„Krone“-Interview

James Harries: „Die Zeiten sind gut für Popmusik“

Musik
02.08.2021 06:00

Als der in Prag lebende Brite James Harries Anfang Juni im Wiener Haus der Musik konzertierte, war die Livekultur noch frisch und limitiert. Der Singer/Songwriter hat kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie seine Liebe zur Zugänglichkeit und zum Pop gefunden und versucht, das unglückliche Timing noch wettzumachen. Außerdem verriet er uns seine weiteren Zukunftspläne.

(Bild: kmm)

Akribisch und leidenschaftlich arbeitet der Brite James Harries an seinem neuen Studioalbum. Er schiebt seine ansonsten omnipräsente Akustikgitarre in den hintersten Winkel des Studios und beginnt zu experimentieren und seinen Sound breiter zu gestalten. Er hat sich jahrelang als Singer/Songwriter mit viel Gespür für Melancholie profiliert, aber auch immer wieder mal den großen Zeh in Soul-, Jazz- und Pop-Gewässer gehalten. Doch dieses Mal geht der in Prag wohnhafte Vollblutmusiker „all in“. „Superstition“ wird sein poppigstes, kommerziellstes und womöglich auch zugänglichstes Album. Doch das feine Werk erscheint im Februar 2020 und obwohl es gut anläuft und die Songs von diversen europäischen Radiostationen gut übernommen werden, vernichtet die Corona-Pandemie sämtliche Pläne, mit dem Werk durchzustarten.

Nicht das erste Mal hat Harries in seiner Karriere Pech mit dem richtigen Timing, doch davon lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Als er im Juni im Wiener Haus der Musik als einer der ersten internationalen Musiker über die Landesgrenzen zu uns hereinschwappt, kann er nicht nur auf ein loyales, sondern auch begeistertes Publikum bauen. Das Album „Superstition“ und nicht auch zuletzt die brandneue Single „Slow Mover“ erklingen leichtfüßig und sommerlich und könnten ein neues Karrierekapitel zeitigen. Aber Vorsicht, denn so einfach lässt sich ein James Harries nicht an einem Stil festnageln. Das beweisen schon erste Ausblicke in seine nähere Kompositionszukunft, die nur wenig mit dem Pop-Appeal seines aktuellen Werkes gemein haben. Die wichtigste Prämisse: aufgegeben wird nur ein Brief.

„Krone“: James, schön dich hier in Wien zu sehen. Als du im Juni im Haus der Musik aufgetreten bist, warst du einer der ganz wenigen internationalen Künstler, die auf Tour waren.
James Harries: Tour konnte man das nicht nennen, der Wien-Gig war eine einmalige Sache. Am Tag davor habe ich in Prag für die weißrussische Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja ein Konzert gespielt. Das war eine ziemlich kraftvolle Erfahrung. Es waren weißrussische Studenten zu Gast, Musiker, die aus ihrer Heimat ins tschechische Exil geflohen sind und weitere interessierte Leute. Sie ist eine wundervolle Frau, vor der ich großen Respekt habe. Sie hat sich mit den weißrussischen Exilanten wundervoll unterhalten und aus ihr geht so viel Kraft hervor. Es waren so viele Leute da wie früher bei Musikfestivals. Es gab einen Soundcheck, einen Backstage-Bereich und viele Menschen - ich habe das richtiggehend vermisst. (lacht) Ich war 15 Minuten vor dem Soundcheck da und sie haben mich immer weiter vertröstet und gefragt, ob mich das stören würde. Absolut nicht. (lacht) In Zeiten wie diesen nimmt man das alles gerne in Kauf. Ungefähr 1000 Leute haben das Konzert besucht und das war ein Wahnsinn. Ich habe einige sehr kleine Soloshows gespielt, aber da war alles extrem limitiert. Da waren oft nur 70 Leute und im Vergleich dazu war dieses Gefühl jetzt wieder gewaltig. Die Kultur kehrt langsam zurück und ich bin so froh, dass ich über die Grenze nach Österreich kam.

