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KW 16 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
24.04.2021 06:00

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!

(Bild: kmm)

Alfa Mist - Bring Backs
Eigentlich kommt Alfa Mist aus dem Hip-Hop- und Grime-Bereich, aber als der junge Mann in seiner East Londoner Heimat das erste Mal mit den magischen Trompetenklängen des großen Miles Davis in Berührung kam, veränderte sich seine Sichtweise auf Musik radikal. Der Jazz zog in sein Leben und hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Auf seinem vierten Album „Bring Backs“ taucht der Brite wieder tief in schöne Klangwelten ein, zersetzt sie mit Soul- und R&B-Referenzen und verhindert damit das Vorurteil, ein bloßer Kopist seiner großen Idole zu sein. Thundercat oder Anderson .Paak sind hier gleichsam zu verorten und geben dem Dargebotenen eine feine Mischung aus Nostalgie und zeitgemäßer Instrumentierung. Wundervoll ausgeführt. 7,5/10 Kronen

Altarage - Succumb
Jesus und Maria, gehen da Gebolze von Altarage hilft auch kein 5-Liter-Kanister Weihwasser mehr. Die Spanier aus dem beschaulichen Bilbao kreuzen auf „Succumb“ bereits das vierte Mal die Schwerter und haben nach wie vor überhaupt keine Lust darauf, ihren offen zur Schau gestellten Klangextremismus auch nur in Nuancen zugänglicher zu machen. Auf mehr als einer Stunde Spielzeit poltern die Südeuropäer durch existenzielle und philosophische Fragen und hinterlegen dieses Schlachtbankett mit kellertief gestimmten Gitarren und abstrusem Gruft-Gegrowle. Für Zartbesaitete reicht das schon nach fünf Minuten, doch auch für gestandene Todesmörtler mit Schwarzanlehnung ist die Spielzeit eine Herausforderung. So muss Krieg klingen. 6,5/10 Kronen

Beharie - Beharie EP
Geschmackvolle Liebhaber von eklektischen und beseelten Klängen haben den Namen Christian Beharie schon 2019 notiert, als er mit seiner Debüt-EP das erste Mal auf sich aufmerksam machte und durchaus zu überzeugen wusste. Ob R&B, Soul, Folk oder feingliedriger Pop ist dem Norweger in erster Linie egal, wichtig sind Atmosphäre, Melodie und Zugänglichkeit. Davon gibt es auf seiner zweiten, schlicht „Beharie“ betitelten EP glücklicherweise zuhauf, denn der stimmstarke Lockenträger kann in den richtigen Momenten scheinbar beliebig zwischen den Fleet Foxes, Bruno Mars und Michael Kiwanuka switchen, was schon ziemlich beeindruckend ist. Langsam wir es wirklich Zeit für eine Full-Length! Ohne Bewertung

Big / Brave - Vital
Wer behauptet, Frauen könnten keinen mitreißenden und eindringlichen Sludge Metal machen, der sollte sich lieber gleich in die 50er-Jahre zurückbeamen, als Gleichberechtigung noch ein schweres Fremdwort war. Die Kanadierinnen von Big/Brave beweisen auf dem mitreißenden „Vital“ schon das fünfte Mal auf Langstrecke das Gegenteil und entführen in eine geruhsame, aber alles andere als ruhige Welt, die sich irgendwo zwischen Neurosis, Cult Of Luna oder Isis wieder. Repetitive Songstrukturen, schweres Leiden am Mikrofon und das ständig über einen schwebende Gefühl der absoluten Daseinsdekonstruktion sind das genau Gegenteil von „Vital“, aber umso beeindruckender. Eine gewisse Liebe für schlechte Laune braucht man aber schon. Ach ja, mit Mathieu Ball gibt es auch einen instrumental tätigen Mann im Trio. Falls jemand den Untergang des Abendlands heraufziehen sieht… 7/10 Kronen

Blackbriar - The Cause Of Shipwreck
Eine gewisse Liebe zu weiblichem Gesang, opulenter Instrumentierung und elfenhaften Gothic-Anleihen muss man in jedem Fall besitzen, ansonsten kann man seine wertvolle Lebenszeit zu einer anderen Kurzrezension verlagern. „The Cause Of Shipwreck“ ist eine düstere Platte voller Mythen und Sagen, bombastischer Keyboard-Kitschklänge und trällernder Sirenentöne, wie man sie aus den Niederlanden von unzähligen Künstlerinnen kennt. Blackbriar, schon ein paar EPs lang im Geschäft gestählt, klingen mehr nach Fantasyfilmmusik als nach einer wirklich durchschlagenden Metalband, aber Liebhaber für diese Nische gibt es bekanntlich zuhauf. An mir perlt das ab wie an Teflon, aber das muss bekanntlich nix heißen. Probieren oder ignorieren - it’s your choice. 5/10 Kronen

Bodom After Midnight - Paint The Sky With Blood EP
Nach dem Split mit seiner Band und Namensrechtestreitereien wollte Finnlands Gitarrenzauberer Alexi Laiho als Bodom After Midnight noch einmal groß durchstarten - bekanntermaßen kam ihm der tragische Tod Ende Dezember 2020 dazwischen. Was noch hätte werden können, kann man sich auf dieser 3-Track-EP anhören, denn „Paint The Sky With Blood“ dürfte wohl der endgültige Schwanengesang sein. Der Titeltrack und „Payback’s A Bitch“ zeigen, dass Alexi wohl in die lohnenden „Hatebreeder“- und „Follow The Reaper“-Zeiten zurückgehen wollte, wonach Bodom-Fans der frühen Stunde schon lange lechzen. Dazu gibt es noch ein gutes, aber nicht sonderlich innovatives Cover von „Where Dead Angels Lie“, der Kult-„Ballade“ der unvergessenen und unsterblichen Dissection. Schade um diesen Menschen und Musiker - welch enormes Talent ihn Alexi Laiho steckte, wird hier wohl das letzte Mal so richtig gewahr. Ohne Bewertung

