„Ein jüdisches Leben“

Das filmische Vermächtnis des Marko Feingold

Medien
01.10.2021 15:02

Er hat seine Familie durch die Nazigräuel verloren, selbst vier Konzentrationslager überlebt und später jahrelang Vorträge über seine Erlebnisse gehalten: Nun ist der 2019 106-jährig verstorbene Zeitzeuge Marko Feingold noch einmal als Kämpfer gegen das Vergessen und Mahner vor dem Wiedererstarken antidemokratischer Strömungen zu sehen. In dem Dokumentarfilm „Ein jüdisches Leben“ (ab 1.10. im Kino) erzählt er seine Geschichte - und schweigt dann, wenn Worte nicht ausreichen.

Feingold - geboren 1913 in Besztercebánya in der heutigen Slowakei und aufgewachsen in der Wiener Leopoldstadt - ist 105 Jahre alt, als ihn die Regisseure Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer interviewen. Sie selbst bleiben stumm, ihre Fragen sind nicht zu hören. Zu Wort kommt lediglich ihr Gesprächspartner. Feingold sitzt auf einem Stuhl und spricht vor schwarzem Hintergrund direkt zum Zuschauer. Die Kamera ist sehr nahe an ihm dran, zeigt uns - meist in frontalen Close-ups, dazwischen im Profil - ein Gesicht, in dem ein mehr als 100-jähriges Leben seine unübersehbaren Spuren hinterlassen hat.

„Wahrscheinlich hält mich der Zorn am Leben“
Lediglich einige historische Archivaufnahmen ergänzen den Monolog. Dass dieser Film auch Mahnung sein will, wird nicht zuletzt dann klar, als immer wieder Auszüge aus Hassbriefen an Feingold - er war ab 1979 und bis kurz vor seinem Tod Präsident der Israelitischen Kulturgemeinde Salzburg - eingeblendet werden.
Weniger verbittert als wütend wirkt dieser alte Mann. „Wahrscheinlich hält mich der Zorn am Leben“, sagt er in die Kamera. Und dieser Zorn blitzt immer wieder durch, wenn Feingold auf die über viele Jahrzehnte hochgehaltene Opferthese Österreichs („kein Wort wahr“), die nachlässige Entnazifizierung („einer hat den anderen entschuldigt“) und die Anfeindungen von Politik und Bevölkerung nach der Rückkehr aus dem KZ zu sprechen kommt.

„Ich bin heute 105 Jahre alt und immer noch am Leben, obwohl ich in meinem Leben schon viele Male gestorben bin“, sagt er zu Beginn des knapp zweistündigen Streifens. Schon der Beginn dieses Lebens ist angesichts der Nöte des Ersten Weltkriegs nicht einfach. Eine seiner ersten Kindheitserinnerungen sei die an den Hunger, sagt Feingold - eine von vielen Qualen, die ihn drei Jahrzehnte später im Konzentrationslager wieder ereilen sollte.

Das schlichte Setting, die intimen Nahaufnahmen, die Schwarz-Weiß-Ästhetik, der unkommentierte Monolog - mit diesem filmischen Oral-History-Konzept hat das Regieteam des Wiener blackbox-Kollektivs bereits den ersten Teil seiner auf mehrere Teile angelegten Zeitzeugenreihe inszeniert: Für „Ein deutsches Leben“ (2017), das auch ins Rennen um die Doku-Oscars geschickt wurde, holten sie die einstige und inzwischen ebenfalls verstorbene Sekretärin von Joseph Goebbels, Brunhilde Pomsel, vor die Linse und gewährten auf diese Weise einen befremdlichen Einblick in die Seele einer betont unpolitischen Mitläuferin.

Feindgold erlebte das entfesselte Grauen hautnah
Mit dem Nachfolgeprojekt ändert sich die Perspektive um 180 Grad. Feingold, ein lebenslustiger junger Mann, den nach eigenem Bekunden der Tanz und das „Sexvergnügen“ mehr interessierten als die Schule und der trotz seiner traditionellen jüdischen Erziehung die Burenwurst der koscheren Kost vorzog, kam 1938 als erfolgreicher Handelsreisender aus Italien zur Erledigung bürokratischer Notwendigkeiten zurück nach Wien und erfuhr das spätestens mit dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland von den Nationalsozialisten entfesselte Grauen hautnah. „Die Menschen sind innerhalb von zwei, drei Stunden andere geworden“, meint Feingold.

Willy Mernyi vom Mauthausen Komitee Österreich, das schon bei der Herstellung des Filmes involviert war, über Feingold und den Film: „Marko Feingold war eine Persönlichkeit, die nicht nur gegen das Vergessen und das Verdrängen ankämpfte, sondern immer den Blick auf die Gegenwart richtete und sich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus gestellt hat“. Er habe dies „nicht nur mit einer unglaublichen Energie, sondern mit einem Wortwitz, mit dem er sich in die Herzen - speziell der jungen Menschen - redete“, getan, so Mernyi. Feingold „setzte immer auf Verständigung und berichtete über sein Leben ohne Hass und trotz allem Schrecken mit viel Humor“, sagt Danielle Spera, Direktorin Jüdisches Museum Wien.

Van der Bellen: Ein Zeitzeuge, der für ‘Niemals wieder‘ alles gegeben hat“
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen findet klare Worte über den Zeitzeugen Feingold: „Ein Überlebender, der für das Anliegen ‘Niemals wieder‘ alles gegeben hat. Dank seines Engagements bleibt die Erinnerung an die NS-Zeit für die Nachwelt erhalten. Mit schonungsloser Offenheit erzählte er Zeit seines Lebens unermüdlich von seinem Leben und den Verbrechen des NS-Regimes. Und genau das tut nun auch der Film“, so Van der Bellen.

„So werden seine Erzählungen mit einer Vielzahl von Interviews und Ausschnitten aus Dokumentationen selbst zu einem wertvollen Zeitdokument und Vermächtnis. Durch diese historische Aufarbeitung der schrecklichen Vergangenheit können wir mit offenen Augen in die Zukunft steuern. In eine Zukunft, in der weder Hass, noch Gewalt, noch Ausgrenzung, Verachtung und Hetze einen Platz haben“, so der Bundespräsident über den Film.

Kinostart von „Ein jüdische Leben“: 1.10.

Am 4. Oktober findet zudem ein Special Screening: „Verschwinden der Zeitzeugen“ - gemeinsam mit der IKG im Wiener Stadtkino statt. Und am 17. Oktober lädt das Mauthausen Komitee zu „FILM & GESPRÄCH - Die rechtsextreme Szene im neuen “Gewand" - ebenfalls ins Wiener Stadtkino.

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