Taxi-Geschichten

Fremdenführer im Mietwagen: Zwischen Wien und Wein

Wien ist leiwand
18.02.2022 16:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

„Eigentlich kenne ich mich in Salzburg und in Linz besser aus als in Wien“. Wenn man neben der Mariahilfer Straße in ein Uber (oder in diesem Fall in ein Bolt) steigt, dann hört man einen solchen Satz wahrscheinlich weniger gerne. Aber wie so oft im Leben geht es um den richtigen Zusammenhang und das genaue Zuhören. Markus, so der Name meines Fahrers, redet nämlich nicht von seiner Profession als Mietwagenfahrer, sondern vom Fremdenführerdasein. Das Taxifahren war schon immer ein wichtiger Nebenerwerb, wenn der Tourismus in den kühlen Monaten des Jahres deutlich nachgelassen hat. In Pandemiezeiten ist es für den Mittdreißiger sogar überlebensnotwendig. „In Salzburg hast du auch im Winter viele Touristen. Hier in Wien nicht. Und jetzt sind es halt noch weniger als früher.“

Fehlende Orientierung kann ich Markus nicht vorwerfen. Auch ohne sich die Nase auf seinem Handy-Navi plattzudrücken, findet er den Weg vom 6. in den 13. Wiener Gemeindebezirk ohne große Mühe. „Ah, die Versorgungsheimstraße“, platzt es mitten in Hietzing aus ihm heraus, „die war bei der Taxischeinprüfung ein neuralgischer Punkt.“ Prüfungen hat Markus in den letzten Jahren zuhauf hinter sich gebracht. Kein Wunder, dass er seinen Elektro-Prius derart tiefenentspannt über den Asphalt gleiten lässt. Und die eingangs erwähnten Orientierungsmängel haben nichts mit der Geografie, sondern viel mehr mit Geschichte zu tun. In seiner Funktion als Fremdenführer ist ihm Wien einfach noch nicht so gut in Fleisch und Blut übergegangen, wiewohl die Historie dieser Stadt in der Praxis überschätzt werden würde.

„Die Leute wollen lustige Anekdoten hören. Ein bisschen Sisi und Franz und vielleicht etwas über besondere kulturelle Eigenheiten. Aber keiner will belehrt werden oder in historischen Fakten untergehen.“ Ich ordne Markus‘ Akzent fälschlicherweise in Niedersachsen ein, er stammt aber aus Nordrhein-Westfalen. Touristisch gäbe Österreich wesentlich mehr her als Deutschland, über die weiteren Gründe seines Umzugs schweigt er sich aus. Wien ist ihm aufgrund seiner Größe nicht unbedingt ein Rätsel, doch mit den anderen Städten kam er leichter zurecht. Markus bietet seine Dienste aber auch über die Grenzen hinaus an. Bratislava, Budapest oder Prag stehen auf seiner Liste. Man kann mit ihm per Auto einen Tagesausflug machen und sich die jeweilige Stadt erklären lassen.

Ein paar Geschichten zu erzählen und dann die Hand aufzuhalten, das geht in Österreich nicht so leicht. „Als Fremdenführer musst du eine Ausbildung abschließen, die rund 5000 Euro kostet. Die Durchfallquote liegt um die 80 Prozent.“ Im Land der Bürokratie ist natürlich auch der Passus des Fremdenführers geregelt, doch es gibt Möglichkeiten, sich der Ochsentour zu entziehen. „Ich und viele Kolleginnen haben die Ausbildung dann in Eisenstadt gemacht. Im Burgenland gibt es viele Kirchen, viel Wein und man braucht etwas Ungarnwissen, aber die Strapazen halten sich in Grenzen.“ Alle 13 Auszubildende seines Kurses waren aus Wien und bekamen am Ende die Fremdenführerbefähigung für ganz Österreich. „Die Kosten sind gleich hoch wie in Wien, aber man kommt wesentlich leichter durch. Das einzige Manko war, dass die Ausbildner längst nicht die Qualität hatten, die in Wien herrschte.“

Mit den radikalen Öffnungsschritten steigen auch für Markus die Chancen auf mehr Aufträge. Nach einem sehr zähen Winter im Mietwagengewerbe wäre das auch wichtig. Ob er in Wien nun angekommen ist, das weiß er nicht so ganz. „Ich lasse mich eher treiben und denke nicht viel darüber nach. Mir haben alle Städte gut gefallen und momentan ist es hier für mich ganz in Ordnung.“ Die anfänglichen Sorgen waren freilich unbegründet und Markus bringt mich sicher und schnell ans Ziel. Der nächste Auftrag steckt schon in der Pipeline. Keine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen. Aber die Normalität kämpft sich langsam überall zurück.

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