Porträt des Pianisten

David Helfgott: Getriebener seiner Genialität

Musik
22.10.2018 07:00

Der 71-jährige David Helfgott gehört zu den besten, aber auch umstrittensten Pianisten der Welt. Seine einzigartige Karriere ist durchzogen von grandiosen Erfolgen und bitteren Niederlagen, von Lobpreisungen und Missverständnissen. Vor seinem Auftritt am 23. Oktober im Wiener Musikverein gewährte er uns einen kurzen Einblick in sein Seelenleben und seine Kunst.

(Bild: kmm)

Es wirkt etwas befremdlich, wenn man David Helfgott das erste Mal begegnet. Der 71-jährige Pianist von Weltformat zieht am Reißverschluss des Kapuzenpullis, startet eine Wangenkussattacke und versucht sein ihm unbekanntes Gegenüber erst einmal wortwörtlich zu begreifen. Helfgott ist nicht nur ein global gefeierter Musiker, sondern seit den späten 60er-Jahren auch mit einer besonderen Form des Autismus konfrontiert. Seine einzigartige Lebensgeschichte umfasst den Status eines Wunderkindes, Probleme mit seinem Vater, die Diagnose einer schizoaffektiven Störung und einen insgesamt elfjährigen Aufenthalt in einer Psychiatrie, verursacht von Rachmaninovs 3., wo ihm das Klavierspielen untersagt war. Für den Vollblutmusiker aus Australien war das etwa so, als würde man einem lebenden Organismus den Sauerstoff zum Existieren nehmen.

Zweite Karriere
Dank seiner zweiten Ehefrau Gillian wurde Helfgott in den 80er-Jahren das seltene Geschenk einer zweiten Karriere zuteil. All das und noch viel mehr lässt sich im Oscar-nominierten Film „Shine“ verfolgen, wo Geoffrey Rush Leben und Legende Helfgotts auf gleichermaßen respektierende, wie auch durchdringende Art und Weise nachzeichnet. „Ich bin dazu geboren, um das Piano zu spielen“, erzählt er mit gewöhnungsbedürftiger Nähe während des Gesprächs, während er stets die Hand seines Gegenübers hält. „In diesem Film wurde ich gut dargestellt und er war sicher mitausschlaggebend dafür, dass mir eine so tolle zweite Karriere zuteilwurde. Dafür bin ich unheimlich dankbar.“

Dankbarkeit ist Helfgott mindestens genauso wichtig wie Fleiß, Vertrauen, positive Gedanken und die Liebe. Er hat im Laufe seines Lebens schon so viele Aufs und Abs, Vorverurteilungen, Begegnungen und Lobpreisungen erfahren, dass er sich trotz seiner alles überstrahlenden Passion für Musik längst nicht mehr nur dadurch definiert. Helfgott strahlt aufgrund seiner psychischen Erkrankung ein Gefühl von Unschuld und Reinheit aus. Für manche mag das kindlich und naiv wirken, tatsächlich aber hat er im Gegensatz zu den meisten die wahren Prioritäten des Lebens erschlossen und scheut sich nicht davor, sie mit sympathischer Vehemenz weiterzuvermitteln. „Sei einfach glücklich bei allem, was du machst. Verbieg dich für niemanden und gehe stets mit einem Lächeln durchs Leben. Sei dir immer bewusst, welch schönes Leben du führen darfst und vergegenwärtige dir den Moment. Ich liebe die Musik, aber die Menschen in meinem Umfeld sind mir noch wichtiger.“

Alles ist zu schaffen
Er weiß, dass es ohne die bedingungslose Liebe seiner Frau und seiner fürsorglichen Familie kaum möglich gewesen wäre, aus dem krankheitsbedingten Strudel herauszukommen. Helfgott verdrängt die Probleme und Tücken des Alltags nicht, er ist nur reif genug, sich stets an die positiven Dinge zu halten und das Glas als halb voll zu betrachten. „Morgen ist morgen, aber das Leben spielt sich heute ab. Auch die Musik stellt mich nach all den Jahren immer noch vor neue Herausforderungen, doch es gibt nichts im Leben, das nicht zu schaffen wäre. Die Musik hilft dir über alle Hürden hinweg und mit der richtigen Passion überstehst du auch die schlechten Zeiten. Ich lebe meinen Traum, ist das nicht großartig? Ich versuche so gut wie möglich jede Sekunde auf dieser Welt zu genießen.“

Zeit seines Lebens wird Helfgott aber auch mit Argwohn betrachtet. Manche stoßen sich an seiner Technik, finden die originären Umsetzungen von Beethoven- oder Liszt-Sonaten hinterfragenswert, andere sind felsenfest der Meinung, der in England lebende Vollblutmusiker würde aufgrund seiner Krankheit einem Publikum bewusst vorgeführt werden. Wer aber einmal Zeuge seiner Leidenschaft wurde und sieht, mit welch überschäumender Begeisterung er zwischen sechseinhalb und acht Stunden pro Tag auf seinem Piano spielt, dem wird der wahre Charakter Helfgotts gewahr. Hier musiziert ein Getriebener seiner selbst, doch das tut er mit einer selbstverständlichen Freiwilligkeit, die keine Zweifel ob seiner Passion offenlassen. „Wenn ich Piano spiele, bin ich immer glücklich. Und je glücklicher ich bin, umso glücklicher werden die Menschen, die mir im Konzertsaal zuhören. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht etwas Neues dazulerne. Ich bin heute noch konzentrierter und kontrollierter als früher.“

Brückenbauer der Herzen
Helfgott teilt sich den Menschen durch seine Kunst mit. Er spielt nicht nur Musik, er verkörpert sie und trägt sie in Kopf, Herz und Seele spazieren - sichtbar für all jene, die ihn umgeben oder mit ihm zu tun haben. „Wenn ich am Piano sitze, dann werde ich zu einer anderen Person. Es ist wie eine Transformation. Heute habe ich aber die richtige Balance zwischen der Musik und dem Privatleben gefunden und das macht mich sehr glücklich.“ Es bleibt anzuzweifeln, ob das auch alle Menschen in seinem näheren Umfeld so sehen, doch Helfgott ist durch ein unsichtbares Band mit Klängen und Melodien verbunden. Er ist nicht nur ein Vollblutmusiker und Mensch mit dem Herz am rechten Fleck, sondern auch ein Brückenbauer und lebendiger Beweis dafür, dass einen auch Beeinträchtigungen nicht von seiner wahren Berufung abhalten können.

Davon überzeugen können Sie sich am 23. Oktober. Dann spielt Helfgott im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins und wird nicht nur Rachmaninovs legendäre 3. Zelebrieren, sondern auch Mussorgskijs „Bilder eine Ausstellung“- erstmals überhaupt in dieser Location. Karten erhalten Sie unter www.ticketkrone.at und an der Tages- und Abendkassa des Musikvereins.

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