Body Void - Bury Me Beneath The Rotting Earth
Nehmt euch viel Zeit, lehnt euch zurück, dreht den Volume-Regler möglichst auf Anschlag und schließt die Augen. Das sind wahrscheinlich die besten Voraussetzungen, um sich von „Bury Me Beneath The Rotting Earth“, dem brandneuen Streich von Body Void, ordentlich durchwalken zu lassen. Wie der Albumtitel schon andeutet gibt es hier nur wenig vermittelte Lebensfreude, dafür umso mehr Sludge, Doom und Drone. An die trommelfellzerfetzende Kompromisslosigkeit der großen Sunn O))) will und kann man nicht rankommen, doch das Duo aus New Hampshire macht kein Geheimnis daraus, dass man dann am glücklichsten ist, wenn sich der Sound wie durch eine Walze durch die Hirnrinden fräst. Nichts für sonnige Frühlingstage! 7,5/10 Kronen

Bongzilla - Weedsconsin
Wenn man jemand als eine Themenband bezeichnen kann, dann zweifellos die Rauschmittelfanatiker von Bongzilla aus Wisconsin. Samt und sonders singen und referieren sie seit der Bandgründung Mitte der 90er-Jahre über Cannabis, Haschisch und Co. und haben sich eine erkleckliche Fanbase aufgebaut. „Weedsconsin“ ist so etwas wie eine Genre-Sensation, denn es ist die erste Veröffentlichung seit 13 Jahren der 2015 reformierten Band. Große Überraschungen bleiben dabei außen vor, aber damit hat wohl auch kaum jemand gerechnet. Elegische Kifferhymnen, Stoner-Zitate, Doom-Gestus und sehr viel THC-animierter Rauch mäandern durch die Boxen. Das meist in epischer Überlänge und mit improvisiertem Jam-Session-Charakter. Eine runde Sache für all jene, die damit was anfangen. Und derer gibt es ja nicht so wenige. Also: startet die „Earth Bong“. 7/10 Kronen

BRKN - Drama
Nicht erst seit dem würdevollen Abgang von Rudi Anschober als Gesundheitsminister wissen wir, Depressionen, Niedergeschlagenheit, Burn Outs und mentale Probleme sollten 2021 wirklich kein Tabu mehr sein. Andaç Berkan Akbiyik aka BRKN meldet sich nach seiner vielbeachteten Grönemeyer-Kooperation mit seinem dritten Studioalbum „Drama“ zurück und geht darin in eine Richtung, die man nicht von ihm erwartet hätte: verletzlich, offen, authentisch, düster und musikalisch gleichermaßen zugänglich wie Haken schlagend. Trauer und Lethargie gehen oft Hand in Hand und werden hier in einer Mischung aus Rap, Pop, R&B und Singer/Songwriter-Kunst an die Oberfläche geholt. Ein gutes und wichtiges Album, das für BRKN eine neue Ära einläuten könnte. Steht ihm gut. 7/10 Kronen

Broilers - Puro Amor
Mit zwei Nummer-eins-Alben im Rücken lässt sich in der vollen Hose schon gut stinken. Die Broilers sind in den letzten Jahren an der Spitze des deutschen Mainstream angekommen und ähnlich wie ihre großen Idolen und Brüder im Geiste, Die Toten Hosen, taten sie das einerseits mit Herzblut, andererseits mit musikalischen Zugeständnissen, die sich in einer gewissen Kantenlosigkeit manifestiert. Mit „Puro Amor“ tun Sammy Amara und Co. natürlich gut daran, die Erfolgspfade nicht zu verlassen, sondern gehen einfach den logischen nächsten Schritt. Die Broilers feiern vier Jahre nach ihrem letzten Output die Liebe und das Leben, Familie und Freunde, den Frieden und die Freiheit. Das ist schön, aber mittlerweile auch schon ziemlich berechnend. 6,5/10 Kronen

Capra - In Transmission
„Das Album klingt so, als wäre man mit einem gnadenlosen Monster in einem kleinen Raum eingesperrt“ - so die Eigenbezeichnung von „In Transmission“ der Band Capra. Das Debüt des Louisiana-Kollektivs lässt einen aber auch tatsächlich keine Zeit zum Durchatmen, so schnell und behände werden die harschen Stile hin- und hergeschoben. Da wären die kompromisslosen Hardcore-Shouts von Frontfrau Crew Lotus, der punkige DIY-Gestus der Kompositionen und schlussendlich noch eine kleine Prise Sludge-Domm oder Black Metal - je nachdem, ob es gerade schleppend oder viehisch zur Sache geht. Die Truppe passt gut zwischen Employed To Serve oder Rolo Tomassi aufs Billing. Macht Spaß - und macht Krach! 7,5/10 Kronen

