Das große Interview

Warum sollen keine Muslime kommen, Herr Sarrazin?

Ausland
02.09.2018 06:00

Ganz Deutschland diskutiert über sein neues Buch. Provokanter Titel: „Feindliche Übernahme“ - es geht um den Islam. Empörung und Erfolg sind vorprogrammiert. Conny Bischofberger traf Thilo Sarrazin (73) in Berlin.

Wir sitzen in seinem Garten im Westen von Berlin, auf dem kleinen Holztisch liegt das druckfrische Buch. Noch bevor es erschienen war, gab es Zores. Mit dem Verlag Random House, der es nicht drucken wollte. Mit der SPD, die ihr Mitglied Sarrazin jetzt aber wirklich aus der Partei schmeißen will. „Es wird keinen Ausschluss geben“, sagt der Autor, während es sich sein weiß-schwarzer Kater Leo auf seinem Schoß gemütlich macht, „weil mein Buch dafür keine Grundlage liefert.“ Aufrecht sitzt er da, fast statisch. „Sitz grade, Junge!“ Diesen Rat seiner preußischen Mutter hat Sarrazin verinnerlicht. Grade sitzen, vor allem, wenn Seitenhiebe kommen. Die deutschen Medien haben Sarrazins Buch, das eine schonungsose Abrechnung mit dem archaischen, autoritären System des Islam ist, mehrheitlich verrissen.

„Krone“: Herr Sarrazin, Ihr neues Buch ist da, es hat fünfhundert Seiten. Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Thilo Sarrazin: Mit Unterbrechungen knapp ein Jahr. Die Hauptarbeit war gar nicht mal das Schreiben - ich bin ja kein Romanschreiber, der dasitzt, an den Nägeln kaut und dann fällt ihm der Plot ein. Die Hauptarbeit war das Zusammentragen der Fakten. Alleine das Lesen des Koran kostete mich einen Monat.

Thilo Sarrazin im Interview mit Conny Bischofberger (Bild: Alexander Bischofberger)
Thilo Sarrazin im Interview mit Conny Bischofberger

Wie war das, den Koran zu lesen?
Sehr erhellend, denn wer liest schon den Koran? Es liest ja auch keiner von uns die Bibel, wenn er ehrlich ist. Man liest immer Auszüge und ist also abhängig von dem, der diese Auszüge aufbereitet hat.

Aber Sie haben ihn ganz gelesen?
Ja, von der ersten bis zur letzten Zeile, in der Übersetzung von Rudi Paret, die vielen als die beste Übersetzung im deutschen Sprachraum gilt. Ich verstehe jetzt, was der Koran sagen will, und damit verstehe ich auch, wie viele Muslime denken.

Warum dieser provokante Titel: „Feindliche Übernahme“?
Der Arbeitstitel des Buches war „Die Gefahr des Islam“. Das war halt ein bisschen abstrakt. Und ich bin ja nun Ökonom und der Begriff der feindlichen Übernahme ist mir klar. Aber im Endeffekt ist es das, was Muslime prägt. Sie prägen mit ihrer Mentalität ein System, und wenn sie gleichzeitig an Zahl zunehmen, dann werden sie irgendwann die Gesellschaft übernehmen. Dahinter steckt kein Masterplan, das ist schlicht und einfach Mathematik.

Und warum „feindlich“?
Weil die Muslime mehrheitlich den Werten und der Grundeinstellung unserer Gesellschaft letztlich ablehnend gegenüberstehen, was ich ihnen ja auch nicht verwehren kann. Sie sind letztlich ohne Verständnis für unsere Gesellschaft.

Aber doch nicht alle. Scheren Sie da nicht 1,8 Milliarden Menschen über einen Kamm?
Wenn ich von Gruppen von Menschen spreche, haben diese Aussagen auch dann ihre Berechtigung, wenn sie nicht auf jeden einzelnen zutreffen. Tatsache ist, dass 50 bis 90 Prozent aller Muslime, die in Deutschland, Österreich und Europa leben, letztlich einer wörtlichen Interpretation des Islam anhängen und in Wahrheit Fundamentalisten sind. Dieser Anteil nimmt leider bei der jüngeren Generation zu. Mich hat am meisten der Punkt interessiert: Was ist denn am Islam, was die Muslime in so besonderer Weise prägt?

