Schatten-Netzwerke

USA: Neue Initiative im Kampf gegen Internetzensur

Ausland
13.06.2011 08:21
Die Obama-Administration führt weltweite Bemühungen an, sogenannte Schatten-Internet- und -Mobilfunk-Systeme zu errichten. So sollen Dissidenten künftig u.a. "Internet aus dem Koffer" nutzen können, um Versuche repressiver Regierungen zu untergraben, sie durch Zensur bzw. die Abschaltung von Telekommunikationssystemen zum Schweigen zu bringen. Eine politische Strategie zur Destabilisierung autokratischer Staaten will aber auch Außenministerin Hillary Clinton - gewichtigste Unterstützerin der neuen Initiative - nicht erkennen.

Anhand zahlreicher Interviews, Dokumenten und als geheim eingestufter diplomatischer Meldungen konnte sich die "New York Times" einen Überblick über die weitreichenden Pläne verschaffen. Die breitgestreuten Bemühungen der Obama-Administration würden sich laut den Unterlagen, die der Zeitung vorliegen, in unterschiedlichen Dimensionen bewegen und sich bis Ende 2011 auf rund 70 Millionen Dollar belaufen. Finanziert mit einer Zwei-Millionen-Dollar-Förderung des US-Außenministeriums soll etwa ein "Koffer-Internet" künftig über Grenzen geschafft und schnell aktiviert werden können, um über ein weites Gebiet kabellose Kommunikation und eine Verbindung zum Internet zu ermöglichen.

Regiergungskontrollierte Netzwerke umgehen
Das Koffer-Internet stützt sich dabei auf eine Version der sogenannten Mesh-Netzwerk-Technologie (auch Ad-Hoc-Technologie genannt), mittels derer mobile Geräte wie Handys oder Computer so umfunktioniert werden können, dass ein unsichtbares Wireless-Netz ohne zentralen Hub geschaffen werden kann. Eine Stimme, ein Bild oder ein E-Mail können somit direkt zwischen den modifizierten Wireless-Geräten hin und her geschickt werden – wobei jedes Gerät zugleich als eine Art Sendemast in Miniaturform und als Telefon funktioniert – und das offizielle Netzwerk somit umgangen werden.

Inhalt des trügerisch harmlos wirkenden Koffers: kleine Wireless-Antennen, die das Abdeckungsgebiet erweitern; ein Laptop zur Verwaltung des Systems; mobile Speichermedien- und CD-Laufwerke, um für die Verbreitung der Software auf weitere Geräte zu sorgen und Kommunikation zu verschlüsseln; sowie weitere Komponenten wie z.B. Ethernet-Anschlüsse.

Entwickler warnen indessen vor den Nachteilen von unabhängigen Netzwerken. Repressive Regierungen könnten diese überwachen, um Aktivisten zu lokalisieren und festzunehmen. Andere wiederum glauben daran, dass die Risiken durch die möglichen Auswirkungen mehr als wettgemacht werden würden.

"Wir sind dabei, eine unabhängige Infrastruktur zu schaffen, bei der es beinahe unmöglich sein wird, Technologie auszuschalten, zu kontrollieren und zu überwachen", ist Sascha Meinrath überzeugt. Er leitet das Koffer-Internet-Projekt als Direktor der Open-Technology-Initiative innerhalb der unabhängigen Forschungsgruppe New America Foundation. Als Konsequenz würden zentrale Autoritäten daran gehindert werden, das fundamentale Menschenrecht auf Kommunikation zu beschneiden, so Meinrath.

"Schatten-Mobilfunk" in Afghanistan
Neben dem Koffer-Internet finanziert das US-Außenministerium z.B. auch die Entwicklung eines verdeckten Wireless-Netzwerks, das Aktivisten in Ländern wie dem Iran, Syrien und Libyen die Kommunikation außerhalb der Reichweite ihrer Regierung ermögliche, erklären Teilnehmer der Projekte gegenüber der "New York Times". Zu den ambitioniertesten Projekten zählt laut Beamten der US-Regierung die Schaffung eines unabhängigen "Schatten-Mobilfunknetzwerks" in Afghanistan.

Das Außenministerium und das Pentagon dürften in den letzten Jahren bereits mehr als 50 Millionen Dollar in die Entwicklung gesteckt haben. Über das Projekt ist wenig bekannt, aber es soll dabei auf die Sendemasten innerhalb der geschützten US-Militärbasen zurückgegriffen werden. Es stelle einen Ausgleich zur Fähigkeit der Taliban dar, die offiziellen afghanischen Mobilfunk-Dienste angreifen und abschalten zu können, so Regierungsbeamte.

Außenministerium als Speerspitze der Initiative
In die Bemühungen der Amerikaner dürfte heuer Bewegung gekommen sein, nachdem der ägyptische Präsident Hosni Mubarak das Internet in seinem Land in den letzten Tagen seiner Amtszeit ausgeschaltet hatte. Auch die syrische Regierung legte jüngst das Internet in einem Großteil des Landes lahm, um Protesten entgegenzuwirken.

Eine Vorkämpferin hat die neue US-Initiative in Außenministerin Hillary Clinton gefunden, deren Ministerium die Speerspitze der Bemühungen auf amerikanischer Seite darstellt: "Wir sehen immer mehr Menschen rund um den Globus, die Internet, Mobiltelefone und andere Technologien verwenden, um sich bei ihren Protesten gegen Ungerechtigkeit Gehör zu verschaffen und ihre Hoffnungen zu realisieren", antwortete Clinton per E-Mail auf eine Anfrage der "New York Times" in Zusammenhang mit dem Thema.

Scheinheilige USA?
Aber auch wenn sich Clinton das Thema Internet-Freiheit auf ihre Fahnen geschrieben hat, bleibt das Außenministerium vorsichtig. So sollen die Maßnahmen als Unterstützung von Redefreiheit und Menschenrechten verstanden werden, und nicht etwa als Strategie zur Destabilisierung autokratischer Regierungen.

Eine Unterscheidung, die aber schwierig aufrechtzuerhalten sein wird, wie ein Assistenzprofessor der Universität von New York, der sich in seinen Studien mit Internet und Social-Media befasst, einwirft. Die USA könnten sich dadurch selbst Vorwürfen der Scheinheiligkeit preisgeben, sollten sie weiterhin autokratische Regierungen wie z.B. in Saudi-Arabien oder Bahrain unterstützen und zugleich Technologien entwickeln, welche just die Autorität dieser Regierungen untergraben.

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