Charlotte Cardin - Phoenix
An Vergleichen mit Künstlerinnen wie Amy Winehouse sind schon ganz andere Kaliber gescheitert, aber die Kanadierin Charlotte Cardin scheint sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Das Teilzeit-Model hat eine wirklich prägnante, mal rauchige, mal edelmütige Stimme, die sich perfekt über das zeitgemäße Soundgebräu auf ihrem Debütwerk „Phoenix“ legt. Dort vermischen sich düsterer Pop, Elektronik, Hip-Hop und sogar R&B zu einem großen Ganzen zusammen, das trotz der hervorstechenden Unterschiedlichkeiten überraschend rund klingt. Gerade in Songs wie „Anyone Who Loves Me“ schwingt sich Cardin in derart lichte Stimmhöhen, dass man geneigt ist, sie in die Nähe der großen Celeste zu rücken. Nicht alles glänzt am Debüt, aber der Weg stimmt. 7/10 Kronen

The Circle - Metamorphosis
In den späten 80er-Jahren, als der Extreme Metal seine ersten nachhaltig markanten Duftnoten setzte, war der Übergang zwischen Thrash-, Black- und Death-Metal fließend. Hauptsache brutal, Hauptsache rumpelnd. Danach teilten sich die Subgenres wieder auf, nur um nun in der Gegenwart wieder zunehmend zusammenzufinden. Die Deutschen The Circle etwa changieren innerhalb einer Nummer zwischen Black-Metal-Intro, schleppendem Doom, progressivem Power-Thrash und tiefem Death-Gegrowle. Ein mutiges Projekt, bei dem alles fast zu viel des Guten ist, aber die Burschen kratzen gerade noch die Kurve und machen Lust auf mehr. 6,5/10 Kronen

Gilby Clarke - Gospel Truth
Das Schicksal ist erbarmungslos. Der gute Gilby Clarke kann noch so viele und gute Soloalben herausbringen, im Endeffekt wird er bis an sein Lebensende mit seiner kurzen Ära bei den großen Guns N‘ Roses Anfang der 90er in Verbindung gesetzt werden. Damit muss man leben und weitermachen, genau das tut der mittlerweile 59-Jährige mit dem feinen Rockalbum „Gospel Truth“, das gar nichts mit Gospel zu tun hat, sondern den Rock’n’Roll prominent in den Vordergrund stellt. Neben den flotten Songs ist auch die Gästeliste amtlich. Alte Freunde wie Nikki Sixx, John Mellencamp, Kenny Aronoff und Stephen Perkins drücken sich gegenseitig die Instrumente in die Hand und die Riffs rattern wie zwischen 1985 und 1999 durch den Äther. Eine einzige große Rock’n’Roll-Party zum Biertrinken. Das richtige Album zur richtigen Zeit. 7/10 Kronen

Communions - Pure Fabrication
Interne Querelen haben dazu geführt, dass aus der Band Communions schlussendlich nur mehr das Brüderpaar Martin und Mads Rehof überblieb. Das hält die zwei Indie-Fanatiker freilich nicht davon ab, ihr Herzensprojekt auch limitiert weiterzuführen und auf „Pure Fabrication“ erzählen sie eine klassische Coming-Of-Age-Story in einem musikalischen Korsett, das man direkt im Jahr 2003 verorten könnte. Für Liebhaber der damaligen Indie-Hochphase ist das natürlich ein Fest, dass die beiden von ihrem längeren Seattle-Trip aber so ganz ohne US-Einflüsse nach Kopenhagen heimgekehrt sind, finde ich persönlich ziemlich schade. „Pure Fabrication“ ist mit 15 Songs auch noch viel zu lang geraten. Muss man nicht unbedingt in die Sammlung stellen. 5,5/10 Kronen

Steve Cropper - Fire It Up
Manche brauchen eben ein bisschen länger. Auch wenn es durchaus verwundert, wie lange so mancher braucht. Steve Cropper kennen Rock- und Bluesfans in erster Linie als Gründungsmitglieder der Blues Brothers, als Haus- und Hofkomponist von Stax Records und Gitarrist der kultigen Booker T. And The M.G.‘s. Doch 1969, als vor mehr als 50 (!) Jahren brachte der bald 80-Jährige auch ein Soloalbum raus. Es sollte das letzte dieser Art bleiben - bis heute. Auf „Fire It Up“ straft er alle Lügen, die möglicherweise behaupten, er würde nicht geeignet für das Rampenlicht sein. Eine nostalgische aber auch zeitlose Show voller Rock, Soul und Blues. Ein wunderbares Alterswerk, das mit viel Liebe zur Musik und einer feinen Produktion begeistert. Thank you, Mr. Cropper! 7/10 Kronen

Dinosaur Jr. - Sweet It Into Space
Na also doch noch. Covid und Touraktivitäten sei Dank haben sich die Indie-Rock-Urväter Dinosaur Jr. ganze fünf Jahre seit dem letzten Album Zeit gelassen, doch der treue Fan weiß natürlich, das ist eigentlich egal, denn die Qualität stimmt immer. So zeitlosen Streifpulli-Rock wie J Mascis kann 2021 niemand mehr präsentieren, doch wenn die graue Eminenz wieder die Brille zurechtrückt und die Basecap aufsetzt, dann passt das natürlich. „Sweep It Into Space“, das zwölfte Studioalbum und das fünfte seit der Reunion vor 16 Jahren macht freilich keine Ausnahme. Angeführt von Mascis und Lou Barlow trotzt man bewusst jeglicher Moderne und spielt erwachsenen College-Rock für all jene, die beim Snakespielen auf dem Nokia 3310 schon die erste Midlife-Crisis hatten. Weiterentwicklung: null. Spielfreude: Tausend. Passt also. 7/10 Kronen