Auf die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, sagten Ihr ehemaliger Bundespräsident, die Kanzlerin und viele andere Spitzenpolitiker „Ja“. Was sagen Sie?
Genausogut könnte man fragen, ob die Sachertorte zu Österreich gehört. Das ist doch eine blöde Feststellung. Also wer bei uns lebt und Aufenthaltsrecht hat und vielleicht sogar Staatsbürger ist, gehört natürlich in diese Gesellschaft, ob er sich als Teil ihrer fühlt, ist eine andere Frage. Die meisten Muslime, die in Deutschland und Europa leben, sehen sich nicht als Teil des westlichen Abendlandes. Und darum geht es: Ob sie zu uns gehören wollen, nicht ob wir sie zu uns zählen.

Ihr Buch liest sich wie ein strenger Maßnahmenkatalog für Muslime. Sie fordern - so wie Orbán und andere rechte Politiker - einen Migrationsstopp, ein Kopftuchverbot an Schulen, den Abbau falscher Anreize in der Sozialpolitik und vieles mehr. 
Aber ein Migrationsstop bezieht sich ja nicht auf Menschen, die bereits legal im Land sind. Wer bei uns Aufenthaltsrecht hat, hat alle Rechte. Aber genauso haben wir das souveräne Recht - jeder einzelne Staat, wie auch Europa insgesamt - zu bestimmen, wer zu uns kommt und wer bei uns leben darf. Dieses elementare Recht sollten wir uns nicht nehmen lassen.

Kritiker nennen Sarrazins Buch „Brandbeschleuniger“. (Bild: Alexander Bischofberger)
Kritiker nennen Sarrazins Buch „Brandbeschleuniger“.

Aber wenn Menschen zu uns fliehen, muss Europa sie laut Genfer Flüchtlingskonvention aufnehmen, sonst handeln wir gegen europäisches Recht.
Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde 1951 für europäische Flüchtlinge in Europa erlassen und erst Mitte der Sechzigerjahre - ohne Not! - ausgedehnt auf die ganze Welt. Man könnte sie jederzeit auch wieder ändern.

Sie sind für eine Änderung der Flüchtlingskonvention? 
Ja, natürlich. Aber unabhängig davon ist es auch viel vernünftiger, dass man Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat unterbringt. Also: Afrikanische Flüchtlinge gehören nach Afrika, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten gehören in den Nahen Osten und afghanische Flüchtlinge gehören nach Afghanistan oder Pakistan. Dann leben sie in einer ähnlichen Kultur, was ja für sie auch ein Vorteil ist.

Warum genau sollen keine Muslime mehr nach Europa kommen?
Weil in zwei, drei Generationen aufgrund der hohen Geburtenrate von Muslimen, die bei uns leben, und wenn man den Trend der Einwanderung hochrechnet, die Mehrheit der Menschen in Österreich, Deutschland und Europa muslimisch sein wird. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir die Einwanderung stoppen. Wer gegen einen Stopp ist, nimmt das billigend in Kauf.

Herr Sarrazin, Sie haben 2010 auch geschrieben, dass Deutschland sich abschafft. Es geht Deutschland aber vergleichsweise immer noch ganz gut. Also soll man auf Ihre Prognosen hören?
Ich mache keine Prognosen, ich zeige Trends. Die Projektionen, die ich in meinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ beschrieben habe, wurden bereits durch die Wirklichkeit überholt. Wir haben bereits jetzt in Europa Städte, in denen mehr muslimische Kinder geboren werden als andere. Pew Research schätzt, dass im Jahr 2050 in Schweden mehr Kinder als Muslime geboren werden als andere Kinder. Wie es in weiten Teilen von Wien ist, können Sie selber am besten beurteilen. Wir haben Inseln, die sich mehr und mehr ausdehnen, mit der Zeit zusammenwachsen und dann haben wir geänderte Mehrheitsverhältnisse in unseren Ländern. In Berlin sind vielleicht nur acht bis zehn Prozent aller Menschen muslimischen Glaubens, aber bei den Schulkindern sind es bereits 15 bis 20 Prozent, und diese Tendenz haben wir überall. Insofern ist auch der Zeitrahmen, den ich nenne - zwei bis drei Generationen - sehr vorsichtig bemessen. Es könnten auch eineinhalb bis zwei sein.

