Live im Gasometer

Marsimoto: Zwischen Fantasie und Realität

Musik
01.03.2019 01:32

Rund 2000 Fans sollen Donnerstagabend im Wiener Gasometer vorbeigeschaut haben, um ihren grüngefärbten Rap-Helden Marsimoto zu feiern. Das zwanglose Alter Ego des Rostocker Erfolgsrappers Marteria überzeugte mit viel Authentizität und einer ordentlichen Hitpalette.

(Bild: kmm)

Der heutigen Jugend sagt man nur allzu gerne nach, viel konservativer als ihre Elterngeneration zu sein. Eine Tschick im Beisl? Pfui, deibel. Was? Du hast schon wieder zwei Bier zu viel getrunken? Also „Beidl“ darf man aber wirklich nicht sagen! Politische (Über)Korrektheit in allen Lagen. Dass es doch auch anders geht, beweist ein trashgeschmackssicheres Publikum im Wiener Gasometer. Im „Green Wien“, wie ihr unentwegt über die Bühne fegender Held Marsimoto mit verschmitztem Lachen sagen soll, da dürfen ruhig noch die Blunts gerollt werden und das THC durch die Lüfte wabern. Ganz voll kriegt die marsianische Kunstfigur mit dem grünen Ganzkörperanzug die Halle aber nicht. Da die Opernballdemonstrationen heuer scheinbar ausfielen, haben sich womöglich doch ein paar Unentschlossene für das ein Kilometer entfernte Modeselektor-Konzert in der Wiener Arena entschieden. „Marsi“ und seinen bouncenden Jüngern ist das freilich egal, denn wo drüben die Beats drücken und die Visuals blenden, huldigt er mit seiner hochgepitchten Stimme lieber dem Dolce Vita im Amsterdam-Style.

Nicht nur Nonsens
Hinter Marsimoto steckt freilich der kommerziell erfolgreiche Rostocker Marteria. Sein grünes Alter Ego hat er einerseits erfunden, „damit Deutschland wieder träumen kann“, andererseits hat der juvenile Publikumsliebling schon früh ein Ventil gebraucht, um neben all der politischen und gesellschaftskritischen Lyrik auch den Nonsens zu zelebrieren. Doch Obacht! Auch Marsimoto kann gesellschaftlich wertvoll sein. Etwa wenn er vor begeisterter Kulisse den „Nazi Döner“ besingt, „Friede sei mit dir“ skandiert oder latent zur „Anarchie“ ausruft. Während der als Marten Laciny geborene Allrounder in seinem realen Leben die eigene Persönlichkeit über die Bühne trägt, kann er sich als Marsimoto hinter Nebelschwaden und wahlweise roten oder meist grünen Lichteffekten verstecken. Es herrscht eine ganz eigene Form von Zwanglosigkeit, die sich auf seinem aktuellen, auch schon vor knapp einem Jahr veröffentlichten Studioalbum „Verde“ widerspiegelt, vor allem aber auf dem von den Fans hochgeliebten 2012er-Werk „Grüner Samt“.

Kein Wunder, dass der Zeremonienmeister davon sogar einen Song mehr spielt als von seinem neuen Album. Der Titeltrack, „Ich Tarzan, du Jane“, „Indianer“ oder „Wellness“ kann hier jede Kehle inbrünstig mitsingen. Falls einmal kurz die Stimme stockt oder auf das Einatmen vergessen wird, gibt’s ja immer noch die gute Tüte, die, stets griffbereit, zur erfolgreichen Muskelauflockerung und Entspannung dient. Alle befinden sich im „Tijuana Flow“ oder in „Hollyweed“ und lassen sich einfach nur tragen von einem Künstler, der auch in unterschiedlichen Personifizierungen genau weiß, wie der Entertainment-Hase läuft. Die riesige Maske mit den weeddurchtränkten Laseraugen als Bühnenstaffage verstärkt den Eindruck, einer besonders schwungvollen THC-Messe beizuwohnen. Man muss wissen, dass das „Albino-Kaninchen mit Helium“ (wie einst die deutsche Fachpresse schrieb) ursprünglich erfolgreicher war als Marteria selbst. Hip-Hop-Doyen Jan Delay war vom 2006er Debüt „Helloziehnation“ so angetan, dass er Marterias fulminante Karriere überhaupt erst ebnete. Möglicherweise erkannte Delay Parallelen zwischen sich und Marsimotos Stimmlage…

Silhoutte im Fiebertraum
Als grüner Marsianer ist Marten ein Meister der Illusion. Immer wieder verschwindet er, taucht aus dem Nichts auf und lässt die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwimmen. Befindet man sich tatsächlich vor einem spätpubertierenden 36-Jährigen, der seinem inneren Schalk Freiheiten einräumt oder ist das alles nur ein schweißdurchtriebener Fiebertraum, weil die Kekse neben Teig und Eiern noch eine Sonderzutat beinhalteten? Vielleicht ist gerade das das große Ziel des Rostockers. Dort Verwirrung zu stiften, wo er es für notwendig erachtet und sich immer wieder Richtung „Green Granada“ abzusetzen, um sich den Nimbus der mysteriösen Silhoutte zu erhalten. Musikalisch kennt er sowieso keine Grenzen. Hip-Hop, Rap, Trap, Reggae, Dancehall-Anleihen und Elektronik vermischen sich mit herkömmlichen Saiten-Instrumenten und geben dem bunten Gebräu eine gewisse Exklusivität, die sich wundervoll mit der Pitch-Stimme vermengt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist das Mid-Tempo, das dem umnebelten Treiben eine besondere Note verleiht. Sich einmal schön gegen das System und Dogmen aufzulehnen, ist doch immer noch am Schönsten. Wenn auch nur für gut 90 Minuten.

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