Dumpstaphunk - Where Do We Go From Here
Kaum eine Band vermag es ähnlich viel Lebensfreude mit US-Südstaatenfeeling zu vermitteln wie die 2003 von Iain Neville gegründeten Dumpstaphunk, die ihr Heil nicht in der weit verzweigten New-Orleans-Jazzszene suchten, sondern lieber dem freien Prinzip des Funk folgten. Schon mit dem Buddy-Miles-Cover „United Nations Stomp“ wird ohne erhobenen Zeigefinger politisch und gesellschaftskritisch musiziert, aber stets mit viel Seele und lässigem Hüftschwung. Traditionelle Klänge verknüpfen sich mit modernen Klängen, es gibt Platz für partielle Rap- und Hip-Hop-Einlagen und die inklusiven, gegen Ausgrenzung gehenden Songtexte sind in Zeiten wie diesen besonders wertig. Ein weiteres gelungenes Werk dieser musikalisch knallbunten Funk-Gang. 7,5/10 Kronen

Field Music - Flat White Moon
Sehr fleißig, meine Herren. Nur etwa ein Jahr nach dem letzten Output veröffentlicht das britische Indie-Rock-Kollektiv Field Music bereits den Nachfolger. Die Pandemie hat man im nasskalten Sunderland offensichtlich fruchtbar für Kreativität genützt, denn „Flat White Moon“ lässt überhaupt keine Ermüdungserscheinungen erkennen. Ganz im Gegenteil! Fein ausziseliert gegen die beiden Brewis-Brüder David und Peter ans Werk und jagen ihre eklektischen Soundkaskaden so detailverliebt und durchdacht durch den Äther, dass man das warmherzige Indie-Rock-Werk mit Jazz-Anleihen und Prog-Rock-Gestus am besten unterm Kopfhörer genießt. In den eingängigen Momenten ist man Paul McCartney nahe, die meiste Zeit musiziert man aber in der Welt der schwer unterbewerten Prefab Sprout. Nur eben moderner, jünger, zeitgemäßer. 7,5/10 Kronen

The Flaming Sideburns - Silver Flames
Hossa, das sind Festspiele für Freunde des rotzigen Skandinavien-Rock der späten 90er-Jahre. Gemeinsam mit den Hellacopters, Gluecifer, Turbonegro und Co. begeisterten die Finnen The Flaming Sideburns ab 1995 eine ständige steigende Fanschar, verlor sich aber schon vor gut zwei Dekaden aus den Augen. Da es im Musikbusiness ein ungeschriebenes Gesetzt ist, irgendwann zurückzukehren, haben wir nun mit „Silver Flames“ tatsächlich ein brandneues Studioalbum dieser stets an der Detroit-Rockszene angelehnten, nordischen Kultband vorliegen. Das Schöne ist: der Plan geht auf. Die Kompositionen klingen frisch und knackig, von Altherrenmief ist nichts zu merken und mit Tracks wie etwa „Reverberation (Doubt)“ hat man richtige Psych-Rock-Klassiker am Start. Auch gelungen: „A Song For The Robert“ für den viel zu früh verstorbenen Robert Dahlquist von den Hellacopters. So geht Comeback - da können sich andere viel davon abschneiden. 7,5/10 Kronen

Fog Lake - Tragedy Reel
Aaron Powell ist kein großer Freund lebensbejahender Worte und allumfassender Freude. Der Kanadier versucht hinter seinem Projekt Fog Lake gar nicht erst seine Melancholie zu verbergen, sondern gibt ihr in einem von Piano-Klängen angestoßenen Indie-Rock- und Slowcore-Korsett den nötigen Fahrtwind zur Eigentherapie. So persönlich und fragil wie auf seinem neuen Album „Tragedy Reel“ ging Powell noch nie ans Werk, was manchmal beim Hören fast schon schmerzt. Wie unsichtbare kleine Geister gehen die zarten Töne durch Haut und Haare, getragen von verletzlichen Stimmen und fast schon depressiven Klangkaskaden. Nun ist auch der langjährige Sufjan-Stevens-Vergleichsmief obsolet. 7,5/10 Kronen

The Peter Frampton Band - Frampton Forgets The Words
Es ist eine starke Release-Woche für die alten Hasen. Auch der britische 70er-Jahre-Gitarrenhero Peter Frampton lässt wieder mal etwas von sich hören und zeigt dabei durchaus Ironie. „Frampton Forgets The Words“ hat natürlich nichts mit einsetzender Demenz zu tun, sondern zeigt nur auf, dass der neueste Streich des Altmeisters ein reines Instrumentalalbum ist. So fidelt er sich durch Songs wie Roxy Musics „Avalon“, David Bowies „Loving The Alien“ oder - große Überraschung - Lenny Kravitz‘ „Are You Gonna Go My Way“ und hat dabei selbst wahrscheinlich mehr Spaß als alle anderen. Außerhalb der Die-Hard-Fanbase muss man da natürlich nicht zuschlagen, aber die Frampton-Klientel hat die Bankomatkarte sowieso schon gezückt. Ohne Bewertung

Fury In The Slaughterhouse - Now
Bei den deutschen Vermarktungskollegen herrscht schon seit Monaten schwere Schnappatmung ob des ersten Studioalbums der Hannoveraner Rocker Fury In The Slaughterhouse seit 2008. Das mag man bei uns vielleicht nicht ganz verstehen, aber die Wingenfelder-Brüder Kai und Thorsten haben bei unseren Nachbarn vor allem in den 90er- und frühen 00er-Jahren die Charts aufgerollt und die Heimatstadt nachhaltig von der Scorpions-Exklusivität befreit. „Now“ schließt folgerichtig an die großen Tage an und ist bekömmlicher Altherrenrock mit viel U2-Pathos und einer untrüglichen Liebe für die großen Stadionmomente. Dahin wird’s für das fidele Gespann wohl auch in der Gegenwart nicht gehen, aber es gab definitiv schlimmere Comebacks. Familientauglicher Rock, dem es aber freilich ein bisschen an Ecken und Kanten fehlt. 6,5/10 Kronen

