Album & Interview

Svaba Ortak: Rap-Reporter von den Straßen Wiens

Musik
01.07.2021 06:00

Mit seinem Debütalbum „Eva & Adam“ erreicht der Wiener Rapper Svaba Ortak vor zwei Jahren Platz vier der Albumcharts - mit seinem neuen Werk „Atlas oder Nada“ soll nun der Sprung an die Spitze gelingen. Im ausführlichen Interview erzählt uns der 28-Jährige von seinem neuen Werk, warum er strikt gegen Zensur im Rap ist und wieso Wien im Genre gewaltigen Aufholbedarf hat.

(Bild: kmm)

187 Straßenbande, Apache 207, zuletzt auch RAF Camora - die Liste der Deutschrapper, die sich Interviews für gewöhnlich so gut wie möglich verweigern ist endlos lang. Nicht so bei Svaba Ortak. Doch der Landstraßer mit serbischen, bosnischen und montenegrinischen Wurzeln, der zu den allerheißesten Aktien der Wiener Rap-Szene gehört, hat sich auch einige Jahre geziert. „Es ist einfach eine Art, um sich hinter der Musik zu verstecken“, erzählt er der „Krone“ euphorisch im markanten Slang, „so kann man die Person dahinter nicht so genau kennenlernen. Bei Interviews können Sachen rausrutschen, die die Leute da draußen vielleicht nicht normal finden, aber ich habe damit kein Problem.“ Svaba Ortak heißt eigentlich Pavle Komatina, ist 28 Jahre alt und eroberte mit seinem Sony-Majorlabel-Debüt „Eva & Adam“ vor zwei Jahren Platz vier der Albumcharts. Das Debüt kam spät, denn Svaba ist schon seit einem Jahrzehnt ein Aushängeschild der heimischen Szene.

Panoptikum der Themen
Als Teil des Eastblok-Kollektivs begeisterte er mit schweißtreibenden Shows, bevor er es für ein paar Jahre nach Frankfurt ging, wo er mit Szenegrößen wie Olexesh, der 187 Straßenbande oder Schwester Ewa kooperierte. Vor gut fünf Jahren kam die Rückkehr nach Wien, das akribische Arbeiten an seinem Debüt, erste breite Erfolge und nun der heiß ersehnte Nachfolger „Atlas oder Nada“ - quasi alles oder nix. „Ich bin wie ein Reporter von der Straße und weise gerne auf Sachen hin.“ Den Song „Bullets“ etwa hat er aus der Sicht einer Patronenkugel geschrieben, um aufzuzeigen, wie die Rüstungsindustrie die Welt zerstört. In der Mitte des Albums befindet sich eine Liebeslied-Trilogie, die sich anhand des Schicksals von unterschiedlichen Frauen um die Themenbereiche Kennenlernen, Fehlgeburt, Streit und Trennung samt folgender Vergebung drehen. Ein buntes Panoptikum unterschiedlichster Themen, die seine Geschichten, Geschichten von anderen Menschen und die gesellschaftlichen Umbrüche beleuchten.

„Immer nur auf dicke Hose zu machen ist falsch“, erklärt er uns gestenreich, „ich bin gleich wie jeder andere, deshalb können sich die Menschen auch so gut mit meiner Musik identifizieren. Jeder Rapper muss aber definitiv eine Führungsqualität haben, um den Zuhörer mitnehmen zu können.“ „Atlas oder Nada“ fällt auch musikalisch bunt aus. Sehr viel Autotune, Latino-Beats, Balkan-Samples und 80er-Miami-Sounds finden sich in den wohl durchdachten Tracks. Sofiane, PNL oder YL aus der französischen Ecke haben Svaba Ortak zum frischen Klang besonders inspiriert. „Und dann haben wir in alter Wiener Manier über die Beats drübergestampft“, lacht er, „ich muss in meinen Songs etwas erzählen. Mit Texten über Designerklamotten fange ich nichts an. Die Songs der Rapper werden immer kürzer, weil sie immer weniger zu sagen haben. Das ist bei mir nicht der Fall.“

Frei nach Gefühl
Einem Song wie „Himmel“ hört man dafür an, wie sehr Svaba Ortak zwischenzeitlich mit sich haderte. „Als ich diesen Song schrieb, wollte ich mit der Musik gerade aufhören. Das war vor etwa zwei Jahren, nach der Veröffentlichung von ,Eva & Adam‘. Ich war nicht ganz zufrieden mit der Resonanz und hatte auch einige private Tiefs zu überstehen. Natürlich war das Album mit Platz vier in den Charts ein großer Erfolg, aber ich will immer mehr. Nicht umsonst heißt einer meiner Songs ,Für immer hungrig‘.“ Wie auch „Atlas oder Nada“ gut anzuhören, kennt Ortak keine Grenzen. Er rappt und produziert nach Gefühl und Interesse, Kalkül sucht man bei ihm vergeblich, wodurch sich aber auch Fragen auftun. Etwa, wie man die Frau durch die Umdrehung des Albumtitels „Eva & Adam“ über den Mann stellen kann, auf dem Song „Idemo“ beispielsweise aber trotzdem eine Zeile wie „…sie gehen auf Huren und ich lass blasen im Bett“ parken kann. „Eine Hure verlangt für den Sex Geld, eine Frau nicht. Das muss man schon unterscheiden.“

