Interview & EP

Mariybu: Neues Selbstverständnis im Deutschrap

Musik
20.09.2021 06:00

Mit dem Label 365XX im Rücken startet eine feministische Revolution im von Sexismus durchsetzten Deutschrap. An der Spitze einer neuer und selbstbewussten Generation Rapperinnen steht die Hamburgerin Mariybu, die auf ihrer neuen EP „Bitchtalk“ zu Empowerment und Selbstakzeptanz aufruft. Im Interview in Wien gibt uns die sympathische Künstlerin nähere Einblicke in ihr Tun.

(Bild: kmm)

Anfang 2020 begann im Deutschrap eine neue Zeitrechnung. Die umtriebige und auf vielen Hochzeiten tanzende Lina Burghausen aka Mona Lina gründet das All-Female-Label 365XX Records und signt seitdem ausschließlich weibliche Acts, die mit unterschiedlichen Herangehensweisen und musikalischer Vielfältigkeit gegen das Patriarchat und die viel zu sexualisierten dicken Hosen ankämpfen. Nicht erst die medial leidlich ausgeschlachtete Debatte um #deutschrapmetoo hat in den letzten Wochen eindrucksvoll gezeigt, dass bornierter Sexismus nun auch im allerletzten Winkel der Popmusik wahrgenommen wird. Denn gerade im Deutschrap, wo es von Kool Savas über Kollegah bis hin zu Shindy nur um „Bitches“, „Hoes“ und Unterdrückung geht, werden seit jeher gerne beide Augen fest zugekniffen. Davon haben Künstlerinnen genug. Sei es die mit vielen Vorschusslorbeeren gehypte Die P, Yetundey oder Skuff Barbie - im queerfeministischen Rap deutscher Prägung lässt man sich nichts mehr gefallen, sondern geht selbst in die Offensive. Mit Mut und Empowerment.

Durchstarterin
Das neueste Rap-Pferd im jungen Label-Stall ist die Hamburgerin Mariybu, die unlängst beim Waves Vienna im Beisl des Wiener WUK für Begeisterung sorgte. Sie trat erstmals 2018 in Erscheinung, als sie sich von einem Gig der emanzipierten deutschen Rapperin Finna mitreißen ließ und danach selbst aktiv wurde. Ganz ihrer Generation verpflichtet, bringt sie sich ihre Skills beim Produzieren mitunter via YouTube-Tutorials bei, tritt bei Demos und in schäbigen Hamburger Clubs auf und verbindet sich mit der Rapperin Wiki Riot zum Duo Girrrlitas, wird Teil des feministischen Kollektivs Fe.male Treasure und dreht auch solo gewaltig auf. War ihre Debüt-EP „Depressionen“ noch ein Fall für die schnüffelnden Underground-Szeneschweine, sorgt ihr 365XX-Einstand „Bitchtalk“ nun breitenwirksamer für Furore. Für die sympathische Norddeutsche war die Unterschrift beim PIAS-Spartenlabel Gold wert, wie sie uns beim Interview in Wien erzählt. „Wir denken ähnlich und verstehen uns bestens. Das Label bringt mich in der Außenwahrnehmung auf die nächste Stufe.“

„Bitchtalk“ und „Depressionen“ verbindet trotz der musikalischen Entwicklung weit mehr, als man anfangs vermuten mag. Beide EPs sind ehrlich, authentisch und tiefgehend. Beide beziehen ihre inhaltlichen Inspirationen aus eigenen Erfahrungen oder solchen, die im direkten Umfeld gemacht werden. Beide sollen aufrütteln, helfen, Augen öffnen. „Die Musik an sich begann bei mir aus einem Leidensdruck“, blickt Mariybu auf ihre Anfänge zurück, „ich wollte einfach auf die Kacke hauen und etwas sagen. Das, was ich fühle, verpacke ich in Texte und manchmal kommt etwas raus, was ziemlich deep ist.“ Ideen für Songs können überall entstehen. Beim Spazierengehen, beim Busfahren, in einer Partynacht. Mariybu macht vermeintliche Schwächen zu Stärken, zeigt sich offen und verletztlich und ist gerade deshalb so greifbar für ihre Hörerinnen, die die Schnauze vom prolligen Alpha-Gepose der alten Deutschrap-Legenden voll haben. „Immer hart sein zu müssen macht keinen Bock. Die Entwicklung im Deutschrap ist gerade gut und ich habe das Gefühl, dass das auch im Mainstream immer besser ankommt. Es gibt derzeit viel weibliches Empowerment, das im Hip-Hop vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen wäre.“