Les Hommes Sauvages - Anthology
Value for money ist im Hause des Berliner Liebhaberprojekts Les Hommes Sauvages angesagt. Das Brainchild von Viola Limpet (Tumbling Hearts) und Tausendsassa Kristof Hahn (Swans, Pere Ubu und Co.) veröffentlicht dieser Tage eine streng auf 500 Stück limitierte „Anthology“, die aus den vergriffenen Alben „Playtime“ (2000), „Trafic“ (2004) und „Vive La Trance“ (2011) besteht. Die beiden letzteren Platten gibt es überhaupt erstmals auf Vinyl aber klar, zur Entstehungszeit war das schwarze Gold auf seinem absoluten Tiefpunkt und nicht wirklich marktrelevant. Der absolut genialen Mischung aus Noir-Sounds, Western-Atmosphäre und experimenteller Improvisationskunst tut das natürlich keinen Abbruch, wodurch nicht nur Bandliebhaber, sondern auch offene Geister im Generellen dringend zugreifen sollten. Ohne Bewertung

Hymnr - Far Beyond Insanity
Pelikanartige Pestmasken, das straff gezogene Seil um die dunkelschwarze Kutte gebunden und dazu noch eine Hexenkreatur mit bäuerlichem Rechen auf dem Schwarz-Weiß-Cover - was soll da schon schiefgehen, werden sich Black-Metal-Liebhaber jetzt fragen. Die Antwort: nichts, das Teil sitzt. Hymnr sind eine Bande (noch) anonymer Russen, die mit „Far Beyond Insanity“ ihr Debütalbum veröffentlichen und die kühle Rohheit des 90er-Jahre-Second-Wave-Black-Metal mit neumoderner Okkult-Note, bewusst simpel produziertem Knüppelschlagzeug und melancholischer Trauerweidenatmosphäre kreuzt und damit gleich mehrere Sub-Zielgruppen im großen Teich des Genres trifft. Die auf vier Kapitel unterteilten Hassbrocken finden eine gute Balance aus Nihilismus und seltener Zugänglichkeit, was sehr gut erklingt. Ein wundervolles Underground-Werk. 7,5/10 Kronen

International Music - Ententraum
Wenn man in den letzten Jahren nach spannendem und innovativem Pop in Deutschland suchte, kam man unmöglich an International Music vorbei. Schon beeindruckend, wie man diese Stärken auf dem Zweitwerk „Ententraum“ auf gleich 17 Songs bestätigt und der Band damit die Türen in eine grenzenlose Psychedelic-Rock-Welt ganz aufreißt. Wer etwa beim gitarrenlastigen Ohrwurm „Zucker“ nicht an Led-Zeppelin-Riffs der frühen 70er denkt, der hat seine musikalischen Aufgaben nicht gemacht. Krautrock, Art-Pop, 70er-Rock, ja, sogar Punk-Chic finden gleichberechtigt ihren Platz in diesem eklektischen, aber niemals abweichenden Klangkosmos, in dem man sich komplett verlieren kann. Spannend, tanzbar, nachdenklich, träumerisch und entspannend. Wann kriegt man das alles schon auf einmal? Ein famoses Fabelwerk. 8,5/10 Kronen

Kaleo - Surface Sounds
Eine ganz schön schwere Geburt war das lang erwartete dritte Album der Isländer Kaleo, denn perfektions- und Covid-bedingt sind mittlerweile fünf Jahre seit dem gefeierten „A/B“ vergangen, mit dem sich Jökull Júlíusson und Entourage auf die großen Festivalbühnen spielten. Júlíusson nutzte den Schwung, hat sich längst mainstreamtauglich in JJ Julius Son umbenannt und sich über die Jahre endgültig zum Alleinherrscher seines Kosmos aufgeschwungen. Die Band sind nur Söldner und das elegische „Surface Sounds“ seine höchstpersönliche Kopfgeburt. Getragen von seiner rauen Stimme mäandert Kaleo zwischen Blues, Soul, Rock und partiellen Gospel-Elementen, erreicht dabei aber nie mehr die Frische und Dringlichkeit des Durchbruchsvorgängers. Alles ist üppiger, bombastischer und überladender, wie man es eben macht, wenn man den Markt erobern will. Dafür gehen aber Exklusivität und Unschuld flöten. Oder um es anders auszudrücken: die Coldplayisierung von Kaleo geht rasant voran. 6/10 Kronen

Laurence-Anne - Musivision
Mit ihrem Debütalbum „Première Apparition“ landete die Kanadierin Laurence-Anne vor zwei Jahren prompt auf der Long List des „Polaris Music Prize“ und der Hype um die französischsprachige Sängerin war nicht nur in ihrer Heimat schnell entfacht. Der lang ersehnte Nachfolger „Musivision“ beweist, dass der Erfolg keine Eintagsfliege war. Die musikalischen Grundpfeiler Pop und elektronischer Folk werden zunehmend mit Minimal-Beats und futuristischen Synthie-Klängen aufgefettet, was gleichermaßen nostalgisch wie zeitgemäß wirkt. In romantischen und paralysierenden Soundwelten entführt sie mit betörender Stimme und lässt die Sehnsucht nach einer durchgeschwitzten Club-Nacht ins Unermessliche steigen. Man kann ja leider nicht alles haben. Aber bald! 7,5/10 Kronen