Ist dieser Trend, wie Sie es nennen, noch zu stoppen?
Ich glaube, dass man niemals in der Geschichte etwas voraussagen kann. Es hätte auch bei Ihnen niemand geglaubt, dass Kurz mit seinen jungen Jahren Bundeskanzler werden würde. Man hätte 1988 auch niemals gedacht, dass im Jahr 1989 die Mauer fällt und dass im Jahr 1991 die Sowjetunion untergeht. Insofern: Ich beschreibe Trends und Tendenzen, und natürlich hoffe ich, dass mein Buch auch ein Weckruf ist, der dazu beiträgt, auf Dinge, die ich als gefährlich empfinde, einen anderen Blick zu gewinnen.

(Bild: Alexander Bischofberger)

Wenn nichts vorhersehbar ist, könnte es dann nicht auch sein, dass der Islam sich reformiert?
Ja, das erinnert mich an die Reformkommunisten, die haben immer gehofft, dass sich der Kommunismus ändert. Es kam dann doch nicht dazu, darum brach das System irgendwann zusammen. Die islamische Welt hat so viele ungelöste wirtschaftliche und soziale Probleme, es kann gut sein, dass irgendwann die Menschen sagen: „Also irgendwas muss doch mit unserer Religion nicht in Ordnung sein, wenn so viel bei uns schiefgeht.“ Aber ich weiß das nicht. Wir können es vor allen Dingen auch nicht von außen beeinflussen.

Was werfen Sie dem Islam konkret vor?
Fünf Punkte. Erstens: Muslime glauben, es ist dem Islam bestimmt, über die ganze Welt zu herrschen. Zweitens: Muslime halten sich deshalb für etwas Besseres, weil sie den richtigen Glauben haben, darum schauen sie auf alle Ungläubigen herab. Drittens: Weil sie meinen, dass sie der richtige Glaube vor der übrigen Welt auszeichnet, sind sie wenig bildungsorientiert, weshalb der Islam zur Rückständigkeit neigt. Und viertens: Im absoluten Zentrum der weltlichen Bestimmung für diese Religion steht die abhängige Stellung und die mindere Rolle der Frau, darum dreht sich ja alles um Sex und um Kleiderfragen und ums Kopftuch und so weiter - und das führt dazu, dass die Frauen in der islamischen Welt durchschnittlich wenig gebildet sind und früh Kinder bekommen. Und fünftens: Der Islam ist langfristig demographisch überlegen. Das ist die eigentliche Sprengkraft dieser Religion.

Füttern Sie mit all Ihren Aussagen nicht wieder die rechten Parteien? Die AfD ist in Deutschland mittlerweile auf 13 bis 17 Prozent angestiegen.
Nun, als ich das erste Mal mit meinen Analysen an die Öffentlichkeit trat, gab es noch keine AfD. Sie wurde 2013 gegründet und wurde stark mit der Willkommenskultur im Jahr 2015. Hätte damals die deutsche Politik mehr auf mich gehört und meine Analysen ernst genommen, dann hätten wir heute, nach meiner Überzeugung, keine AfD. Allerdings hätten wir auch eine andere Einwanderungspolitik. Im Grunde ist es ganz einfach: Wenn die herrschenden Parteien Themen vernachlässigen, dann suchen sich die Themen eben neue Parteien.

Wird man diesmal auf Sie hören?
Politik ist ein großes, vielstimmiges Konzert, da nehmen Hunderttausende, Millionen teil, und da ist es immer so, dass man auf die meisten nicht hört. Ich sage mal: Die Welt läuft, wie sie läuft. Sie kümmert sich einfach nicht um mich … - Ringt sich ein Lächeln ab.

Nach den furchtbaren Ereignissen in Chemnitz, wo Rechtsextreme Jagd auf Migranten gemacht haben, stellt sich da nicht die Frage, was gefährlicher ist: der Rechtsextremismus oder der Islamismus?
Es hat keinen Sinn, die Dinge gegeneinander auszuspielen. Was abstoßend ist, ist abstoßend. Punkt. Und insoweit kann man nicht die eine Gefahr kleinreden, indem man die andere vergrößert. Aber dass die Rechtsextremisten, damit meine ich jetzt die wirklichen Rechtsradikalen, rechts von der AfD, so viel Zulauf haben, liegt doch daran, dass große Teile der sogenannten normalen Menschen der herrschenden Politik nicht mehr vertrauen. Und die herrschende Politik hat durch ihren Silberblick auf die Probleme letztlich dazu geführt, dass auch die Rechtsradikalen mehr Resonanzfläche haben, als sie andernfalls hätten.