Was offenbar ja nicht ganz so leicht war.
In Tschechien sind die Inzidenzzahlen derzeit richtig gut, aber in Europa gibt es massive Unterschiede. Die Kontrollen waren einfach sehr gut mit all den Papieren, Pässen etc. - das hat mich fast an die guten alten Zeiten erinnert. (lacht) Die Jüngeren wissen ja gar nicht mehr, dass es in Europa auch mal Grenzkontrollen gab. Irgendwie ist das derzeit einfach abenteuerlich. Ich will mich nicht beschweren, ich bin glücklich, dass ich in anderen Ländern spielen kann. Meine letzte Europatour endete vor Weihnachten 2019 in Deutschland und im Februar 2020 habe ich mein Album „Superstition“ veröffentlicht. Da gingen sich acht Konzerte aus und dann wurde die Welt geschlossen. Und jetzt saß ich hier, bei einer guten Melange und einem Wiener Schnitzel. Danach ging es wieder zurück nach Prag, um an einem Film zu arbeiten. Ich arbeite erstmals am Soundtrack für einen Weihnachtsfilm, der Ende November seine Premiere feiert. Es ist gar nicht so einfach, bei der Hitzewelle aus dem Fenster zu schauen und Weihnachtssongs zu schreiben, das kannst du mir glauben. (lacht) Es ist ein bisschen seltsam, aber auch spannend und großartig. Ich habe mir einige Projekte aufgebürdet, weil ich nicht damit rechnete, dass ich diesen Sommer live spielen kann. Nach ein paar Monaten der erzwungenen Untätigkeit sprudelt jetzt alles auf mich ein. Ein schönes, aber auch anstrengendes Gefühl.

Wie bist du in den letzten eineinhalb Jahren klargekommen?
Es war nicht leicht, gerade weil mein Album so kurz davor rauskam. In den ersten eineinhalb Monaten war ich wie paralysiert. Ich dachte, die Welt würde untergehen und ich könnte niemals mehr wieder auf einer Bühne stehen. Was sollte ich denn sonst machen? Ich war wirklich verzweifelt. Ich habe dann langsam wieder angefangen Songs zu komponieren, mich mit Leuten zu treffen und im Sommer, nach dem ersten Lockdown, wieder etwas zu machen. Ich war viel spazieren und habe die Stadt ganz neu kennengelernt. Ich habe dann ein paar Songs für eine französische TV-Serie gemacht, ein paar kleine Film- und TV-Aufträge kamen rein und eine tschechische Sängerin wollte einen Song von mir geschrieben haben. Ein paar Monate lang war es mir nicht möglich, überhaupt zu schreiben, aber irgendwann hat es geklickt und ich fand wieder in die Spur zurück. Das muss so im September gewesen sein und seitdem habe ich quasi durchgeschrieben. Ich habe 36 Orchesterbegleitungen und etwa neun Songs verfasst. Ich habe auch ein sehr pures Lo-Fi-Soloalbum aufgenommen, das derzeit nur für mich existiert. Nach dieser anfänglichen Paralyse ging alles wie von selbst.

Wirst du diese Songs oder dieses Album auch veröffentlichen?
Ein paar davon wahrscheinlich schon. Es gibt einen brandneuen Song namens „Slow Mover“. Den habe ich bewusst ausgekoppelt, weil er sehr fröhlich und lebensbejahend klingt. All die anderen Nummern sind eher melancholisch und langsam ausgefallen. Es sind eher folkige Stücke, sehr viel Piano, Akustikgitarren und Streicher. Für das nächste Album sollte ich eher auf eine Tour warten, die auch garantiert klappen könnte. Die Songs sind anders als alles andere. Eher für jene, die an Schlaflosigkeit leiden und um 3 Uhr morgens ein Radio aufdrehen. (lacht) Es ist noch nicht absehbar, wann alles wieder in normale Bahnen gelenkt wird, aber vorher macht ein Release keinen Sinn. Vielleicht geht es ja schon im Oktober und dann kommt gleich das Weihnachtsalbum drauf. Es ist vielleicht nicht so klug, mehrere Alben in einem Jahr zu veröffentlichen. (lacht) Auch wenn „Superstition“ schon fast eineinhalb Jahre draußen ist, ist das Album für mich wie neu. Ich hatte ja keine Chance, damit auf Tour zu gehen.

Das Gefühl muss unglaublich hart sein. Ein Album zu veröffentlichen, das auf Anklang stößt und dann geht es unter, weil die Welt wortwörtlich zusperren musste. Ist es für dich ein verlorenes Album?
Das hoffe ich nicht. Ich spiele das ganze Album zumindest bei den wenigen Gigs, die jetzt möglich sind. Eure Radiostationen Antenne Steiermark und Antenne Kärnten haben einen Song von mir gespielt, was mich sehr gefreut hat. Der Song war jetzt nicht in Dauerrotation, aber es war schön. Vielleicht ist das Album aber auch wirklich verloren? Wer weiß das schon so genau.