Svaba Ortak erzählt gerne aus seiner Vergangenheit, von seiner geliebten Familie und den Schicksalen der in Wien wohnhaften Gastarbeiter. Dass da manchmal offensive Provokation mitschwingen kann, ist freilich gewollt. „Ich weiß aber immer, warum ich provoziere und kann meine Standpunkte vertreten, die ich aufwerfe. Ich sage, was ich denke. Das ist auch außerhalb der Songs und Beats so. Ein Wortgefecht mit mir kann ungemütlich sein, weil es immer rough und rau ist. Aber das ist ja auch die Grundlage für Diskussionen. Wir tauschen unsere Meinungen aus und finden irgendwann einen Punkt.“ Ortak rappt aber keinesfalls um der Provokation willen. „Diese Zeiten hatte ich auch mal, aber man entwickelt sich weiter. Man muss aber hinterfragen, warum ein Rapper gewisse Dinge rappt. Das ist die Welt, in der er lebt und die er reflektiert. Jeder Künstler ist seines eigenen Glückes Schmied und wenn der richtige Weg für ihn offene Provokation ist, dann ist das eben so.“

Strikt gegen Zensur
Dass Rap mit seinen oft sexistischen, gewaltverherrlichenden oder xenophoben Inhalten für die vielen jungen Hörer problematisch sein kann, lässt Svaba so nicht gelten. „Junge Menschen können nicht unterscheiden, ob etwas ernst gemeint ist oder nicht. Ich habe diese Phase mit solchen Songs auch erlebt und aus mir ist gar kein so schlechter Mensch geworden. Man kann aus einem Kind keinen Erwachsenen machen. Ich habe als Elternteil die Pflicht zu wissen, wie sich mein Kind verhält und was es auf seinem Handy hört oder sieht. Wenn ich einen gesunden Menschenverstand habe, dann kann ich die Musik cool finden und gewisse Texte verachten.“ Svaba Ortak stößt vor allem das omnipräsente Thema Zensur sauer auf. „Ich bin absolut dagegen. Zensur ist ein no go. Hätten alle all das getan, was unsere Rap-Idole uns vermitteln, dann würde die Welt nicht mehr stehen. Ich verbiete dir ja auch nicht das zu schreiben, was du schreiben willst.“

Im Juni beschuldigte eine Frau den deutschen Rapper Samra, ihn vergewaltigt zu haben. Sein Label Universal Music setzte die Zusammenarbeit bis auf Weiteres aus, stellte sich bewusst gegen gewaltverherrlichende Texte und andere Künstlerinnen und Künstler haben aus dieser Diskussion heraus begonnen, Songs bzw. einzelne Textzeilen abzuändern oder gar nicht erst zu veröffentlichen. Im Deutschrap findet eine Zäsur statt, die Ortak nur bedingt mitträgt. „Ich befürworte Vergewaltiger, Pädophile und Kinderschänder natürlich nicht, aber ich würde es auch nicht befürworten, wenn man mich in einen Topf mit denen schmeißt, nur weil ich meine Musik so mache, wie ich sie für richtig halte. Warum sollte ich meine Lieder zensieren, nur weil sich ein anderer Künstler nicht unter Kontrolle hat? Ganz simpel wäre es, die Musik nicht zu zensieren, sondern sie dann einfach nicht zu hören. Es gibt die Polizei und die Gerichte, um jemanden wegen Fehlverhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Wer aber die Musik zu ernst nimmt, der hat selbst ein Problem.“

Auf geht’s Wien
Ein Problem verortet Svaba Ortak auch im Selbstvertrauen der Wiener Rapszene. „Es gibt hier leider keinen, der Wien so repräsentiert, wie es sich gehört. Die Leute hier sind viel zu ignorant und empfangen immer alle mit verschränkten Armen. Die ganze Musikindustrie interessiert sich nicht für Rap und er wird in dieser Stadt frühestens in zehn Jahren explodieren. Wir Wiener sind halt anders. Wir sind eigenständig. Hier gibt es so viele starke Rapper und unentdeckte Talente. Wenn man diese Perlen in die richtigen Hände legen würde, dann könnte die gut existierende Szene längst den Durchbruch schaffen.“ Vielleicht ist es Svaba Ortak selbst, der mit seinem starken, vielseitigen und grundehrlichen Zweitwerk „Atlas oder Nada“ zum Rap-Repräsentant einer viel zu unauffälligen Szene wird. „In dieser Hinsicht ist die Musikindustrie hier leider ein Trauerspiel. Muss man erst sterben, um zu leben, so wie bei Falco?“ Hoffentlich nicht. Und Svaba Ortak hat es mitunter selbst in der Hand.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele