Album und Doku

Demi Lovato: Zweimal durch die Hölle und zurück

Musik
02.04.2021 09:15

In einer vierteiligen YouTube-Dokumentation und auf dem üppigen Album „Dancing With The Devil... The Art Of Starting Over“ gibt uns Demi Lovato Einblick in ihre drogenbedingte Nahtoderfahrung 2018 und den harten Weg zurück. Das geht natürlich nicht frei von Pathos, erfrischt aber mit Selbsterkenntnis und schonungsloser Offenheit.

(Bild: kmm)

Der Ruhm kann ein Schwein sein, das ist altbekannt. War es in den stürmischen Rockzeiten früher ganz üblich, sich die Nasenflügel weiß zu streichen und den Gin bis zum Überschwappen die Kehle runterrinnen zu lassen, kommt man heute auch als Promi nicht mehr ganz so leicht mit einem Skandalimage davon. Fast jeder hat seinen ganz persönlich schweren Rucksack zu tragen. Fragen Sie nach bei Britney Spears, Christina Aguilera, Lady Gaga, Justin Bieber oder - ganz frisch - Miley Cyrus, die noch zur Veröffentlichung ihres aktuellen Albums Ende 2020 von der Schönheit des Nüchternseins schwärmte und erst vor wenigen Tagen beim feuchtfröhlichen Party-Zungenschnalzen mit Musikerkollege Yungblud gesehen wurde - freilich euphorisch-ekstatisch und schwer umnachtet. Was früher noch als cool und lässig galt wird heute nicht zu Unrecht als nachhaltiges Problem gesehen und gerade weibliche Popstars gehen mit ihren Ängsten und Unsicherheiten längst offen um. Zur Selbsttherapie, als Vorbildwirkung für die vielen jungen Fans und natürlich auch als geschicktes Vermarktungstool.

Persönliche Hölle
Die via Disney berühmt gewordene Demi Lovato hatte schon vor gut zehn Jahren schwere Alkohol- und Drogenprobleme. Der Stress aus der plötzlichen Berühmtheit, durch die vielen Film-, Tour- und Albenverpflichtungen, permanenten Auftritte und Interviews und das ständig über sie kreisende Rampenlicht zwischen TV-Show und Yellow Press war zu viel und die Dinge eskalierten. Nachdem sie wieder mühsam in die Spur fand folgte im Sommer 2018 der Rückfall. Trinkselig wird der Geburtstag ihrer Choreografin gefeiert. Von angesagten Bars geht es ins Haus nach L.A., bis die Gäste in den frühen Morgenstunden langsam entschwinden. Demi legt sich aber nicht ins Bett, sondern ruft ihren Dealer an und wäre beinahe an einer Überdosis eines Drogenmixes verstorben - und wird zusätzlich vergewaltigt. Ihrer Assistentin hat sie ihren irdischen Verbleib zu verdanken, denn sie fand Lovato wenige Stunden nach dem Drogencocktail reg- und bewusstlos in ihrem Bett liegend - von Erbrochenem umgeben und völlig ausgebleicht. Drei Herzinfarkte und Schlaganfälle folgen.

Dieses tragische Ereignis hat die heute 28-Jährige bereits zum zweiten Mal an die Himmelspforte klopfen lassen, dazu kommen noch zahlreiche Alkoholsuchtrückfälle und das erst kürzlich medial verbreitete Outing, als 15-Jährige am Disney-Set von einem Co-Star unfreiwillig entjungfert worden zu sein. Wie viele Rückschläge, wie viel Leid kann eine so junge Seele ertragen? Lovato entschied sich noch 2018 für die Devise „Angriff ist die beste Verteidigung“ und begann an einem ambitionierten Doppelprojekt zu arbeiten. Einerseits an der derzeit laufenden, vierteiligen YouTube-Reihe, die sich schonungslos und detailliert mit der Überdosis, dem Beinahe-Tod und dem Kampf zurück ins Leben befasst, andererseits mit dem ersten Album seit viereinhalb Jahren, das laut Lovatos Eigenangabe der „inoffizielle Soundtrack“ für die Doku-Reihe darstellt, in der nicht nur Familie und Freunde zu Wort kommen, sondern auch Sir Elton John oder Christina Aguilera.

