„Ist doch Blödsinn“

Die Sicherungshaft als Weg in den Polizeistaat?

Österreich
07.03.2019 11:58

Die Regierung hat sich am Mittwoch auf die Details zur geplanten Sicherungshaft für potenziell gefährliche Asylwerber geeinigt. Während die Opposition skeptisch bleibt, warnen Richter und Anwälte vor den türkis-blauen Plänen. Für Verfassungsrechtler Bernhard Raschauer ist die vorsorgliche Festnahme von Asylwerbern hingegen problemlos machbar. Österreich nutze seine Möglichkeiten hierfür nur seit vielen Jahren nicht aus, sagte er jetzt in einem Interview mit der Rechercheplattform Addendum.

Wie berichtet (siehe auch Video unten) sollen nach den Plänen der Bundesregierung künftig Beamte des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) die Sicherungshaft über potenziell gefährliche Asylwerber verhängen dürfen, binnen 48 Stunden folgt dann eine richterliche Einschätzung.

Opposition bleibt bei Regierungsplänen skeptisch
Jetzt gilt es, die Opposition zu überzeugen, ist doch deren Zustimmung für die Umsetzung notwendig. Die Richtervereinigung befürchtet indessen einen breiten Eingriff in die Freiheitsrechte über Asylwerber hinaus und die Rechtsanwaltskammer hält die Pläne für „brandgefährlich“.

Und auch Verfassungsrechtler Theo Öhlinger sieht die Pläne weiter skeptisch. Letztlich werde die Detailformulierung entscheiden, ob das Gesetz halte. Notwendig sei jedenfalls laut Öhlinger nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch europarechtlich, dass ein substanzieller Verdacht auf strafbare Handlungen vorliege - entweder auf schon begangene oder konkret geplante. Dies müsste im Gesetz klar zum Ausdruck kommen.

Addendum sprach indessen mit Bernhard Raschauer, emeritierter Professor für Verwaltungs- und Verfassungsrecht an der Universität Wien, über das weiter strittige Thema Sicherungshaft. Raschauer hatte 2016 für das Innenministerium eine Studie erstellt, in der die Asylgesetzgebung in der Schweiz und Deutschland untersucht wurde. Die Rechercheplattform befragte den Experten ganz konkret zu den Ängsten, wonach mit der Sicherungshaft der Polizeistaat komme.

Zu sagen, „das ist alles gegen die Menschenrechte“, will Raschauer jedenfalls nicht so stehen lassen. „Der Teufel, der da an die Wand gemalt wird, das ist doch Blödsinn. Tatsächlich denkt niemand daran, festzustellen, dass man sich künftig von einem Psychologen bestätigen lässt, dass jemand aussieht wie ein Verbrecher, um ihn festnehmen zu lassen.“

Der Rechtsexperte ortet das Problem vielmehr bei der heimischen Rechtslage. So würden die Europäische Menschenrechtskonvention und das EU-Recht mehr Festnahmegründe vorsehen als in Österreich umgesetzt seien. „Und jetzt könnte man aus gegebenem Anlass darüber nachdenken, ob wir uns nicht der europäischen Rechtslage anpassen wollen“, so Raschauer, der die Schweiz als Beispiel heranzieht.

Dort könne „ein Fremder unter bestimmten Umständen aus Gründen der Sicherheit für längstens sechs Monate inhaftiert werden. Und das ohne richterliche Anordnung, sondern mit nachträglicher richterlicher Überprüfung. Rechtsgrundlage ist Artikel 75 Schweizer Ausländergesetz, der spricht von einer solchen Vorbereitungshaft“, argumentiert der Verfassungsrechtler.

„Da müssen wir jetzt nichts Neues erfinden“
Er verweist darauf, dass es sechs Tatbestände in der EU-Aufnahmerichtlinie gibt, „davon haben wir zwei umgesetzt. Bei uns sagen jetzt manche, ‚Aber das geht doch nicht‘, ‚Das kann man nicht‘ und so weiter.“ Haft aus Gründen der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung sei aber auch möglich, „da müssen wir jetzt nichts Neues erfinden“.

Dass die EU-Aufnahmerichtlinie nicht eins zu eins umgesetzt wurde, begründet Raschauer mit dem Bundesverfassungsgesetz über die persönliche Freiheit, „das ist strenger als das EU-Recht und die Europäische Menschenrechtskonvention“. So gebe es zwar das Mittel der Schubhaft, wenn es Indizien dafür gibt, dass die Außerlandesbringung nicht gesichert ist. Jetzt gehe es aber um Antragsteller, die etwa „im Flüchtlingsheim durch Aggression aufgefallen sind, wegen denen es schon Polizeieinsätze gegeben hat, die einen Beamten bedrohen, vielleicht in der Vergangenheit einen Beamten verletzt haben, oder der Beamtenschaft pauschal den Krieg erklären. Ohne dass klar ist, dass sie sich einer Abschiebung entziehen“, so Raschauer.

In der Schweiz oder auch in Deutschland könne der oder die Betroffene festgenommen werden, obwohl eine Abschiebung noch nicht im Raum steht. Das sei, so der Experte, gewissermaßen eine „Auffangermächtigung“ zur Festnahme. Wobei nicht pauschal alle eingesperrt werden sollen, wie er zugleich betont. Derzeit habe man in Österreich aber „nicht einmal die Möglichkeit dazu, jemanden einzusperren, der ein Sicherheitsrisiko darstellt. Das können wir nicht, solange wir uns diesen Alleingang in Form des Bundesverfassungsgesetzes über die persönliche Freiheit leisten.“

Experte sieht keine „Einbahnstraße in Richtung mehr Festnahmen“
Fazit des Verfassungsrechtlers: „Man wird also die Verfassung anrühren müssen, nicht die Europäische Menschenrechtskonvention.“ Eine solche Haft habe eine Sicherungswirkung und auch ein strafrechtliches Element. „Aber sie ist keine Strafhaft und darf es auch nicht werden“, so Raschauer, der jedenfalls keine „Einbahnstraße in Richtung mehr Festnahmen“ sieht.

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