Sarah Lombardi - Im Augenblick
Bei Schlagerstars kann es schnell passieren, dass Vorkommnisse im Privatleben die künstlerische Ausgestaltung überragen. Das ist natürlich nicht immer fair und gerecht, aber part of the game, wie man so schön zu sagen pflegt. Während der ex-Angetraute Pietro Lombardi die Gehörgänge mit Bubble-Tea-Pop so dermaßen quält, dass auch der letzte Schmalz aus dem hinteren Trommelfell hervorpoltert, macht Sarah lieber einen auf Vanessa Mai. Das bedeutet: der Schlager dient als Grundlage, aber Pop sticht deutlich hervor. Wo Mai aber gerne gen Disco schielt, fühlt sich Sarah auf „Im Augenblick“ im balladesken Segment wohler. Perfektes Futter für die Zielgruppe, wobei die Haddaway-Integration „Love Is Love“ schon zu viel des Guten ist… 6/10 Kronen

Luminous Kid - At The End Of The Dream
Als Idol oder Vorbild in der Queer-Community sieht sich der Schwede Olof Grind nicht zwingend, doch mit seinem berührenden und gleichermaßen feinsinnigen wie optimistischen Erstlingswerk „At The End Of The Dream“ unter seinen Pseudonym Luminous Kid könnte der große Sprung an die Indie-Spitze gelingen. Mit der Single „Mountain Crystals“ überzeugte er schon vor Wochen, mitunter auch deshalb, weil die große Phoebe Bridgers, die er beim Fotografieren für ihr Albumcover kennenlernte, aktiv teilnahm. In den Weiten von Südamerika ließ sich Grind für die wundervollen, experimentellen und trotzdem zugänglichen Pop-Songs inspirieren. Das Album überzeugt nicht nur die Indie-Hipster-Fraktion, sondern ist ein wundervolles Werk zum Davonfliegen. Schon lange klang junger Pop nicht mehr so leichtfüßig und unschuldig. 7,5/10 Kronen

Minas Morgul - Heimkehr
Konstant kann man die Besetzung der deutschen Pagan-Metal-Urväter Minas Morgul nicht nennen und zuletzt musste man sogar den Frontmann tauschen. Neu am Mikrofon ist Robse Dahn, der sich mit den jüngeren, aber wesentlich erfolgreicheren Equilibrium schon eine Zeit lang sehr erfolgreich in der Fantasy-Szene bewegt. Das „wir sind zurück“ auf dem Titeltrack „Heimkehr“ könnte auch für die Band selbst stehen, die aber noch nie nach Geschwindigkeit arbeiteten. Dass Minas Morgul seit Dekaden im Genre-Durchschnitt schwimmen wird einem hier einmal gewahr. Freilich nicht schlecht, aber auch zu wenig innovativ und kompositorisch nicht zwingend genug, um in der Champions League des Pagan Metal mitzumachen. Harsch, hart und heftig - aber leider auch nicht besonders eindringlich. 5,5/10 Kronen

Motörhead - Louder Than Noise… Live In Berlin
Lemmy Kilmister und Deutschland, das war eine mannigfaltige Liebesgeschichte. Nicht nur aufgrund seiner Kriegsdevotionaliensammlung und dem überbordenden Interesse an der deutschen Geschichte, sondern auch deshalb, weil Rock-Legenden Motörhead dort noch populärer waren als in der britischen Heimat und angemessen wie Götter behandelt wurden. Grund genug um in den Archiven zu wühlen und dieses 2012 im Berliner Velodrom stattfindende Konzert auszugraben, um es unter dem Banner „Louder Than Noise… Live In Berlin“ auf CD und DVD zugänglich zu machen. 12.000 Fans feierten Lemmy und seine Whisky-Stimme ab und der gute Mann war damals noch in beneidenswerter Altform. Hier kann man nostalgisch, berührt und traurig, oder einfach energetisch und headbangend zurückblicken. Those were the days… Ohne Bewertung

Nordgeist - Frostwinter
Die Russen sind derzeit zum Glück nicht nur durch Alexander Nawalny und das ständige Säbelrasseln von Vladimir Putin stark vertreten, sondern auch mit ihren Metalbands. Wo die weiter oben vorgestellten Hymnr einen eher rohen, rustikalen Ansatz wählen, geht das Ein-Mann-Projekt Nordgeist auf „Frostwinter“ in die Atmospheric-Black-Metal-Richtung. Die epischen und bewusst überlangen und überladenen Kompositionen erinnern frappant an die australische Schule á la Austere oder Naxzul, doch auch die knapp darunter befindlichen Schweizer von Paysage D’Hiver bzw. Darkspace haben Eindruck hinterlassen. Ein fantastisches Album, dass weite Winterlandschaften und naturbelassene Einsamkeit prominent ins Zentrum rückt. 7,5/10 Kronen

Paysage D’Hiver - Geister
Der Schweizer Eremit und Darkspace-Mastermind Wintherr hat vor gut einem Jahr auf dem offiziellen Debütalbum „Im Wald“ schon bewiesen, wie man harschen Second-Wave-Black-Metal der frühen 90er-Jahre würdevoll in die Gegenwart transferiert. In punkto Atmosphäre, Durchschlagskraft und Ehrerbietung kann Paysage D’Hiver auch anno 2021 niemand aus dem weitläufigen Genre das Wasser reichen. Statt zwei Stunden beinhaltet das schnell nachgeschossene Zweitwerk „Geister“ zwar „nur“ mehr 70 Minuten Material, aber das hat es freilich in sich. Monoton und repetitiv klirren die Riffs durch brutale Eisstürme, während Wintherr mit dem letzten Aufbäumen eines Fackeldochts gegen das drohende Ende kreischt. Eine Tour des Schmerzes, nihilistisch und auf das Wesentliche heruntergebrochen. Vielleicht nicht ganz so eindrucksvoll wie „Im Wald“, aber der Konkurrenz immer noch meilenweit voraus. 8/10 Kronen

