Neues Album „Evermore“

Taylor Swift und die Quadratur ihres Kreises

Musik
14.12.2020 06:00

Und sie hat es wieder getan - wie schon im Sommer kündigte Pop-Queen Taylor Swift unlängst wieder ein Album einen Tag vor Veröffentlichung an. „Evermore“ ist die „kleine Schwester“ des sommerlichen Folk-Rock-Überraschungshits „Folklore“ und stammt aus denselben Songwriting-Sessions. Mit dem einstündigen Werk gelingt Swift die Quadratur ihres ganz persönlichen Kreises.

(Bild: kmm)

2020 war wahrlich kein gutes Jahr. Weder für die Welt im Allgemeinen, noch für das Musikbusiness im Speziellen. Erste in den Äther geschossene Jahresbestenlisten lassen bereits darauf hindeuten, dass die jeweiligen Fachredakteure wohl händeringend Highlights suchen mussten. Es ist in gewisser Weise ein Paradoxon des Geschäfts, dass im Jahr des erzwungenen Daheimbleibens mit der größtmöglichen Zeit für persönliche Kreativität so wenig Wertiges veröffentlicht wurde. Im besten Fall (und das hoffen wir stark) halten die Künstler und Bands ihr bestes Material zurück und gehen erst damit raus, wenn man es wieder gewinnträchtig betouren kann. Im schlimmsten Fall breiten wir einfach einen Mantel des Schweigens über dieses Schandjahr und beten für eine bessere Zukunft. Aber selbst in die dunkelsten Ecken fällt bekanntlich hier und da ein Lichtstrahl und da kommt Taylor Swift ins Spiel. Als sie vor fünf Monaten über Nacht das Album „Folklore“ veröffentlichte, erschütterte sie damit die Musikwelt in ihren Grundfesten.

Souveräne Königin
Angeleitet von The National-Songwriter Aaron Dessner zeigte sich die frivole Pop- und (früher) Country-Königin von ihrer verletzlichen, eben folkloristischen Seite und triumphierte auf allen Ebenen. Der einzige Schönheitsfehler war der Veröffentlichungszeitpunkt, hätten die filigranen, entschlackten Songs doch viel besser zum Herbstlaub gepasst als zum strahlenden Sonnenschein. Ansonsten zeigte die bald 31-Jährige aber eindrucksvoll, warum sie die Königin ist. Fast die komplette Mainstream-Konkurrenz veröffentlichte heuer Alben, niemand konnte Swift das Wasser reichen. Lady Gaga? Ein biederer Retro-Aufguss ihrer Bubblegum-Pop-Großzeiten. Dua Lipa? Gut gelungen, aber das hat Madonna in den 80ern auch schon fein hingekriegt. Miley Cyrus? Super Ansätze, aber Abzüge in der B-Note. Katy Perry? Reden wir lieber erst gar nicht darüber… Und dann eben Taylor. Atmosphärisch dicht. Reduziert. Wuchtig, aber nicht opulent. Verspielt, aber nicht überproduziert. Eine Neuerfindung mit Stil und Grandezza - und enormen kreativen Output.

Wenige Tage vor ihrem 31. Geburtstag beschenkte Swift sich und ihre Fans mit „Evermore“. Sie habe so viel Kreativität verspürt, dass sie gar nicht mehr aufhören konnte an Songs zu schreiben, sodass nach „Folklore“ noch genug Material für eine weitere Stunde, weitere 15 Songs der Pop-Queen im Erwachsenenmantel blieb. Wieder hauptsächlich mit Dessner und Genie Justin Vernon/Bon Iver geschrieben, wieder mit ein paar Gästen aufgefettet und wieder mit dieser sanftmütigen Reduktion, die ihr trotz schlagzeilenträchtigen Krawallmachens im realen Leben viel besser zu Gesicht steht. Nur Familie, Projektbeteiligte und die Leute, mit denen sie im Bett war hätten von diesem zweiten Projekt gewusst, diktierte sie geifernden Journalisten. Ein bisschen mit Augenzwinkern, um ihr eigenes Klischee durchzubrechen, freilich aber auch ein bisschen mit dem Vorsatz, die ruhige Songvertonung möglichst laut zu bewerben. In der Zeit des höher, schneller, weiter muss man auch an der Genre-Spitze Säbelrasseln, um allumfassend bemerkt zu werden.

