Am 15. Mai 1955 präsentierte Leopold Figl den begeisterten Massen den Staatsvertrag. Es war ein zähes Ringen um die Unabhängigkeit. Ein beteiligter Zeitzeuge erinnert sich.
Franz Matscher sitzt vor dem großen Bild in seinem Wohnzimmer in Wien. Was es zeigt, hat nicht nur sein Leben, sondern ganz Österreich geprägt: die Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere. Franz Matscher nennt Namen der Teilnehmer. Unter ihnen die Hauptdarsteller, die Außenminister Figl, Molotow (Sowjetunion), Dulles (USA), MacMillan (Großbritannien), Pinay (Frankreich).
Auch Franz Matscher ist auf dem Bild. Der Jurist war im Außenamt beschäftigt, an den Verhandlungen beteiligt und fungierte auch als Übersetzer ins Französische und Englische. Und er stand auf dem Balkon des Schlosses Belvedere, als Leopold Figl den jubelnden Massen den Staatsvertrag präsentierte. „Es war eine unglaubliche Begeisterung in der Bevölkerung“, erinnert sich der 1928 in Südtirol geborene Rechtsprofessor. „Für uns, die Verhandler, war es nur noch Formsache.“ Die heikle Phase, sagt Matscher, war jene davor. Die zähen Verhandlungen um die Freiheit.
Das Gerangel um die Mitschuld Österreichs
Lange bewegte sich nichts. Doch angesichts des sich verschärfenden Kalten Krieges wollte die Sowjetunion nicht, dass Teile Österreichs an den Westen fallen könnten. „Also waren sie entgegenkommend. Molotow gab letztlich den Ausschlag. Damit war es erledigt.“ Es ging dabei auch um den heiklen Absatz in der Präambel, wonach Österreich Kriegsschuld treffe.
„Das wollten wir unbedingt raushaben. Letztlich war es ein Abschiedsgeschenk der Alliierten.“ Die haben übrigens auch etwas bekommen: jeder Außenminister einen Steirerhut. Nur Molotow wollte seine Hutgröße nicht angeben. „Das war offenbar Staatsgeheimnis. Wir haben ihm dann drei Größen übermittelt“, sagt Matscher und lacht.
„Österreich ist frei“
Der Eisbrecher aber war Leopold Figl. „Er war ein Meister der Menschenkenntnis und im Umgang mit Menschen.“ Vor allem die Sowjets konnte er für sich gewinnen. Obgleich politisch als Christlichsozialer den Kommunisten völlig fremd, schätzten sie seine bäuerliche Herkunft und Art (ebenso wie jene von Kanzler Raab). „Das mochten sie. Mit dem intellektuellen Sozialisten Kreisky konnten sie nichts anfangen.“ Figl genießt den Augenblick, in dem er den Vertrag unterzeichnet. „Österreich ist frei“, sagt er danach. Der ehemalige Bauernfunktionär im Ständestaat und spätere KZ-Häftling, der nur knapp der Todesstrafe entging, wird zur Symbolfigur österreichischer Freiheit.
Übrigens: Die Feder, mit der der Staatsvertrag unterzeichnet wurde, hatte Franz Matscher in seinem Besitz. „Irgendwann habe ich sie meinem Enkel geschenkt.“
Erich Vogl und Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung
Kampf um die „Nation“
Historiker Ernst Bruckmüller über die Schwierigkeiten Österreichs, ein eigenständiges Bewusstsein zu entwickeln.
Das Problem Österreichs nach dem Krieg war, sagt der Historiker Ernst Bruckmüller: „Wie lässt sich die Emotion für diesen neuen Staat erzielen?“ Es musste ein Österreichbewusstsein entstehen, eine Liebe, eine Art Stolz. Ein erster Versuch nach dem Krieg war eine gemeinsame Zeitung der Parteien gewesen. „Das Neue Österreich“, unter der Leitung des Kommunisten Fischer. Ein zweiter großer Versuch war die Feier „950 Jahre Österreich“ - Bezug nehmend auf die Ostarrichi-Urkunde 996. „Man versuchte, der neuen Republik alten Glanz zu verleihen. Ein sinnvoller Anker. Es gab große Feiern, eine große Rede von Renner.“
Bruckmüller sagt, dass Kanzler Renner generell viel zu verdanken sei. „Er war ein typisch österreichisches Schlitzohr, aber auch einer, der angepackt hat, obwohl er schon 75 war.“ Zwei von drei Parteien seien österreichisch-national gewesen, die KPÖ und die ÖVP, bei der SPÖ kam das erst in den 1950er-Jahren. Zu dieser Zeit gab es auch erste Umfragen - ob sich die Menschen als Österreicher fühlen oder als Deutsche. „Da war es noch sehr ausgeglichen“, sagt Bruckmüller.
Nach dem Staatsvertrag gab es zwar eine Rückkehr der Deutschnationalen (die FPÖ wurde als Folge der Auflösung des VdU gegründet), doch sukzessive sei Österreich immer mehr als eigenständige Nation empfunden worden. „Heute ist diese Frage kaum mehr Thema. Auch die Einführung des Nationalfeiertages 1965 war da sehr wichtig.“
Kronen Zeitung
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