im Wettbewerb. (lacht)
Würdest du Dinge in deiner Karriere mit dem Wissen von heute rückblickend anders gestalten? Dir Ratschläge zu Herzen nehmen, die du früher ignoriert hast?
Nimm die Dinge locker, denn du wirst nie perfekt sein. Als Jungfrau habe ich immer nach der Perfektion gesucht und das hat mich oft gestresst und verunsichert. Ich bin nicht perfekt, niemand ist perfekt und niemand wird je perfekt sein. Man soll natürlich versuchen immer 100 Prozent zu geben, aber manchmal ist es auch okay, wenn es nur 90 Prozent sind.
Ronnie James Dio, David Coverdale, Joe Elliott - drei grundverschiedene Personen, Musiker und Sänger. Herrscht da nicht auch ein großer Unterschied in punkto Zusammenarbeit?
Die Persönlichkeit von Sängern kann schon schwierig sein. Die Sänger stehen unter dem größten Druck. Die Stimme trägt einen Song und der Sänger steht immer am stärksten im Rampenlicht. Ich möchte nicht wie Joe im Rampenlicht stehen. Völlig egal, ob du aber ein Musiker bist, Versicherungsvertreter, Klempner oder Taxifahrer - am Ende des Tages musst du immer mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Viele Kids glauben heute, man könne alles alleine erreichen, aber wenn du sozial unverträglich bist, dann wird es sehr schwierig mit dem Erfolg. Du bist die ganze Zeit mit anderen Menschen unterwegs und hast mit ihnen zu tun. Ob privat oder beruflich, ob du willst oder nicht. Du musst mit ihnen klarkommen, das darf man nie unterschätzen. Mir war immer sehr klar, was ich werden wollte: Gitarrist in einer Rockband. Ich habe also extrem viel geübt und wenn mir jemand sagte, ich solle um 9 Uhr morgens auf der Matte stehen, war ich immer um 8.45 Uhr da. Wenn man mir sagte, der Sänger wäre ein Arschloch, dann gebe ich ihm einfach mehr Raum. Manchmal klappt es, manchmal eben nicht. Dio war der beste Sänger, den der Heavy Metal je sah, aber in der Zusammenarbeit war es mit ihm nicht leicht. War waren uns nicht immer einig und manchmal war es hart und irgendwann ging es einfach nicht mehr.
Bei jüngeren Menschen hat man aber schon das Gefühl, dass diese Fähigkeiten zurückgehen. Das liegt mitunter an der verstärkten digitalen, virtuellen Kommunikation, aber sicher auch daran, dass eine klassische Band heute für den Erfolg immer seltener notwendig ist.
Die Technologie verändert die Menschen komplett. Jeder lebt auf seinem Smartphone und die menschliche Interaktion zueinander geht zurück. Ich liebe aber meine Arbeit. Jeder Tag ist ein Geschenk und ich kann sogar die Jetlags schätzen, weil sie mich wieder wohin bringen. Ich werde jetzt 60, aber wir haben ein tolles neues Album, eine Sommer-Stadiontour in den USA, die ausverkauft ist und junge Menschen, die uns entdecken und zu den Gigs kommen. Das Leben ist schön und wir wissen das zu schätzen. Bei uns wacht morgens keiner auf und ist genervt davon, noch immer bei Def Leppard zu sein. Ganz im Gegenteil. Außerdem werden wir mit jedem Jahr als Musiker besser. Einzeln und in der Band. Das ist der Vorteil zum Sport. Es ist nicht mehr so leicht über die Bühne zu flitzen und die Knie krachen öfter, aber ich bin heute ein viel besserer Gitarrist als vor 30 Jahren. Bei Sportlern ist es irgendwann vorbei, der Zenit recht schnell erreicht. Wenn wir live spielen, dann habe ich noch immer Gänsehaut, wenn wir einen Harmoniegesang haben oder ein Gitarrenpart perfekt funktioniert. Das merke vielleicht nur ich, aber es gibt mir in diesem Moment alles.
Gibt es einen speziellen Def-Leppard-Song oder Songteil, den du über alle Maßen liebst?
