Beintastler und Co.

Es kreucht und fleucht gewaltig im “Ökosystem Wien”

Wien
28.03.2011 14:09
Städte sind attraktiv. Sie ziehen aber nicht nur Menschen, sondern auch Pflanzen und Tiere an. "Dem meist gestressten Städter entgeht in der Regel, dass es da an allen möglichen und unmöglichen Ecken der Stadt keimt und wächst, kreucht und fleucht, ja dass selbst die Stein-, Asphalt- und Betonwüste im dicht verbauten Gebiet sehr lebendig ist", schreiben die Biologen Roland Berger und Friedrich Ehrendorfer.

Die beiden Herausgeber des kürzlich erschienenen Sammelbands "Ökosystem Wien - die Naturgeschichte einer Stadt" beleuchten darin auf 744 Seiten die überraschend vielfältige Tier- und Pflanzenwelt, die unterschiedlichen Landschaften und Ökosysteme einer Großstadt.

Eine Voraussetzung für diese Wiener Vielfalt ist einmal die Tatsache, dass mehr als die Hälfte des Wiener Stadtgebiets mit Grünflächen bedeckt ist. Zudem liegt die Stadt am Übergang der Alpen zur pannonischen Tiefebene - und damit in zwei völlig verschiedenen Klimazonen mit ihrer entsprechend unterschiedlichen Pflanzen- und Tierwelt. Das ermöglicht zahllose unterschiedliche Lebensräume, "die wiederum die Basis für eine Artenmannigfaltigkeit von Pflanzen, Pilzen und Tieren ist, wie man sie in einer Großstadt nicht vermutet", so die Herausgeber. So findet sich auf einem halben Prozent der österreichischen Landesfläche mehr als die Hälfte aller hierzulande vorkommenden Arten.

Fakten zehn Jahre lang akribisch gesammelt
Als Spiegel der ökologischen Vielfalt der Stadt birgt auch das Buch zahlreiche ökologische Überraschungen und Details, auch wenn sich die zehnjährige Arbeit an dem Band bisweilen durch alte Daten bemerkbar macht - etwa bei den Studienergebnissen über die natürlichen und menschlich bedingten Stoffflüsse aus dem Jahr 1995, die nur das Interesse wecken, wie sich der Stoffwechsel der Stadt seit den 1990er Jahren wohl geändert hat. Im Folgenden eine kleine Auswahl an Fakten aus dem Buch:

Klimawandel: Seit den 1870er Jahren hat in Wien die vegetationsaktive Zeit (mehr als fünf Grad Celsius) von 240 auf mehr als 270 Tagen zugenommen. Gleichzeitig hat der klimabedingte Heizbedarf um rund zehn Prozent in den vergangenen 20 Jahren abgenommen.

Wiener Boden: Wien gilt als Welthauptstadt der Beintastler (Proturen). Rund 750 Arten dieser Gliederfüßer wurden seit Entdeckung dieser Bodenbewohner zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit beschrieben, 58 davon findet man in Österreich, 45 in Wien. "Sechs Prozent der globalen Fauna in einer einzigen Stadt .... man wird (...) lange suchen müssen, um irgendwo auf der Welt Beintastler in höherer Artendichte zu finden", heißt es in dem Buch.

Aliens: Von den rund 2.200 Farn- und Blütenpflanzen Wiens sind 1.520 Arten heimisch oder alteingebürgert (Archäophyten). Rund 130 Arten gelten als etablierte Neophyten, also sozusagen "Zuagraste", und knapp 500 weitere als "Unbeständige", die es nicht schaffen, sich in der neuen Umgebung wirklich einzubürgern.

Ausgestorben: In Wien gelten 170 Arten der Farn- und Samenpflanzen, das sind rund acht Prozent der gesamten Flora der Stadt, als innerhalb der vergangenen 150 Jahre ausgestorben oder verschollen und etwa ein Drittel aller Arten als in unterschiedlichem Maße gefährdet.

Biodiversität: Von den 34 in Österreich vorkommenden Lurch- und Kriechtierarten gibt es 28 bw. 82 Prozent auch in Wien. Dagegen finden sich von den 479 verschiedenen Arten an Schnecken und Muscheln, die in Österreich registriert wurden, nur 185 bzw. 39 Prozent in der Bundeshauptstadt.

Rarität: Die "wahrscheinlich seltenste Baumart in Österreich" findet sich im Wienerwald, wo der Speierling "Sorbus domestica" auch unter den Namen "Arschitzenbaum" oder "Arschützenbaum" bekannt ist. Die Früchte, in Wien als "Arschitzen" bekannt, wurden früher als Obst geschätzt.

Biotop: In Wien finden sich nicht nur Flachmoore - übrigens erst seit kurzem in den Donauauen - und verschiedene Trockenbiotope, sondern auch bemerkenswerte anthropogene städtische Biotope: So bietet das Gelände des seit dem Zweiten Weltkrieg stillgelegten Frachtenbahnhofs Breitenlee Wiens reichhaltigste "Bahnhofsflora".

Alleen: Über 2.000 bepflanzte Straßenzeilen gibt es in Wien, aneinandergereiht würden die Wiener Stadtalleen bis Zürich reichen.

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