Konzeptioneller Aufbau
Dementsprechend ist „Dancing With The Devil… The Art Of Starting Over“ auch ein astreines Konzeptalbum in einer Zeit, wo Spotify-Singles die Streaming-Listen dominieren und eine ganze Generation das aufmerksame Zuhören und Erfassen von umfassenden Zusammenhängen zunehmend zu verlieren scheint. Doch Lovato befindet sich selbst im Zwischenraum. Zu alt und uncool für die Generation Billie Eilish, aber nicht alt genug, um jene mitzureißen, die sich von den Lebenswellenbewegungen einer Britney Spears schockiert zeigen. Entsprechend frei und ungebunden konnte Lovato samt neuem Management und Plattenfirma ihren Visionen folgen und mit möglichst wenig Druck und Erwartungshaltung ans Werk gehen. Das etwa erst der vierte Song das „Intro“ ist, ist kein Presswerkfehler. Die ersten drei Songs „Anyone“, „Dancing With The Devil“ und „I.C.U. (Madison’s Lullabye)“ drehen sich um das tragische Ereignis, aber dem „Intro“ beginnt die Verwandlung und Lovato verarbeitet das Ereignis und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.

Die klare Offenheit kommt für die Lovato-Fanschar weniger überraschend als mancher glauben möge, denn ein wesentlicher Stützpfeiler ihres jahrelangen und weltweiten Erfolgs war das gläserne Leben, das man als Promi in der Social-Media-Ära pflegen muss. Schon 2016 wusste sie in einem mitreißenden Statement: „Ich bin nicht für die Medien und dieses Business gemacht“. Doch the show must go on und „Dancing With The Devil“ ist als Doku- und Albumdoppeldecker Lovatos persönliches Opus Magnum, an dem sie künftig gemessen werden wird, sich aber vor allem selbst wird messen müssen. Gerade die drei ersten Songs, die sich um Lovatos dunkelste Tage der jüngeren Vergangenheit drehen, stecken so voller Angst und Ungemütlichkeit, dass einem auch beim Hören bange und schwitzig werden kann. Die 28-Jährige changiert später geschickt zwischen den Stilen und vereint ihre Liebe zum 90s Pop leichtfüßig mit R&B, Soul und partiellen Country-Zitaten. Lovato umgeht auf „Dancing With The Devil…“ glücklicherweise den Fehler, sich klanglich zu sehr in den Mainstream ziehen zu lassen und weiß durchaus mit Abwechslung zu fesseln.

Chronologisch und thematisch
„The Art Of Starting Over“ und „Lonely People“ starten mit sehr viel Rock-Gestus und einer coolen Nonchalance sehr flott in das dominierende „Heilungskapitel“ des Albums. Bei den Essstörungssongs „The Way You Don’t Look At Me“ und „Melon Cake“ geht es vor allem stimmlich kraftvoll, klanglich aber melancholischer und kraftvoller ans Werk. Lovato listet mal chronologisch, mal thematisch die inhaltlichen Kapitel ihrer verkorksten letzten Jahre auf und versucht dabei vielmehr sich selbst zu finden, als ihren Hörern und Fans ein gutes Vorbild zu sein. Interessanterweise sind gerade die Feature-Tracks noch die Schwächeren. Ariana Grande wirkt in „Met Him Last Night“ irgendwie unnötig, der australischer Singer/Songwriter Sam Fischer bei „What Other People Say“ etwas deplatziert. Die Highlights: der mitreißende Opener, das ohrwurmträchtige „Carefully“ und der melodische Pop-Schlenker in „California Sober“, wo sie zugibt, sich auch weiterhin Alkohol und Cannabis zu gönnen, aber alles mit Maß und Ziel. Möge ihr das Vorhaben gelingen, Marketingausnützung hin oder her. Demi Lovato hat Frieden und Gesundheit genauso verdient wie wir alle.

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