Streichelweich
Konträr dazu die musikalische Umsetzung auf „Evermore“. Viele, sanft gezupfte Akustikgitarren, Lagerfeuer-Atmosphäre im verschneiten Frühwinter, sanfte Mandolinen, dezent behandelte Piano-Tasten und streichelweiche Percussion. Im Zentrum steht Swifts gehauchtes Timbre, das im entschleunigten Einsatz wesentlich mehr Erotik verspürt, als wenn es überdreht mäandernde Beats zerschreit. Das Schwesternalbum krankt - freilich auf hohem Niveau - aber genau am Erwartbaren. Dass nämlich auf dem Erstwerk „Folklore“ die stärksten Songs steckten. Schließlich halten nur wenige Bands (Oasis anyone?) ihre stärksten Songs auf Outtakes und B-Seiten zurück. „Evermore“ beginnt mit „Willow“, „Champagne Problems“ und „Tolerate It“ sogar ziemlich medioker. Nur das eindringliche „Gold Rush“ weiß im ersten Albumdrittel voll zu überzeugen, aber je mehr Zeit vergeht, umso mehr kann man in Swifts träumerische Soundkaskaden einfließen. „No Body, No Crime“ hat sie mit dem populären Schwestern-Trio Haim ungemein einnehmend inszeniert, das Duo „Coney Island“ mit Matt Berninger von The National ist dann sowieso ein untrüglicher Volltreffer.

Das Überraschungsmoment von „Folklore“ ist bei „Evermore“ natürlich nicht mehr gegeben, was dem Album aber nicht zum Nachteil geraten sollte. Dennoch sind die Kompositionen auf dem neuen Album deutlich mehr auf Sicherheit gebürstet und auch nicht mehr ganz so intim und verletzlich wie es Songs der Marke „Epiphany“ oder „August“ auf dem Sommeralbum angedeutet hatten. Freilich wäre es zu viel verlangt, bei über zwei Stunden Songmaterial durchgehend Brecher zu fordern, doch Songs wie „Cowboy Like Me“ hätten die „Folklore“-Qualitätskontrolle nicht einwandfrei bestanden. Im Hintergrund hört man hier übrigens Marcus Mumford säuseln, was aufgrund des beispiellosen Abfalls seiner Hauptband durchaus als beste künstlerische Leistung seit Jahren angesehen werden kann. „Evermore“ weiß - ähnlich wie die große Schwester - vor allem als Gesamtpaket zu überzeugen. Die dichte Atmosphäre lässt sich am besten genießen, wenn man nicht auf die Tracklist schielt, sondern gemütlich auf der Couch ausstreckend die Augen schließt. Jetzt passt auch die Jahreszeit zur bedächtigen Instrumentierung.

Hoffnung und Lebensmut
Die nun doppelt erfolgte Transformation vom krachenden Pop zum Alt-Rock-Bereich steht Swift weiterhin extrem gut zu Gesicht und man möchte ihr raten, sich dringend in diese Richtung weiterzubewegen. Die ganz großen Massen im Mainstream erreicht man mit ausschließlicher Selbstverwirklichung aber nur selten und so wird sich auch in Zukunft die Diskussion stellen, ob sich die 31-Jährige lieber als ernsthafte Musikerin mit Nachhaltigkeit inszenieren möchte, oder die vielen Millionen Teenager mit ihrer nachvollziehbaren Liebe zu leichtfüßigem Pop erfreut. In einem Song wie „Long Short Story“ zeigt die Amerikanerin jedenfalls, dass es sogar möglich könnte, künftig beide Welten kongruent zu vereinen. Damit würde sie sich nur noch weiter von ihrer zumindest in diesem Jahr schwächelnden Konkurrenz absetzen können. „Evermore“ ist das tröstliche und Hoffnung spendende Album, dass wir in der global bislang schlimmsten Corona-Phase brauchen, um Lebensmut und Kampfgeist aufrechtzuerhalten. Sollen die anderen ruhig in der Disco tanzen, Swift ist den anderen kreativ längst enteilt.

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