Gilt der Silberblick auch für die österreichische Regierung? 
In Österreich hat die FPÖ in weiten Teilen von Wien, aber auch in anderen Bundesländern die SPÖ als Arbeiterpartei abgelöst. Ähnliche Trends beobachten wir bei den Gewerkschaften: Wenn der sogenannte kleine Mann vor unerwünschter Einwanderung und einem Wettbewerb, den er als ungerecht empfindet, nicht geschützt wird, sucht er diesen Schutz eben anderswo. Also: Ja. Bei uns in Deutschland merkt Sahra Wagenknecht von den Linken mittlerweile die Gefahr und versucht, gegenzusteuern.

Ist das ein kleiner Seitenhieb gegen die SPÖ, die in ihrem neuen Parteiprogramm das Thema Migration als kleinen Randpunkt angeführt hat?
Ja gut, die SPÖ muss sich eben in gewisser Weise neu erfinden, wenn sie mal wieder regieren will - Lacht.

Herr Sarrazin, es gibt viele Bezeichnungen, die Ihnen schon zugedacht wurden: Aufklärer, Provokateur, Mahner, Unerschrockener. Welcher gefällt Ihnen persönlich am besten?
Das sind alles Etiketten. In der berühmten Fabel von „Des Kaisers neue Kleider“ war der Provokateur das Kind, das sagte: „Aber der Kaiser ist ja nackt!“ Aber es war die Wahrheit.

Thilo Sarrazin mit Conny Bischofberger (Bild: Alexander Bischofberger)
Thilo Sarrazin mit Conny Bischofberger

Karl Kraus hat gesagt: „Was trifft, trifft auch zu.“
Ich würde es so sagen: Was trifft, trifft einen wunden Punkt, aber es muss nicht unbedingt wahr sein.

Apropos Wahrheit: Die Medien haben Ihr Buch mehrheitlich zerrissen und Ihnen inhaltliche Fehler vorgeworfen …
Viele Kritiker haben sich schon aus Anlass meiner früheren Bücher kräftig blamiert, und ich kann sie nicht daran hindern, das jetzt zu wiederholen. Weder gelingt es den Kritikern, die von mir aufgeworfenen Fragen wegzuwischen, noch können sie meine Antworten argumentativ aus den Angeln heben. Auch die von mir genannten Fakten bleiben - bis auf einige unbedeutende Details - in der Kritik letztlich unbestritten.

Die deutschen „Grünen“ haben Ihr Buch als „Brandbeschleuniger“ bezeichnet. Gießen Sie dann, um beim Bild zu bleiben, mit dem Thema Islam Öl ins Feuer?
Wer so redet, sieht offenbar die Wahrheit als brandgefährlich an. Menschen, die so denken, sollte man keine öffentlichen Ämter anvertrauen. Ich sehe eine große Tendenz, einfach die Teile der Wirklichkeit, die einem nicht gefallen, zu verweigern. Es haben ja schon einige SPD-Politiker gesagt, dass sie das Buch unter keinen Umständen lesen werden. Dann sage ich: „Na gut, dann müssen sie eben dumm bleiben.“

Gibt es auch Parteikollegen, die sich für das Buch bedankt haben?
Ja, ganz viele. Es ist doch auch bezeichnend, dass der ehemalige Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, ebenfalls SPD, mein Buch bei der Pressekonferenz vorstellte. Und 2010 gab es eine Umfrage von M-Net im Auftrag vom „Spiegel“. Da kam raus, dass von den Sozialdemokraten über 60 Prozent es wichtig fanden, dass ich diese Themen angesprochen hatte und dass 44 Prozent mir zustimmten.

Haben Sie im Vorfeld der Buchveröffentlichung eigentlich Drohungen bekommen?
Mich haben hier keine Drohungen erreicht. Allerdings, ich lese niemals über mich selbst im Internet, insofern gehen alle Drohungen, die irgendwo im Internet ausgesprochen werden, spurlos an mir vorbei. Ich nehme sie einfach nicht zur Kenntnis.

Zur Person: SPD prüft Ausschluss Sarrazins
Geboren am 12. Februar 1945. Volkswirt, ehemaliger Politiker, Mitglied der SPD. Ab 2002 war Sarrazin Finanzsenator in Berlin, ab 2009 Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Nach Kontroversen um seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ (1,5 Millionen Mal verkauft) ließ er sich von seinen Aufgaben entbinden. Sein neues Buch „Feindliche Übernahme“ (Verlag FBV, € 25,70) nimmt die SPD zum Anlass, einen Parteiausschluss zu prüfen. Sarrazin ist mit einer pensionierten Lehrerin verheiratet und hat zwei Söhne.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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