Umstrittene Gesetze

Eskalation: EU will Polen “unter Aufsicht stellen”

Ausland
03.01.2016 17:09

Nach dem Streit über die Reform des Verfassungsgerichts in Polen droht die EU-Kommission dem Land nun wegen dessen umstrittenen neuen Mediengesetzes mit ungewöhnlichen Konsequenzen. "Es spricht viel dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen", sagte der für Medienpolitik zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Der Rechtsstaatsmechanismus wurde erst 2014 eingeführt. Er sieht einen verstärkten Dialog mit einem Mitgliedsland vor, wenn die EU-Kommission Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit befürchtet. Wenn das Mitglied nicht auf Änderungswünsche der Kommission reagiert, droht ein Verfahren wegen des Verstoßes gegen europäische Grundwerte. Am Ende könnte der Entzug von Stimmrechten stehen.

Ein Kommissionssprecher in Brüssel bestätigte, dass die EU-Behörde für 13. Jänner eine erste Debatte über die Lage des Rechtsstaates in Polen plane. Die Diskussion ist die Vorstufe zu einem Prüfverfahren, das der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit durch die Mitgliedsstaaten dient. Der Konflikt der EU-Kommission mit der neuen rechtskonservativen Regierung in Polen steuert damit auf einen neuen Höhepunkt zu.

Neue polnische Regierung krempelt den Staat um
Die rechtsnationale Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) war aus der Wahl im Oktober 2015 als Sieger hervorgegangen und regiert seit Mitte November mit einer absoluten Mehrheit im Parlament. Seither baut sie das politische System in Polen um. Die beschlossene Reform des Verfassungsgerichts hatte bereits für massive Verärgerung in der EU-Kommission gesorgt, die dagegen rechtsstaatliche Bedenken geltend machte. Mit dem kurz vor Jahresende verabschiedeten Mediengesetz versucht die Regierung nun, die öffentlich-rechtlichen Medien an die kurze Leine zu legen. Personalentscheidungen die Führung der Medien betreffend sollen künftig in den Händen des Finanzministers liegen. Das Gesetz benötigt nur noch die Unterschrift von Präsident Andrzej Duda.

Appell an Präsident, Gesetz nicht zu unterzeichnen
Vermutlich um ihrer Entlassung zuvorzukommen, traten mittlerweile die Direktoren von vier Programmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVP zurück, wie die Zeitung "Gazeta Wyborcza" am Sonntag berichtete. Die Europäische Rundfunkunion appellierte in einem auf ihrer Webseite veröffentlichten Schreiben von Generaldirektorin Ingrid Deltenre an Präsident Duda, das Mediengesetz nicht zu unterzeichnen, um die "Integrität und Unabhängigkeit der öffentlichen Medien als Symbol eines freien und demokratischen Landes zu bewahren".

Oettinger sieht in Polen Gefahren für die Pressefreiheit, wie er gegenüber der "FAS" weiter erklärte: "Ein Intendant darf nicht ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Das wäre Willkür", kritisierte der EU-Kommissar. "Je größer unsere Sorge ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Funktion einbüßen könnte, nämlich die Bürger unabhängig zu informieren, desto mehr müssen wir die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden stärken", ergänzte er.

"Wollen Staat lediglich von einigen Krankheiten heilen"
Polens Außenminister Witold Waszcykowski hingegen verwahrte sich gegen die Kritik aus der EU-Kommission am neuen Mediengesetz seines Landes. "Wir wollen lediglich unseren Staat von einigen Krankheiten heilen, damit er wieder genesen kann", sagte er im Interview mit der "Bild"-Zeitung. Bei den Medien sei unter der vorherigen Regierung ein bestimmtes linkes Politik-Konzept verfolgt worden. "Als müsse sich die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in nur eine Richtung bewegen - zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energie setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen." Das habe mit traditionellen polnischen Werten nichts zu tun.

Auch die EU-Kritik an der von der Regierung beschlossenen Reform des Verfassungsgerichts wies Waszcykowski zurück. Die Rechte des Gerichts seien verbessert und nicht beschnitten worden, sagte er. Durch die Reform sei es demokratischer geworden. Das Gericht selbst sieht in der umstrittenen Gesetzesänderung jedoch eine Beschneidung seiner Unabhängigkeit.

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