Nach so vielen Jahren, wo man dieselben Songs immer und immer wieder spielt, wird es natürlich schwieriger, den Enthusiasmus aufrecht zu erhalten. Manchmal ist es langweilig, immer dieselben Songs zu spielen, aber sobald das Publikum jubelt, ist die Welt eine andere. Wir spielen einen Song vielleicht das 20.000 Mal, aber für ein paar im Publikum ist es das erste Mal und das spürt man. Wenn die Leute im Publikum jünger werden, was bei uns auch der Fall ist, dann kommt automatisch mehr Energie rüber, die wir absorbieren. Würden wir nur unsere vier Wände im Proberaum anspielen, dann könnten wir es auch bleiben lassen. Da wartet man doch nur auf die Mittagspause. Je mehr Leute zu einem Konzert kommen, umso größer spielt die Band. Def Leppard ist dazu geboren, in Stadien zu spielen - das war schon immer der Fall. Die Songs sind groß, die Show ist groß und das Stadion ist groß. Wir brauchen das.
Die Geschichte von Def Leppard ist voller Erfolge und Bestleistungen. Kommt da nicht ein gewisser Druck mit einher, wenn man sich wieder an neue Musik setzt?
Nein, absolut nicht. Es gibt keine großen Erwartungen mehr. Wir schreiben keine Alben mehr, um neue Hits zu fertigen, sondern wollen einfach das Beste machen, was wir zustande bringen. Für uns ist es eine Übung. Wir wollen immer vorangehen und machen die Alben in erster Linie für uns selbst. Wenn sie keiner mehr kauft, dann hören wir trotzdem nicht damit auf, neue Songs zu schreiben. Wir wissen aber auch, dass die Menschen auf einer Tour die ganz großen Hits hören wollen und wir vielleicht zwei bis drei neue Songs einbauen können. Das ist uns klar und absolut okay für uns. Wenn sich kein Mensch für ein neues Album interessiert, dann spielen wir eben nur die Hits und gar nichts neues. Wir haben das Glück, so viele Top-Hits zu haben, das muss man auch zu schätzen wissen. Ein paar Hardcore-Fans würden sicher gerne das ganze neue Album hören, aber das wird nie passieren. Wir suchen immer nach der richtigen Balance. Du kennst das selbst: neue Nummern einer Band sind meist ein Stimmungsbremser. Es ist leider so, aber es geht allen gleich damit.
Wenn man sich die großen Stadionbands heute so ansieht, dann ist der Rock noch lange nicht so tot, wie ihn manche oft sehen. Auch wenn es um das Genre schon mal besser bestellt war, aber war es in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre nicht wesentlich schlimmer als heute?
Ich weiß nicht, ob es damals schlimmer war, es war anders. Mitte der 90er-Jahre gab es noch MTV und VH1, auch Rockradios waren extrem populär. Die Infrastruktur war da, um die Songs den Menschen näher zu bringen. Grunge war ein paar Jahre davor aber so extrem groß, dass die pompösen Rockbands der 80er-Jahre damals so schief beäugt wurden, dass es ewig lange nachhallte. Die ganze Kultur hat sich gegen die klassischen Rockbands gestellt und blieb in der Haltung auch, nachdem der Grunge wieder abflachte. Die ganzen 90er waren für Rockbands unfassbar schwierig, aber am Ende des Jahrzehnts war es langsam wieder okay.
Im Endeffekt sind die Bands am besten aus dieser Krise hervorgegangen, die nicht den Trends gefolgt sind, sondern ihre Stärken durchgezogen haben. Auch wenn die Popularität nicht immer damit Schritt hielt. Wie eben Def Leppard.
Korrekt. Wir wussten immer, was wir können und worin wir gut waren. Wir haben zumindest immer versucht Trends zu vermeiden, aber ich würde uns auch nicht als Synonym für 80er-Rock sehen. „Adrenalize“ kam 1992 raus, als ich gerade frisch dabei war, und sogar das klang noch nach den 80ern. Wir waren damals viel in Japan, Australien und Europa unterwegs und 1992 war der Grunge nur in Nordamerika richtig groß. Als wir aber nach dieser Tour wieder nach Hause kamen, hatte sich absolut alles verändert. Wir mussten auch unsere Ideen rekalibrieren und überlegen, wie wir da weiter Schritt halten können. Aber wir haben zumindest immer versucht, einfach wir zu sein.