„Superstition“ bedeutet ja Aberglaube und abergläubisch scheinen viele Menschen zu sein, wenn es um die Themengebiete Virus, Pandemie und Impfung geht. Ist das Album im Nachhinein prophetischer ausgefallen als du je gedacht hast?
(lacht) In der Rückschau kann man alles Mögliche reininterpretieren, das ist natürlich klar. Ich versuchte jedenfalls bewusst, eine gute Stimmung zu verbreiten. Der Vorgänger war ein sehr akustisches Live-Album, das eher getragen war. Ich wollte mehr Schwung reinbringen und mehr Pop machen, ohne meine Fans komplett zu verschrecken. Ich hatte großen Spaß mit meinen Kumpels, „Superstition“ so poppig zu gestalten.

Deine Fans sind doch schon allerhand gewohnt, denn du hast dich über die Jahre immer gerne gewandelt.
Das schon, ja. Bei meinen Konzerten kommen im Schnitt etwa 200 Leute und da muss man schon darauf achten, sie nicht zu verprellen. (lacht) Ich bin bislang immer sehr gut mit den Stilwechseln durchgekommen, aber natürlich muss man mich auch wiedererkennen.

Was war denn für dich der Grund, mit „Superstition“ viel mehr Richtung Pop zu gehen? Außerdem ist es bekannt, dass es kaum etwas Härteres gibt, als eingängige Popsongs zu schreiben.
Man muss natürlich aufpassen, wenn man seine Zehen in das Popwasser hält. Es gab einmal eine Zeit, da wurde Popmusik wirklich als eine Art „einfache, simple Kunstform“ betrachtet. Den Wert eines guten Popsongs weiß man noch immer zu wenig zu schätzen. Es ist eine unheimliche Leistung, eine gute Hook zu haben und einen Ohrwurm zu fabrizieren, das wird noch immer viel zu stark unterbewertet. Ich wollte bewusst in die Pop-Richtung gehen, weil es für mich eine Herausforderung war. Wir haben auch mit Synthesizern herumgespielt und diese Art von analogen Synthies mit modernen Produktionstechniken vermengt. Nach vier Alben mit Piano und Akustikgitarren wollte ich bewusst etwas anderes machen. Meine einzige Richtlinie war, keine Akustikgitarre zu verwenden. Einmal wurde ich fast schwach, aber ich habe es durchgezogen. (lacht) Ich habe auch bewusst mehr Pop gehört und finde, die heutige Zeit ist eine großartige für Pop-Songs. Allein schon die vorletzte Billie-Eilish-Single „Your Power“ war fantastisch. Es gibt derzeit so viele großartige Künstlerinnen und Künstler. Wir leben in einer wirklich guten Ära für Popmusik.

Hat der Musikgeschmack deiner eigenen Kinder dadurch einen Einfluss auf deine Kunst gehabt?
Das wäre gut möglich. Sie bringen mich jedenfalls dazu, andere Sachen zu hören.

Hast du dich bei der Arbeit zu „Superstition“ verliebt in die Richtung, opulentere und cinematischere Soundflächen zu erschaffen?
Vor zwei Alben bin ich in diese Richtung gegangen und habe meinen Sound sehr orchestral und filmisch umgesetzt. Ich hatte schon immer die Tendenz, in diese Richtung zu gehen, aber meist scheiterte das Vorhaben am begrenzten Budget. Ich würde gerne einmal was mit den Wiener Philharmonikern aufnehmen, aber da mangelt es am Geld. (lacht) Ich nahm mir für „Superstition“ viel Zeit. Es gab keine Eile und wir haben sehr old-fashioned gearbeitet. Ab ins Studio, Songs schreiben, einspielen und aufnehmen. Den Song „Lights“ habe ich mit einem Freund an einem Tag geschrieben und aufgenommen. Es kam einfach aus uns raus und hat so unendlich viel Spaß gemacht. Wir haben uns jeden Mittwoch von 9 bis 14 Uhr getroffen, um einen Song zu schreiben. Er hat kleine Kinder, deshalb diese für Künstler unübliche Zeit. (lacht) Natürlich haben wir das nicht jede Woche in dem Zeitfenster geschafft, aber wir haben uns was vorgenommen, um aktiv zu bleiben. Wir machten uns aber keine Deadline, ich hatte zu der Zeit auch kein Label, das stresste. Ich habe mir meine Zeit genommen und das war ein sehr befreiendes Gefühl.

