Live in der Arena

Chromatics: Ein Substitut für das große Mysterium

Musik
11.10.2019 07:00

Das Portland-Kollektiv Chromatics gehört seit mehr als einer Dekade zu den spannendsten und verträumtesten Synthie-Pop-Bands mit cinematischem Einschlag. Die Band rund um Mastermind Johnny Jewel und Goldstimme Ruth Radelet kommt mit dem brandneuen Album „Closer To Grey“ kommenden Montag in die Wiener Arena.

(Bild: kmm)

„Musik ist Medizin“, pflegt Chromatics-Mastermind Johnny Jewel in seinen raren Interviews gerne zu sagen. Und Medizin muss man manchmal eben auch spontan verabreichen, wenn es die Situation verlangt. Nur einen Tag vor der Veröffentlichung haben die Amerikaner unlängst ihr neues Studioalbum „Closer To Grey“ angekündigt und damit die Synthie-Pop-Szene rund um den Globus in nervöse Schnappatmung versetzt. In Zeiten der künstlerischen Selbstständigkeit und veränderter Marktmechanismen kann man sich derart anarchische Schachzüge schon mal erlauben, zumal das Material des Quartetts ohnehin auf Jewels eigenem Label Italians Do Better erscheint und dadurch schon ganz automatisch aus jedem Branchen-Regelwerk fällt.

Tragische Geschichte
Solche Aktionen sind im Zeitalter von Frank Ocean oder Rihanna zwar keine Sensation mehr, doch bei den Chromatics herrscht eine etwas andere Vorgeschichte, die wenig mit Glitzer und Glamour zu tun hat. Das letzte, und famose, Studioalbum „Kill For Love“ hat nämlich schon sieben Jahre auf dem Buckel, weil danach so ziemlich alles in die Hose ging. Anfang Dezember 2014 kündigte die Band den Nachfolger „Dear Tommy“ an und schoss mit „Just Like You“, „I Can Never Be Myself When You’re Around“ und „In Films“ sogar drei Vorab-Singles in den Orbit. Weitere Anzeichen für eine baldige Veröffentlichung folgten, bis Jewel im Spätherbst 2015 beim Schwimmen ein tragisches Nahtoderlebnis hatte und die Uhren noch einmal zurück auf Null stellte.

2017 wurde berichtet, dass er das bereits fixfertig eingespielte Werk bereits im Jänner 2016 vollständig zerstört hätte - als Ergebnis seines traumatischen Erlebnisses. In Zahlen gegossen bedeutet das nicht weniger als 15.000 zerstörte CDs und 10.000 zerstörte Platten. Dazu hat er die veröffentlichten Songs auch noch so gut als möglich aus dem World Wide Web genommen, um sich möglichst komplett davon lösen zu können. Ob diese Gerüchte auch wirklich stimmen und falls ja, was Jewel wirklich zu diesem drastischen Schritt bewog, das könnte ein Geheimnis für die Ewigkeit bleiben. Stand Mitte Oktober 2019 ist „Dear Tommy“ jedenfalls noch immer ein Geisteskonstrukt des exzentrischen Masterminds, das bis auf Weiteres darauf wartet, das Licht der Welt erblicken zu dürfen. Egal, ob nun mit alten oder völlig neu geschriebenen Songs. Jedenfalls winkt Brian Wilsons „Smile“ amüsiert aus der Ferne.

Stimmstarkes Konstrukt
„Closer To Grey“ ist zum Glück die längst fällige Ersatzdroge, die man nonchalant als siebentes Studioalbum tituliert, obwohl es eigentlich das sechste ist. Der Trennungsschmerz des unveröffentlichten „Dear Tommy“ dürfte also doch größer sein als geahnt, doch auch das Substitut weiß mit cinematischen Klangbögen und einer herrlich technoiden Atmosphäre zu überzeugen. Kein Wunder, dass die Chromatics von David Lynch offiziell „Twin Peaks“-geadelt wurden und sich auch sonst gerne in düster-melancholischen Filmen und Fernsehserien erwähnt wissen, denn die Mischung aus analogem 80er-Dreampop und futuristischen Synthesizerklängen beherrschen sie wie kaum jemand anders. Getragen wird das feine Konstrukt von der anheimelnden Stimme Ruth Radelets, die sich mit jeder Faser ihres Körpers und ihrer Tonalität perfekt an den Grundsound schmiegt.

Wer als Opener eine Coverversion wählt, der fürchtet sich jedenfalls vor nichts. Simon & Garfunkels „The Sound Of Silence“ im Synthie-Gewand klingt jedenfalls um Welten besser und eindringlicher als die überhypte Schreihals-Version von Disturbed, mit „On The Wall“ huldigt man, stilistisch schon passender, auch noch den großen Jesus And The Mary Chain. Wie gut die Chromatics Gitarrenmusik ihrer Essenz berauben können, ohne sie zu zerstören, zeigten sie weiland schon eindrucksvoll mit Neil Youngs „Hey Hey, My My“. Das Discolicht schimmert die meiste Zeit auf Sparflamme, eine wohlig-warme Atmosphäre ist dem Kollektiv aus dem Indie-Musikmekka Portland, Oregon weitaus wichtiger. Dass man die im Frühjahr ausgekoppelte, grandiose Single „Time Rider“ erst gar nicht auf das Album gepackt hat, ist schade, aber auch bandtypisch exzentrisch. Nicht nur wer „Stranger Things“ schaut und die „Goonies“ aus dem verstaubten DVD-Regel holt, sollte sich am 14. Oktober in die Arena begeben. Dort spielen die Chromatics nämlich ein exklusives Österreich-Konzert. Karten für das Highlight gibt es unter www.oeticket.com oder am Konzerttag an der Abendkassa.

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