Trauer und Anklage

“Und keiner hat Schuld” – Duisburg gedenkt der Toten

Ausland
26.07.2010 14:07
Die Lichter von Hunderten Kerzen sind an jener Stelle, an der am Samstag bei der Loveparade Menschen zu Tode kamen, schon aus der Ferne zu sehen. Fast auf der ganzen Breite ist der Gehsteig in Duisburg gefüllt mit Grablichtern, Blumen, Plüschtieren, Briefen - und Anklagen. "Und keiner hat Schuld - jeder Vollidiot hätte es besser gewusst", hat etwa jemand in Druckbuchstaben auf ein Stück Pappe gemalt.

Eine Mutter mit Baby auf dem Arm verharrt vor dem Kerzenfeld. Männer reden leise und kopfschüttelnd aufeinander ein. Ein junger Mann in schwarzem T-Shirt zündet mit zittrigen Händen eine rote Grabkerze an und schluchzt laut auf, als er sie zu den anderen Lichtern auf den Boden stellt. Ein Mann mit zum Zopf gebundenem grauem Haar steigt vom Rad ab, zieht eine Grableuchte aus der Tasche und bleibt still stehen.

"Jeder konnte sehen, dass das nicht aufgeht"
Als die Rede auf die Todesfalle Loveparade kommt, gerät der 73-jährige Beislwirt in Rage. "Jeder konnte sehen, dass das Konzept nicht aufgeht." Und für die Pressekonferenz der Verantwortlichen vom Sonntag hat der Grauhaarige nur ein Wort übrig: "Lächerlich!" Die Stimmung ist eindeutig - die Trauernden finden, dass die Stadtoberen sich aus der Verantwortung stehlen. "Das ist doch eine Schande für die Stadt Duisburg", empört sich ein 50-Jähriger. "Die drei, die da gesessen sind, sollen zurücktreten."

Der große Zugangstunnel zum Gelände der Loveparade, ist immer noch für Autos gesperrt. Auch hier haben die Menschen Kerzen angezündet und Blumen abgelegt. Jemand hat eine Skulptur aus Eis aufgestellt mit der Aufschrift: "In tiefer Trauer" (im Bild oben). Die Plastik schmilzt im Sommerwetter, die Wassertropfen sehen aus wie Tränen.

"Duisburg schäme dich"
Die Fahrbahn zeigt die Spuren des gigantischen Rettungseinsatzes nicht mehr - weggekehrt sind die unzähligen Gummihandschuhe, die Infusionsflaschen, die blutigen Kompressen, die Wärmedecken für die geschockten Opfer. Doch an einer Lücke zwischen den Tunnelteilen hat jemand ein Plakat aufgehängt: "DU schäme dich - in tiefer Trauer". DU ist das Autokennzeichen für Duisburg.

Der Musiker Kiss Djata zieht mit der Gitarre über der Schulter in die Karl-Lehr-Straße. Der Duisburger stammt aus Togo und versteht die Verantwortlichen nicht: "Kein Einziger hat gesagt: Entschuldigung." Er hat vor dem Kerzenfeld ein Lied darüber gesungen: für die "Opfer, Verletzten, Teilnehmer und Angehörigen - Entschuldigung".

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