"Bleiben wachsam"

Krawalle vorerst erstickt – England leckt seine Wunden

Ausland
11.08.2011 13:38
Nach den heftigen Krawallen mit mehreren Toten scheint Großbritannien - zumindest vorläufig - wieder zur Ruhe gekommen zu sein. Ein Großaufgebot von Zigtausenden Polizisten - allein in London waren 16.000 Beamte im Einsatz - hatte der Gewalt in der Nacht auf Donnerstag Einhalt geboten. Dennoch werde weiterhin hart durchgegriffen, um die Ordnung wiederherzustellen, hieß es seitens der Regierung. Man bleibe wachsam.

Der britische Premierminister David Cameron verurteilte bei einer Sondersitzung des Parlaments die Gewalt auf den Straßen des Landes erneut scharf. "Es gibt dafür absolut keine Entschuldigung", sagte er Donnerstagmittag. Es gehe den Randalierern nicht um Protest oder politische Aussagen, sondern um Diebstahl. In der britischen Hauptstadt werde auch am Wochenende das massive Polizeiaufgebot von 16.000 Beamten präsent sein.

Bis Mittwochabend waren landesweit mehr als 1.200 mutmaßliche Randalierer und Plünderer festgenommen worden. Gerichte arbeiten derzeit rund um die Uhr. Rund 300 mutmaßliche Täter wurden bereits angeklagt, mehrere von ihnen erhielten in Schnellverfahren mehrmonatige Haftstrafen.

Vater von Todesopfer beruhigt Einwanderer
In Birmingham gedachten Hunderte bei einer Mahnwache jener drei jungen Männer aus muslimischen Einwandererfamilien, die in der Nacht auf Mittwoch von einem Auto überfahren und getötet worden waren. Die Männer im Alter von 21, 30 und 31 Jahren gehörten zu einer Gruppe, die Geschäfte ihrer Wohngegend vor Plündererbanden schützen wollte.

Der Vater eines der Opfer trug mit seinem Appell, keine Vergeltung zu üben, maßgeblich dazu bei, dass es auch in Birmingham trotz der dort weiterhin angespannten Lage keinen neuen Gewaltausbruch gab. "Ich habe versucht, meinen eigenen Sohn wiederzubeleben", sagte Tarik Jahan, Einwanderer aus Südasien. "Mein Gesicht und meine Hände waren voller Blut. Wer auch einen Sohn verlieren will, der soll jetzt vortreten."

Polizeichef: "Noch nie da gewesene Gewalt"
Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson hat unterdessen den Einsatz der Polizei gegen die Randalierer verteidigt. Die Exekutive habe "großartige Arbeit" geleistet, so Johnson am Donnerstag nach einer Beratung des Krisenkabinetts. Er kündigte an, dass Unruhestifter weiterhin mit harten Maßnahmen zu rechnen hätten. "Da draußen gibt es Leute, die dieser Stadt nicht gut tun. Sie werden weiterhin die volle Kraft des Gesetzes zu spüren bekommen."

Die Polizei war in die Kritik geraten, weil sie bei den Krawallen und Plünderungen in mehreren Londoner Stadtteilen teils nicht schnell genug reagiert haben soll. Der Polizeichef der englischen Hauptstadt, Tim Godwin, betonte, jede Anschuldigung, dass seine Beamten sich zu sehr zurückgehalten hätten, sei falsch. Man habe sich "noch nie da gewesener Gewalt und Kriminalität" gegenübergesehen. Das Land solle stolz darauf sein, dass es trotz aller Tragödien nicht noch mehr Verletzte und Todesopfer gegeben habe. Das sei seiner Ansicht nach in keinem anderen Land der Welt so möglich.

Premierminister Cameron räumte allerdings ein, dass es zu Beginn der Krawalle am vergangenen Wochenende Mängel bei der Reaktion der Sicherheitskräfte gab. Inzwischen werde aber längst hart durchgegriffen. "Wir lassen es nicht zu, dass auf unseren Straßen ein Klima der Angst existiert." Cameron gab zu, dass anfangs zu wenig Polizisten auf den Straßen gewesen seien, zudem habe die "Taktik nicht funktioniert".

Rechte Gruppen machen sich Randale zunutze
Das Schlimmste scheint in England überstanden, dennoch haben die Krawalle tiefe Spuren hinterlassen - rechtspopulistische Gruppen versuchen offenbar, sich diesen Schock zunutze zu machen und treten noch aggressiver auf als gewöhnlich. Parteien wie die British National Party (BNP) versuchen Medienberichten zufolge vehement, aus den Unruhen in Großbritannien und den Bildern plündernder Jugendlicher Profit zu schlagen. Man instrumentalisiere das "Entsetzen der Briten über und die Angst vor den Ausschreitungen", heißt es etwa in der Online-Ausgabe des "Spiegel".

Auch die English Defence League (EDL), die erst kürzlich durch ihre mutmaßlichen Verbindungen zum Olso-Attentäter Anders Behring Breivik in Verruf geriet, versucht, den Protest für sich zu nutzen und damit ihr Image wieder aufzubessern. In einer auf der Partei-Website veröffentlichten Stellungnahme zu den Krawallen kritisiert die EDL die ihrer Meinung nach zu lasche Taktik der Polizei und versucht, Stimmung in der Bevölkerung zu machen.

Die "politische Korrektheit" hindere die Polizei daran, "die derzeitigen Probleme rasch und entschieden zu beenden", heißt es in der Online-Stellungnahme der EDL. "Wie alle anständigen Menschen sind auch die Mitglieder der EDL erschüttert und entsetzt darüber, was in den vergangenen Tagen passiert ist." Es sei offensichtlich, dass die Polizei nicht den Befehl erhalten habe, "Schädel einzuschlagen". Vielleicht liege das daran, dass die Plünderer "nicht weiß" seien.

Islamisten wittern Chance zur "Mobilisierung"
Auch Islamisten versuchen, Vorteile aus den Krawallen zu ziehen. In mehreren Internetforen, in denen zum "Heiligen Krieg" aufgerufen wird, wird unter anderem gefordert, feindliche Botschaften gegen die britische Regierung zu verbreiten, teilte das auf die Überwachung islamistischer Webseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE mit.

Dienste wie Facebook oder Twitter sollten demnach "infiltriert" werden, um zur Fortsetzung der Randale aufzurufen und damit eine Protestbewegung wie in der arabischen Welt entstehen zu lassen. In einer Botschaft heißt es demnach, der Moment sei günstig, neue Anhänger für den Jihad zu rekrutieren.

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