Vanessa Peters - Modern Age
Die mittlerweile 40-jährige Vanessa Peters ist eine amerikanische Folk- und Singer/Songwriter-Perle, deren Glanz es leider niemals ganz bis nach Europa geschafft hat. Wie schade es ist, ein solches Talent ungehört zu lassen wird einem auf dem neuen Album „Modern Age“ wieder deutlich gewahr. Dabei war Peters zu den Aufnahmen während Corona in ihrer zweiten Heimat Italien und hat auch italienische Musiker um sich geschart. Vom „Modern Age“ ist auf dem Album nichts zu hören, denn bei den Indie-Hymnen mit Americana-Einschlag gibt es keinen Platz für Beats, Loops und neumoderne Instrumentierung aus der Retorte. Alanis Morrisette kann man durchaus als Vergleich heranziehen, obwohl diese freilich hittauglicher komponiert. Peters lässt uns handgemachte und echte Musik im Pub oder einem kleinen Schuppen herbeisehnen. Schön ist das. 7/10 Kronen

Phantom Fire - Return Of The Goat EP
Aus dem Allerleikasterl des Black Metal bedienen sich die brandneuen Phantom Fire für ihr erstes, nur zwei Songs starkes Lebenszeichen, das es aber in sich hat. Die im eiskalten, märchenhaften Bergen ansässigen Rumpler kennen Szeneinsider von Gaahls Wyrd und Krakow, doch die Emanzipation in Form dieses Projekts gelingt. „Return Of The Goat“ ist Black’n’Roll im besten Sinne und klingt ein bisschen wie KISS meets Carpathian Forest meets Abbath meets alte Gorgoroth. Dazu wird stilecht schwarzgekleidet in majestätischer Winterlandschaft gepost. Es passt einfach alles zusammen und gerade live dürften diese Songs immens viel Spaß machen. Ohne Bewertung

Remember Sports - Like A Stone
Mit dem Bandnamen Sports war man nach anfänglicher Euphorie aus verständlichen Gründen wohl doch nicht so ganz glücklich, doch nun heißt das Ohio-Kollektiv Remember Sports und macht auf seinem vierten Album „Like A Stone“ tatsächlich den bislang größten Karrieresprung. Neun Jahre nach der Begründung scheint man sich im jungen Erwachsenenalter gefestigt zu haben. Auch wenn die punkige Attitüde der Frühtage weg ist und Frontfrau Carmen Perry jetzt songdienlicher ans Werk geht, hat die Bands nicht von ihrer leichtfüßigen Indie-Pop-Prägnanz verloren. „Like A Stone“ hätte vor 30 Jahren wohl auch von den Vaselines kommen können, die Ansätze und Zugänge sind fast dieselben. Das perfekte Frühlingsalbum für Liebhaber sanft-entrückter Gitarren. 7,5/10 Kronen

Porter Robinson - Nurture
Der erfolgreiche und umtriebige amerikanische DJ Porter Robinson hat eine Konstante in seiner kreativen Karriere: die stete Veränderung. So erklingt auch das neueste Werk „Nurture“ wieder ganz andes, als man es erwarten würde. Wenig Indietronica, nur partiell vorhandene, futuristische Basssalven, dafür die erstmalige Konzentration auf seine emotionale Stimme, was ihn - auch in punkto Songdienlichkeit - durchaus in die Nähe des deutschen Erfolgskomponisten Roosevelt rückt. Auf eine knappe Stunde erstreckt er sein gemütliches, manchmal fast schon loungiges Soundgebilde, das sich eindeutig an den nahenden Sommer anlehnt und perfekt für eine kleine Cabrio-Spritztour an der kalifornischen Küste wirkt. Chill out. 7/10 Kronen

Siamese Elephants - What Happened At The Social Club
In Los Angeles suhlt man sich im Glanz des Country Clubs (Lana Del Rey), in Wien geht es um den Social Club - was dort passiert, das versuchen uns die Wiener Indie-Popper Siamese Elephants auf ihrem neuen Album „What Happened At The Social Club“ näherzubringen. Gesucht wird ein utopischer Ort, wo man durch ein loses Konzept eine Nacht lang die Tücken und Finten der Generation Z aufs Tablett bringt: Social-Media-Sucht, FOMO, mediale Reizüberflutung, Partyposse und die gewünschte Individualisierung, die dann doch immer am Nachlaufen der gängigen Trends scheitert. Musikalisch fasst man grob im Wasser von Bilderbuch, ein paar Prince-Funk-Riffs und Maximo-Park-Indie-Rock-Referenzen dürfen nicht fehlen. Eine durchaus feine Sache, doch den Trend für diesen Sound hat man schon ein bisschen verpasst. 7/10 Kronen

Silverware - No Plans
Hinter dem schönen Projektnamen Silverware steckt die kalifornische Künstlerin Ainsley Wagoner, die mit „No Plans“ dieser Tage das Debütalbum ihrer ganz persönlichen künstlerischen Ausdrucksform veröffentlicht. Klanglich bewegt sie sich mit offen zur Schau gestelltem, instrumentalem Minimalismus irgendwo zwischen Angel Olsen, Kate Bush, Mitski und Weyes Blood, weil vor allem die Mischung aus Folk, Art-Pop und Indie-DIY-Liebhaberei die richtige Rezeptur hat. 27 Minuten sind für ein Einstandswerk schmal bemessen, aber von der zarten Engelsstimme Wagoners kann man sich trotz allem entführen lassen. Ein paar Kanten oder etwas höheres Tempo in manchen Songs würde Silverware trotz allem guttun. „No Plans“ reichen vielleicht für das erste Album, aber da ist noch etwas Luft nach oben. 6,5/10 Kronen

