100 Morddrohungen

D: Liberale Imamin braucht 24-h-Polizeischutz

Ausland
02.07.2017 19:14

Die Gründerin einer neuen liberalen Moschee in Berlin, die Anwältin Seyran Ates, bekommt für ihr Reformwerk jetzt die Quittung: Nach hochpolitischer Kritik aus der Türkei, wo sie die Religionsbehörde Diyanet und die Erdogan-treuen Medien in die Nähe der Gülen-Bewegung rückten, erhält Ates nun täglich Morddrohungen. Sie musste daher mittlerweile unter 24-Stunden-Polizeischutz gestellt werden. Die Anwältin selbst sieht sich von der Türkei "zum Abschuss freigegeben".

Im Juni hatte die Anwältin in Berlin die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee eröffnet und damit erwartungsgemäß nicht nur Beifall, sondern auch harsche Kritik geerntet. So kritisierte die dem türkischen Ministerpräsidenten unterstehende Religionsbehörde Diyanet die liberale Moschee scharf und rückte das Gotteshaus in die Nähe der Gülen-Bewegung, die die Türkei für den Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich macht.

Die Hasskampagne zeigte umgehend Wirkung: Gläubige meiden nun die Moschee. Einige waren auf den Bildern bei der Eröffnung zu sehen gewesen und wurden von ihrem deutsch-türkischen Umfeld sofort unter Druck gesetzt. Mittlerweile hat Gründerin Ates auch an die 100 Morddrohungen bekommen. "Über die sozialen Medien habe ich wegen der Moscheegründung so viele Morddrohungen bekommen, dass das Landeskriminalamt zu der Einschätzung gelangt ist, mich rund um die Uhr schützen zu müssen", sagte Seyran Ates nun der "Welt am Sonntag".

Laut dem Bericht soll der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf die Schließung der liberalen Moschee gedrängt haben. Bei der deutschen Bundesregierung soll eine entsprechende Forderung aus Ankara eingegangen sein. Ates bestätigte gegenüber der "Welt am Sonntag" eine solche Intervention: "Das zeigt mal wieder, welchen Geistes Kind Erdogan ist, der die Demokratie nie verstanden hat beziehungsweise sie nie wollte. Erdogan hält nichts von persönlichen Freiheiten."

Türkei will Anwältin zufolge liberale Auslegung des Islam bekämpfen
Die Anwältin vermutet, dass es der türkischen Seite darum gehe, die in der Moschee praktizierte liberale Auslegung des Islam zu bekämpfen. "Aber auf der Schiene bekommen sie uns nicht. Deshalb werden uns Gülen-Verbindungen unterstellt, um uns zu Terroristen zu erklären, die zum Abschuss freigegeben sind", so Ates.

Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee soll Sunniten, Schiiten und Anhängern anderer islamischer Glaubensrichtungen offenstehen. Männer und Frauen, die kein Kopftuch tragen müssen, können zusammen beten und Frauen auch als Vorbeterinnen auftreten.

Die Moschee trägt neben dem Namen von Johann Wolfgang von Goethe jenen des mittelalterlichen Arztes, Philosophen und Richters Ibn-Rushd, in Europa auch als Averroes bekannt. Dieser wurde 1126 im andalusischen Cordoba geboren. Er war Hofarzt der berberischen Dynastie der Almohaden von Marokko und starb 1198 in Marrakesch. Er hatte auch Kommentare zum Werk von Aristoteles verfasst und gilt mit seinem Werk als Verbinder zwischen Islam und Aufklärung.

Ates-Buch: Verbände haben "Deutungshoheit über Islam"
Sie fühle sich in den anderen deutschen Moscheegemeinden als Frau diskriminiert, hatte Ates ihr Projekt begründet. Als Räumlichkeit dient ein angemieteter Raum in der evangelischen Johanniskirche im Stadtteil Moabit. Zeitgleich mit der Eröffnung der Moschee veröffentlichte Ates ein Buch mit dem Titel "Selam, Frau Imamin". Darin kritisiert sie, dass die Deutsche Islamkonferenz islamischen Verbänden wie der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) die "Deutungshoheit über den Islam zugestanden" habe.

Seyran Ates lebt übrigens seit Jahren mit Drohungen und Anfeindungen - durch radikale Muslime auf der einen Seite und Islamfeinde auf der anderen. 1984 war sie Opfer eines Attentats geworden, bei dem sie lebensgefährliche Verletzungen davontrug.

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