Freiheit für die Kunst
Songs wie „Toxic“ und „Alles gut“ beschäftigen sich mit Missbrauch, sexualisierter Gewalt und patriarchaler Unterdrückung. Im mit dicken Technobeats geleiteten „Zu viel“ zeigt sich Mariybu auch von einer positiven und eher lebensbejahenden Seite - natürlich nicht, ohne auch dort eine gehörige Portion Kritik zu verpacken. „Es wird Zeit, dass Deutschrap auch ohne Sexismus funktioniert. Der Ursprung des Hip-Hop ist ja überhaupt nicht sexistisch, deshalb finde ich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte so komisch. In diesem Genre kommt er klarer heraus, weil die Texte direkt und unmittelbar sind, aber das Problem ist ja stilübergreifend.“ Mariybu macht noch immer Erfahrungen, bei denen Festivalbesucher ganz verwundert ob einer weiblichen Rapperin reagieren. Das Bewusstsein für feministischen Rap wächst, aber doch ziemlich langsam. Doch sollte die Kunst nicht immer frei sein, auch wenn sie sexistisch anmutet? „Natürlich und ich würde auch niemandem etwas verbieten. Man sollte sich als Rapper aber hinterfragen, ob es so toll ist, in den Texten immer nach unten zu treten. Mir wäre das viel zu einfach und schwach.“

„Bitchtalk“ ist nicht nur ein persönliches, sondern durchaus auch ein gesellschaftspolitisches Statement, denn eigene Erfahrungen gehen Hand in Hand mit Verfehlungen, die weit über das eigene Dasein hinausreichen. Dass Mariybu damit die Sorgen und Nöte einer ganzen Generation trifft, sieht sie als Ansporn, um weiterzumachen. „Wenn ich gutes Feedback bekomme und merke, dass ich anderen mit meinen Songs helfen kann, ist das natürlich schön. Ich spreche sehr gerne für eine Gruppe, würde mir aber nicht anmaßen zu sagen, dass das immer der Fall sein muss.“ Die queerfeministische Rapszene in Hamburg sei mittlerweile so groß, dass man sie kaum noch überblicken könne, erklärt die Künstlerin mit durchaus freudigem Stolz. „Vorreiterinnen waren aber andere. Sookee oder Lumaraa, die mussten für ihr Standing und für die Szene wirklich hart kämpfen. Doch als Frau muss man sich im Hip-Hop-Game noch immer beweisen. Immer wieder fragen mich Typen bei Gigs, ob ich eine Backgroundsängerin bin oder warum ich so angepisst dreinschaue. Wird das ein Mann jemals gefragt?“

Neues Selbstverständnis
Vorbilder und Inspirationen für Mariybus smoothe Tracks gibt es zuhauf. Haszcara, Die P, die Wienerin Keke oder Sookee sieht Mariybu als wichtigste Inspirationen, die Wiener Szene rund um Ebow und Co. empfindet sie als „genial“. Frei nach dem Motto „Macker, packt eure Eier ein!“ sieht sich die Hamburgerin erst am Anfang einer florierenden Karriere, die innen und außen auf inkludierende Werte und Nachhaltigkeit aufgebaut ist. Ein Album kann sich Mariybu trotz des singlebasierten Marktes sehr gut vorstellen. „Ich würde mich gerne einmal zwei bis drei Monate hinsetzen, konzentriert an einem Thema arbeiten und schauen, was dabei rauskommt. ,Bitchtalk‘ ist ja auch eine zusammenhängende Geschichte aus einem geschlossenen Zeitraum. Anders könnte ich gar nicht arbeiten.“ Bleibt noch eine wichtige Frage - würde Mariybu mit einem sexistischen deutschen Rapper eine Zusammenarbeit wagen? „Es kommt immer darauf an, wie sich derjenige dazu positioniert hat, ob er sich öffentlich entschuldigte oder wie er heute dazu steht. Es müsste aber schon eine sehr coole Person sein, damit ich das überhaupt andenken würde.“ „Bitchtalk“ und der Auftritt beim Waves beweisen eindrucksvoll, dass es locker ohne Männer geht. Ein neues Selbstverständnis, das der gesamten Szene guttut.

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