Ist die neue Single „Slow Mover“ denn nicht auch schon ein Vorbote für das nächste Album?
Ich habe wirklich keine Ahnung. Vor allem, weil ich nicht so viele fröhliche Songs in petto habe. Aber es ist auf jeden Fall ein Vorbote für dieses Weihnachtsalbum. (lacht) Das kann ich zumindest garantieren. Es kann aber schon sein, dass dann innerhalb sehr kurzer Zeit drei Alben erscheinen. Es gibt rundum so viele Songs…

Wie lange lebst du eigentlich schon in Tschechien?
Seit 2000. Es war die klassische Geschichte. Ich war für ein paar Konzerte dort, habe eine Frau getroffen, blieb dort, heiratete und bekam mit ihr Kinder. (lacht) Ich stamme ja eigentlich aus Manchester.

Hattest du eigentlich die Chance, während der letzten Monate einmal nach Hause zu fahren, um deine Familie und alte Freunde zu besuchen?
Das war nicht möglich. Meine Schwester hat geheiratet und ich hatte keine Chance, nach England zu reisen. Ich war seit fast zwei Jahren nicht mehr dort und möchte diesen Sommer ins Land. Selbst wenn du schon doppelt geimpft bist, musst du dort in Quarantäne. Soll ich fünf oder zehn Tage im Haus meiner Eltern leben und dann auch noch für zwei PCR-Tests bezahlen, die nicht billig sind? Es zahlt sich zurzeit einfach nicht aus.

Bist du über deine Wahlheimat Tschechien auch glücklich, weil das Reisen in und aus Großbritannien auch aufgrund des Brexit künftig schwierig werden könnte?
Vor Corona war das meine größte Sorge. Wer konnte als gebürtiger Brite schon denken, es könne noch schlimmer kommen. (lacht) Ich habe viele Interviews dazu gegeben und bin wirklich bestürzt. Die ganze Entscheidung war verrückt und für kleinere Künstler wäre das der Tod. Aber auch wenn du vom europäischen Festland nach Großbritannien möchtest, hast du nur Probleme. Wenn du ein österreichischer Zirkus oder ein Orchester bist, dann musst du für ein paar Konzerte oder Shows in Quarantäne und außerdem hast du noch Visa-Probleme. Da muss sich einfach etwas ändern. Es ist eine Schande, was da gerade allgemein passiert.

Du wurdest von den Medien über die Jahre mit so unterschiedlichen Künstlern wie Oasis, Ryan Adams oder Tim Buckley verglichen. Wem fühlst du dich selbst musikalisch am nächsten?
Ich habe keine Ahnung, wirklich nicht. Ich habe mittlerweile knapp zehn Alben rausgebracht und sie klingen alle sehr anders. Bis zu einem gewissen Grad habe ich mir damit vielleicht selbst ins Knie geschossen, weil es dadurch umso schwieriger ist, mir zu folgen. Jetzt, wo ich älter und weiser bin, sehe ich, dass ich vielleicht eher bei einem Stil hätte bleiben sollen. (lacht) Aber Spaß beiseite - spannender und interessanter ist das Musizieren natürlich, wenn man sich nicht wiederholt. Ich habe aber keine Lust, mich mit jemandem zu vergleichen, der so viel erfolgreicher ist als ich. Das wäre doch absurd. Ich könnte jetzt Bob Dylan nennen, weil er sich auch immer veränderte und seinen Sound stets neu adaptierte.

Bereust du das manchmal wirklich, dass du deinen Sound vielleicht oft ein bisschen zu stark vom Ursprungsgedanken abgeändert hast?
Nicht wirklich. Ich bereue so einige Dinge, die ich gemacht oder nicht gemacht habe, aber das gehört nicht dazu. Jetzt habe ich mit „Superstition“ vor einem guten Jahr das erste Mal ein kommerziell ausgerichtetes Album veröffentlicht und dann kollabiert die ganze Welt. (lacht) 2005 habe ich ein Album veröffentlicht und da gab es ein großes TV-Event in England. Jools Holland war da und die BBC hat die Sendung produziert. An diesem Tag, dem 7. Juli, gab es aber die Terroranschläge in den U-Bahnen und natürlich wurde sofort alles unwichtig. Ich war so aufgeregt, hätte dort spielen sollen und wusste, dass das ein wichtiger Schritt für meine Karriere werden könnte. Dann war die Chance weg, ein Label sprang ab und das Album verschwand quasi. Ich bereue nichts davon, aber ich bin niemand, der viel Glück mit dem richtigen Timing hatte. Ich bin aber immer noch hier, genieße die Musik und freue mich darüber, dass so viele Leute meine Musik hören und sehen wollen. Ich sehe meine Karriere trotz allem als großen Erfolg und was alles hätte passieren können, das ist ein Gedankenspiel, das keinem hilft.

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