Sir Sly - The Rise & Fall Of Loverboy
Die Südkalifornier von Sir Sly, hierzulande eine viel zu wenig beachtete Kapelle, kann man durchaus als die etwas andere Indie-Band bezeichnen. Auf ihrem dritten Album „The Rise & Fall Of Loverboy“ nehmen sie den Begriff Eklektizismus extrem ernst und kreieren eine Soundwelt, die zwischen träumerischen Rockhymnen, Hip-Hop-Einsprengseln, Funk-Partystimmung, eine Madonna-Ehrerbeitung („Material Boy“), zeitgemäßer Elektronik und zeitlosen Gitarrensoli alles beinhaltet, was man in den letzten 20 Jahren irgendwo in den Mainstream-Charts hatte. Die Sensation dabei ist, dass sich Landon Jacobs und Co. dabei noch nicht einmal verheben, weil die Texte sich um existenzielle Fragen stellen, dem Frontmann nach seiner schweren Transformation vom schweren Alkoholiker zum meditierenden Art-Hippie-Guru innerhalb der letzten zwei Jahre kamen. Es ist allen Recht machen zu wollen geht sich dann halt doch nicht ganz aus, auch wenn das Album vieles von dem beinhaltet, was man im modernen Popzirkus schätzt und liebt. 7/10 Kronen

Todd Snider - First Agnostic Church Of Hope And Wonder
In der amerikanischen Alt-Rock und Alternative-Country-Szene kommt man am 55-jährigen Todd Snider nicht vorbei. Der in Portland geborene und dann nach Texas und Kalifornien übersiedelte Vollblutmusiker und ist mittlerweile in Tennessee beheimatet. Die Einflüsse seiner handgemachten und zeitlosen Musik stammen aus all diesen Ecken Amerikas und verknüpfen sich auf seinem neuen Album „Fist Agnostic Church Of Hope And Wonder“ zu einem Mahlstrom alternativer und bodenständiger Heartland-Klänge. Darauf erinnert an die zu früh verstorbenen Helden und Freunde von John Prine bis Jeff Walker, die ihm als Wegbereiter, Mentoren oder wichtige Karrierebegleiter dienten. Ein schönes Werk, das musikalisch aber noch etwas Luft nach oben hat. 6/10 Kronen

Solstice - Casting The Die
Die hier vorliegenden Amerikaner haben schon in den frühen 90er-Jahren ihre Thrash-Wut aufs Parkett gebracht, reformierten sich 2009 nach 13-jähriger Pause für ein Album und haben seither wieder nichts mehr von sich hören lassen. Stress ist jedenfalls kein Kriterium für die Karriere der honorigen Herren, die mit „Casting The Die“ aber auch im Metal-Greisenalter noch einmal zeigen, wie man feurige Thrash-Riffs mit einer bollernden Hardcore-Attitüde vermischt und dabei keinesfalls Alterserscheinungen zeigt. Zwischen „The Altruist“ und „Scratch“ macht sich auf Langstrecke aber auch ein bisschen Langeweile breit, denn die Songs sind ziemlich gleichförmig komponiert und können nicht immer ihre angedeutete Variabilität umsetzen. Ein Batzen-Thrash-Werk ist das erneute Solstice-Comeback aber trotz allem. 7/10 Kronen

Tilian - Factory Reset
In der Post-Hardcore-Welt ist Tilian Pearson ein bunter Hund. Man kennt ihn unter anderem als Sänger von Dance Gavin Dance und Tides Of Man, seit geraumer Zeit veröffentlicht er als Tilian aber vorwiegend Solomaterial, um sich dort vollständig entfalten zu können. „Factory Reset“ ist schon das vierte Album und hat als Grundlage für den Genuss den gleichen gemeinsamen Nenner wie die anderen davor: man muss in erster Linie mit seiner eindringlichen und durchdringenden Stimme klarkommen. Dahinter verbergen sich progressive, an Mathcore angelehnte Instrumentalabfahrten, die ihre technische Brillanz trotzdem nie über die allgemein Songdienlichkeit stellen. Wer sich im Alternative Rock oder Hardcore prinzipiell daheim fühlt, der ist hier sicher glücklich. 6/10 Kronen

Alan Vega - Mutator
Es ist eine der wichtigsten Kardinalsfragen im Showbusiness: wann ist der richtige Zeitpunkt, um mit der unausweichlichen Leichenfledderei zu beginnen? Im Falle des Suicide-Kopfs und der Kultfigur Alan Vega offenbar fünf Jahre nach seinem tragischen Ableben, denn das Spartenlabel Sacred Bones verspricht in Zusammenarbeit mit seiner einst Angetrauten Liz Lamere mit „Mutator“ den Beginn von so einigem Material, dass man sich aus den Archiven zusammenkratzen wird. Die hier vorliegenden Tracks entstanden in New York City zwischen 1995 und 1996 und zeigen in von seiner heißgeliebt elektronisch-experimentellen Seite. Die urbane Kühle von Songs wie „Samurai“ oder „Nike Soldier“ passen perfekt zum Protagonisten, der hier Vergangenheit und Gegenwart von damals vereinte. Schöne Rückschau, zweifellos. Ohne Bewertung

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