Unfair und ungerecht

Das Selbstbehalte-Chaos bei den Krankenkassen

Wirtschaft
04.03.2017 08:13

Jeder zahlt sie, aber keiner kennt sie genau: die Selbstbehalte in unserem Gesundheitssystem. Es beginnt bei der Rezeptgebühr (5,85 Euro pro Fall), die im Prinzip für alle gilt und über 400 Millionen Euro ausmacht. Doch dann wird es richtig kompliziert. Schon die "Servicegebühr" für die e-card zahlen nur die Versicherten der Gebiets- und Betriebskrankenkassen. Generelle Selbstbehalte als Behandlungsbeiträge (20 oder 10% der Kosten) kennen hingegen nur Beamte, Selbständige, Bauern und Eisenbahner.

Die Kostenbeteiligungen für Heilbehelfe, Krankentransporte oder Kuren sind bei jeder Kasse verschieden. Da gibt es absurde Schwankungen etwa bei Kontaktlinsen zwischen 97 und über tausend (!) Euro. In Summe zahlten wir im Vorjahr 677 Millionen Euro an diversen Selbstbehalten.

Doch daraus den Schluss zu ziehen, dass die Versicherten am billigsten bei den Gebietskrankenkassen wegkommen, weil sie im Schnitt dort am wenigsten Selbstbehalt zahlen, wäre grundfalsch. Denn dafür übernehmen die Kassen der Beamten (BVA) oder der Selbständigen Leistungen, die viele Gebietskrankenkassen aus Kostengründen den Versicherten aufbrummen.

So übernimmt die BVA zum Beispiel bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes dem Versicherten die vollen Kosten.

Bei Zahnkronen werden zwischen 200 und 405 Euro dazugezahlt. Für Brillen und Kontaktlinsen gibt es großzügige Zuschüsse. Auch die Arzthonorare sind für den öffentlichen Dienst höher.

"Historisch entstandener Wildwuchs"
"Das ist ein historisch entstandener Wildwuchs, der abgeschafft gehört", findet Experte Christoph Neumayer (Industriellenvereinigung), der gemeinsam mit dem Institut für Höhere Studien (IHS) Reformen vorschlägt. "Wenn schon Selbstbehalte, dann sollten sie einen Lenkungseffekt haben", so Neumayer.

So "könnte man verhindern, dass Versicherte mit jedem Wehwehchen ins Spital gehen". Der Erstkontakt beim praktischen Arzt soll gratis sein. "Aber wer ohne Überweisung die Fachärzte abklappert, müsste etwas zahlen."

Denn es sei erwiesen, dass Österreich im internationalen Vergleich ein sehr teures Gesundheitssystem hat, wir deswegen aber nicht gesünder sind. Selbstbehalte gibt es in vielen anderen Ländern. Einen "Deckel" für sozial Schwache braucht man jedenfalls, schließlich sind auch in Österreich solche Gruppen von der Rezeptgebühr befreit.

In der Schweiz etwa beträgt die Selbstbeteiligung zehn Prozent, ausgenommen Haus- und Facharztkonsultationen sowie Leistungen für Kinder und Schwangere. In Frankreich zahlt man einen Euro pro Konsultation, bis zu einem Jahresmaximum von 50 Euro.

IHS fordert: Nur noch vier statt 21 Versicherungsträger
Voraussetzung für eine Beseitigung des Durcheinanders im heimischen System wäre eine Reduktion der Zahl der Versicherungsträger. Statt 21 soll es nur mehr vier geben, schlägt das IHS vor. Auch im Hauptverband der Sozialversicherungsträger arbeitet man an einem Modell, wie man die Selbstbehalte vereinfachen und gerechter gestalten kann. In der zweiten Jahreshälfte will man die Reform endlich angehen.

Manfred Schumi, Kronen Zeitung

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