Die USA waren immer ein sehr guter Boden für Def Leppard. Schon früh in den 80er-Jahren, wo du nicht Teil der Band warst, gab es dort schon große Erfolge. Den Briten hat das gar nicht gefallen.
Amerika ist mit Abstand der größte Markt für uns - immer noch. Die englische Musikpresse hat Def Leppard den Ausverkauf vorgeworfen, weil sie nach Amerika gingen und dort den großen Durchbruch schafften. Da wurde sehr allergisch darauf reagiert. Man kann bis in alle Ewigkeit diskutieren, ob das gerechtfertigt war oder nicht.
Gibt es innerhalb und auch außerhalb von Def Leppard noch ein paar große Träume, die du dir gerne erfüllen möchtest?
Covid hat den Planeten in seinen Grundfesten erschüttert und ihn sicher auch verändert. Für mich persönlich war das gar nicht so schlimm. Ich saß viel im Auto und bin herumgefahren. Ich wurde zum Rallyefahrer und habe Bewerbe gefahren und mache damit auch weiter. Ich suche ein bisschen nach dem Thrill, aber Rallyes waren schon immer meine größte Leidenschaft neben der Musik. Es ist die beste Form des Motorsports. In Amerika fahre ich für die „ARA“ und war unlängst sogar schon mal am Podium. Ich fahre 2022 insgesamt fünf Bewerbe, das geht sich gut aus und macht mir richtig Spaß. Seit ich die Gitarre entdeckt und das erste Mal die Bühne betreten habe, ist das das Beste, was mir im Leben passiert ist. Ich hatte das Glück, schon in jungen Jahren vor Tausenden Menschen auf der Bühne stehen zu dürfen und bin daher nicht mehr nervös, wenn ich sie betrete. Natürlich kommt das Adrenalin in Schwung, aber ich habe mich gut im Griff. Ich habe gelernt, die Energie in das Performing zu stecken und beim Rallyefahren ist das nicht anders. Auch da tickt die Uhr, du musst schnell und präzise sein, aber ich kann das Adrenalin kontrollieren und gut in die Performance umsetzen. Schwer zu erklären, aber die Transition funktioniert zwischen Bühne und Auto.
Viele Menschen finden ihr Leben lang nicht einmal eine wirklich große Leidenschaft - du hast gleich zwei für dich entdeckt.
Cool oder? Die Gitarre war natürlich immer ganz vorne. Ich war neun Jahre alt, als ich Marc Bolan von T.Rex im Fernsehen sah. Ich wollte unbedingt eine Les Paul spielen und lange Haare haben und darauf habe ich hingearbeitet. Als ich bei Dio gefeuert wurde und es auch bei Whitesnake nicht so gut lief, habe ich etwas an Motivation verloren. Dann versucht man einen immer in Schubladen zu stecken, aber ich sehe das grundanders. Man muss immer der inneren Muse folgen und das machen, was einem gut vorkommt. Ich habe in L.A. meine Passion verloren, aber als ich 2010/2011 bei Thin Lizzy mitmachte, kam der Spaß der frühen Tage wieder. Mit Scott Gorham auf der Bühne zu stehen und „Black Rose“ zu spielen hat sich so angefühlt, als wäre ich wieder ein Kind. Als Scott mich damals an Bord holte, ging ein Traum in Erfüllung und alles war wieder so wie damals. Das war dann der Grund, dass ich Vinnie Appice und Jimmy Bain anrief, um Last In Line zu gründen. Ich hatte plötzlich wieder richtig Lust und Leidenschaft. Auch bei Def Leppard hatte ich immer eine gute Zeit, weil ich meine Leistung jeden Abend steigern möchte. Mir geht es sehr gut, ich hätte gar keinen Platz mehr für mehr Hobbys in meinem Leben.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.