Interessenskonflikte

Richter mit BP-Aktien erschweren Ölpest-Prozesse

Ausland
07.06.2010 09:07
Während die US-Regierung ein strafrechtliches Vorgehen gegen den britischen Ölkonzern BP und andere Firmen mit Verbindungen zur explodierten Bohrplattform "Deepwater Horizon" erst kürzlich angekündigt hat, sind in den betroffenen US-Staaten bereits 150 zivile Klagen gegen BP, den Technik-Konzern Halliburton und den Plattformbesitzer Transocean anhängig. Dabei tun sich an den Gerichten in den Ölpest-Gegenden jedoch massive Probleme auf: Mehr als die Hälfte der Richter hat Verbindungen zu BP und Co. Auf einen Großprozess kann man sich indes nicht einigen.

Als in den vergangenen Wochen ein Sumpf aus Verhaberung, Korruption und Inkompetenz bei der dem US-Innenministerium unterstellten Behörde "Minerals Management Service" Zug um Zug aufgedeckt wurde, sprachen US-Kommentatoren von einer "Ölpest", die die Behörde selbst verseucht habe. So hatten MMS-Mitarbeiter Genehmigungen für Ölbohrungen im Meer erteilt, ohne Umweltprüfungen durchzuführen. Weitere Enthüllungen über Sexpartys, finanzielle Zuwendungen an Beamte und Postenschacher von ehemaligen Öl-Konzern-Mitarbeitern haben die Reputation des MMS völlig zerstört. US-Innenminister Ken Salazar hat die Zerschlagung in zwei oder mehrere Einzelagenturen angekündigt.

Richter mit BP-Aktien
Probleme mit einer behördlichen "Ölpest" gibt es nun offenbar auch an den Gerichten, wobei es hier vornehmlich um Interessenskonflikte geht: Laut der Nachrichtenagentur Associated Press haben 37 von 64 erfahrenen Richtern ("federal judges"), die in den entscheidenden juristischen Distrikten von Louisiana, Texas, Alabama, Mississippi und Florida zum Zug kommen könnten, Verbindungen zu BP, Halliburton oder Transocean, die einen Prozessvorsitz unmöglich machen bzw. Glaubwürdigkeitsprobleme mit sich bringen könnten. Die Agentur hat dabei erst nur die amtlichen Offenlegungen der Richter vom Jahre 2008 überprüft. Viele haben Aktien der drei Unternehmen, die in praktisch jeder der 150 Zivilklagen benannt werden, andere profitieren von Lizenzgebühren für die Öl-Förderung oder haben direkt in Drittunternehmen investiert. Ein Richter in Mississippi, in dessen Zuständigkeitsbereich mehrere Klagen eingereicht wurden, referiert auf Einladung von Ölkonzernen vor deren Mitarbeitern.

Laut US-Medien hat bereits ein Dutzend Richter vom Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht, einer sogar alle BP-Aktien verkauft. Die geklagten sowie die klagenden Parteien drängen aber auf eine Zusammenführung der Zivilklagen zu einem oder mehreren Sammelprozessen. BPs Anwälte wollen im (als besonders ölfreundlich geltenden) Texas prozessieren, die meisten Klägeranwälte würden ein Gericht im (am stärksten von der Ölpest belasteten) Bundesstaat Louisiana vorziehen. Einen Prozess zum Beispiel in Washington durchzuführen, lehnen die Kläger völlig ab. Die Betroffenen würden sich hintergangen fühlen, wenn man die Prozesse nicht direkt am Ort des Geschehens durchführen würde, heißt es von deren Rechtsvertretern. Bei einem zu erwartenden Geschworenenprozess spiele außerdem die Herkunft der Jury eine wichtige Rolle.

Kläger wollen Milliarden-Vergleich erreichen
Die Entscheidung darüber, wie mit den Klagen fortgefahren wird, soll in den nächsten Wochen in Washington gefällt werden, wo sich ein juristisches Komitee mit den Fällen auseinandersetzen muss. Die meisten Anwälte und Kläger hoffen auf ein Ergebnis, bei dem BP einen Großprozess erst gar nicht riskiert und stattdessen einem außergerichtlichen Vergleich zustimmt, bei dem der Konzern sicher einige Milliarden zahlen müsste.

Für die Betroffenen - es sind dies vor allem Fischerei- und Tourismusbetriebe - würde es dann zwar keine "Gerechtigkeit" im juristischen Sinn geben, jedoch würden ihnen sofortige Zahlungen eher aus der Misere helfen, als möglicherweise Jahre auf ein rechtskräftiges Urteil warten zu müssen. Auf eine Verurteilung BPs können sie außerdem bei einem strafrechtlichen Prozess hoffen.

Kampf gegen Ölpest dauert noch bis in den Herbst
Die US-Küstenwache hat indes ihre Erwartungen auf ein baldiges Ende der Ölpest erneut nach unten geschraubt. Die Naturkatastrophe könne erst ein Ende finden, wenn das Ölbohrloch auf dem Meeresgrund mit Schlamm und Zement abgedichtet sei, sagte Küstenwachenchef Thad Allen, der die Hilfsmaßnahmen der Regierung leitet, am Sonntag im US-Fernsehen. "Das wird noch bis weit in den Herbst hinein dauern."

Die ganze Golf-Region befinde sich seit dem Untergang der Bohrinsel "Deepwater Horizon" am 20. April in einem Belagerungszustand. Die Menschen hier seien wirtschaftlich und körperlich regelrecht "Geiseln dieser Ölverschmutzung", sagte Allen. BP macht beim Kampf gegen die Ölpest nach eigener Darstellung aber Fortschritte: Nach der Installation eines Absaugtrichters hofft der Energiekonzern, schon bald einen Großteil des austretenden Öls aufzufangen. Laut Allen wurden in den ersten 24 Stunden nach Inbetriebnahme des Trichters rund 950.000 Liter Öl aufgenommen. Schätzungen zufolge strömten bisher zwischen zwei und drei Millionen Liter täglich.

Zur Bekämpfung der Ölpest hat Kanada den USA schwimmende Barrieren mit einer Länge von drei Kilometern zur Verfügung gestellt. Die Barrieren entsprechen der Hälfte der in Kanada gelagerten Bestände und ergänzen bereits geleistete technische Unterstützung, insbesondere den Einsatz eines kanadischen Aufklärungsflugzeuges, das die Ausdehnung des Ölteppichs überwacht. Zum Vergleich: Nach Angaben der US-Behörden wurden bisher rund 660 Kilometer Ölbarrieren eingesetzt.

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