Folgen der Krise

Das Armutsgespenst geht im Ländle um

Vorarlberg
05.04.2021 08:00

Immer mehr Menschen in Vorarlberg sind auf Notstandshilfe angewiesen - aktuell sind es rund 5000. Die Coronakrise hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen dramatisch erhöht, weshalb auch die Notstandshilfe vorübergehend erhöht wurde. Damit ist jetzt Schluss.

Sabine G. verdiente in ihrem alten Job in der Gastronomie ungefähr 1600 Euro netto. Damit konnte sie ihre kleine Wohnung, ihr Auto und die Versicherungen bezahlen und es blieb noch Geld zum Leben übrig. Seit März des vergangenen Jahres ist sie jedoch arbeitslos, weil ihr Arbeitgeber sie gekündigt hat, anstatt in Kurzarbeit zu schicken. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist mittlerweile ausgelaufen, derzeit lebt sie von Notstandshilfe und muss mit 830 Euro im Monat auskommen. Nach Abzug von Miete, Spritkosten und Versicherungen bleibt kaum noch Geld für Lebensmittel übrig.

Einkommen unter der Armutsgrenze
Jetzt stelle man sich vor, Sabine wäre zudem noch alleinerziehend und hätte eine fünfjährige Tochter namens Julia zu versorgen. Die Kleine benötigt Kleidung und Schulzeug. Zu Ostern würde sie sich wie alle Kinder über ein kleines Geschenk freuen. Allerdings würde das Nest leer bleiben, denn Sabine G. liegt mit ihrem Einkommen unter der Armutsgrenze. Dass sie bald wieder einen Job findet, ist angesichts der aktuellen Situation beinahe ausgeschlossen: Derzeit stehen in Vorarlberg für 16.000 Arbeitssuchende lediglich 3000 offenen Stellen zur Verfügung - im Bundesschnitt ist dieses Missverhältnis noch dramatischer.

„Das ist eine Katastrophe“
ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grüne hatten daher bereits vor Monaten aufgrund der angespannten Situation am Arbeitsmarkt eine vorübergehende Erhöhung der Notstandshilfe beschlossen. Diese wurde auf das Niveau des Arbeitslosengeldes angehoben, womit die Bezieher zumindest 55 Prozent ihres vorherigen Entgelts erhielten. Diese Erhöhung ist diese Woche aber ausgelaufen, von einer Verlängerung wurde abgesehen. Die Armutskonferenz kritisiert diesen Umstand scharf: „Das ist eine Katastrophe“, sagt deren Sprecher Michael Diettrich. „Wenn ich arbeitslos bin, bekomme ich ohnehin nur die Hälfte meines vorherigen Einkommens und bei der Notstandshilfe ist es noch weniger.“ Die mangelnde Einsicht der Bundesregierung sei völlig unverständlich, zumal die betroffenen Menschen ja unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gerutscht seien.
Die prekäre Lage am Arbeitsmarkt dürfte noch länger anhalten: Experten der österreichischen Nationalbank gehen davon aus, dass sich erst in zwei Jahren eine nachhaltige Erholung einstellen wird. „Die Politik verschließt die Augen vor der Ausbreitung einer ganz anderen Epidemie: Arbeitslosigkeit und steigende Armut treffen mehr Menschen existenziell, als Covid-19 in einem ganzen Jahr“, findet Diettrich klare Worte.

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Die Politik verschließt die Augen vor der Ausbreitung einer ganz anderen Epidemie: Arbeitslosigkeit und steigende Armut treffen mehr Menschen existenziell, als Covid-19 in einem ganzen Jahr

Michael Diettrich

Frauen sind besonders von Armut betroffen
In Vorarlberg sind aktuell rund 3000 Menschen langzeitarbeitslos. Diese Zahl droht weiter zu steigen, ebenso die Armut. Besonders betroffen sind Frauen, da die Lockdowns vor allen frauentypische Branchen wie Handel und Gastronomie mit voller Wucht getroffen haben. Die Öffnung der Gastronomie in Vorarlberg hat zwar eine leichte Entspannung gebracht - allerdings haben vor allem Männer davon profitiert: Während bei Männern die Arbeitslosigkeit im März um über zehn Prozent zurückgegangen ist, waren es bei den Frauen nur knapp sieben Prozent.

Hokuspokus aus den 90-er Jahren
Generell sei die Höhe des Arbeitslosengeldes viel zu niedrig bemessen, kritisiert Diettrich: „Gerade bei Geringverdienern ist die Armutsschwelle schnell unterschritten.“ Er fordert eine Anhebung auf mindestens 70 Prozent des letzten Nettoentgeltes. Von Arbeitsminister Martin Kocher wird das allerdings strikt abgelehnt, der ÖVP-Politiker befürchtet, dass dadurch die Anreize sinken würden, sich einen Job zu suchen. Diettrich kann ob dieser Logik nur mit dem Kopf schütteln: „Das ist ökonomischer Hokuspokus aus den 90er-Jahren, als in den Wirtschaftswissenschaften die abstruse Vorstellung aufkam, es gebe eine freiwillige Arbeitslosigkeit, die man nur mit niedrigen Sozialleistungen bekämpfen könne. Die Realität hat diese abstruse Theorie längst widerlegt. Arbeitslosigkeit resultiert aus fehlenden Jobs - und eben nicht aus der Unlust der Arbeitslosen.“
Einen kleinen Lichtblick gibt es für die Bezieher der Notstandshilfe dennoch: Ein SPÖ-Entschließungsantrag wurde vergangene Woche im Bundesrat angenommen. Der Nationalrat wurde darin aufgefordert, die erhöhte Notstandshilfe zumindest bis Ende Juni zu verlängern. Sabine G. darf also noch hoffen, dass eine Erhöhung rückwirkend durchgesetzt wird.

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