Nach US-Atomtests

Pazifik-Insulaner wollen nicht auf ihr Atoll zurückkehren

Ausland
17.03.2010 12:28
Im März 1954 testeten die USA über den Marshall-Inseln im Westpazifik ohne jegliche Vorwarnung eine gewaltige Wasserstoffbombe. Daraufhin mussten Hunderte Insulaner ihre verstrahlte Heimat auf Bikinis Nachbaratoll Rongelap verlassen - noch heute leben etwa 400 Menschen in einer Notunterkunft. Nun haben ihnen die USA ein Ultimatum gesetzt, endlich wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Doch die Insulaner weigern sich.

Die Einheimischen haben Angst vor Strahlen, Krankheiten und Armut. "Ich will nicht nach Rongelap zurück", sagt etwa Lemeyo Abon (70), der an der Spitze einer Überlebenden-Vereinigung steht. "Ich habe Angst, eine Rückkehr würde für uns den Tod bedeuten. Wollen uns die Vereinigten Staaten wirklich vollends eliminieren?" Der Zorn auf die USA ist groß unter den Atomflüchtlingen, die in einem Lager auf dem Kwajalein-Atoll leben. Die USA haben ihnen kürzlich eine Frist bis Oktober 2011 zur Rückkehr auf die Heimatinsel Rongelap gestellt, andernfalls würden sie ihre Finanzhilfen für die Geflohenen einstellen. Es bestehe keine Gefahr mehr, beteuert Washington.

Unangekündigter Atom-Sturm
Die Menschen hier sind freilich immer noch traumatisiert, sie misstrauen den USA. Die Marshall-Inseln sind nur winzige Tupfer in den Weiten des Pazifiks. Seit 1990 sind sie eine unabhängige Republik mit 63.000 Einwohnern, knapp die Hälfte lebt in der Hauptstadt Majuro. Gerade wegen der Abgelegenheit der Inseln führten die USA hier eine enorme thermonukleare Explosion mit 15 Megatonnen Sprengkraft herbei - ohne die Einheimischen auf den umliegenden Inseln zu warnen. Ein gewaltiger Atom-Sturm setzte die Insulaner einer hohen Strahlendosis aus, Überlebende berichten von Erbrechen, Verbrennungen und Haarausfall.

Krebstumoren und Missbildungen
Erst 48 Stunden nach der Explosion wurden die Menschen von Rongelap evakuiert. Drei Jahre später wurden sie nach Hause geschickt. 1985 mussten sie die Insel abermals verlassen, diesmal für immer. Bis dahin hatten sich die katastrophalen Spätfolgen des Atomtests gezeigt: Eine Mehrheit der Bewohner entwickelte Krebstumore vor allem an der Schilddrüse, viele Kinder wurden tot oder mit schweren Missbildungen geboren. "Das Gift ist immer noch da, man kann es nur nicht sehen und schmecken", sagt der Überlebende Abon.

Die USA wollen das schmerzhafte Kapitel am liebsten abschließen. Washington stellte 45 Millionen Dollar bereit, um Rongelap zu säubern, ein Kraftwerk und eine Meerwasserentsalzungsanlage zu bauen. Die obersten 40 Zentimeter Erde wurden abgetragen und durch gedüngte Korallenkiesel ersetzt. "Die Strahlendosis auf Rongelap ist niedriger als die Normalwerte in den USA und Europa", sagt Terry Hamilton vom US-Nationallabor Lawrence Livermore in Kalifornien. Patricia Worthington von der Gesundheitsabteilung des US-Energieministeriums weist darauf hin, dass ihre Behörde ein Sicherheitskontrollprogramm auf Rongelap aufbauen wolle.

Unzureichende Säuberung durch die USA
Den Evakuierten von Rongelap gehen die Zusicherungen der USA aber nicht weit genug. James Matayoshi, der Bürgermeister der Flüchtlinge aus Rongelap, weist darauf hin, dass die atomare Säuberung nur der Hauptinsel des Rongelap-Archipels gegolten habe. Die Gruppe umfasst aber mehr als 60 Inselchen, manche von ihnen seien früher für Nahrungsmittelproduktion genutzt worden, was nun nicht mehr möglich sei.

"Was sie uns angetan haben, ist kriminell"
Die Menschen hätten Angst, selbst angebaute Nahrungsmittel zu essen, sagt Matayoshi. Die Inseln seien indes so abgelegen, dass nur alle drei bis vier Monate ein Versorgungsschiff der marshallischen Regierung mit Nahrungsmitteln vorbeikommen könne. "Es ist schwer für mich, nur ein Wort von dem zu glauben, was die Amerikaner sagen", bringt der Überlebende Abon die Stimmung auf den Punkt. "Was sie uns angetan haben, ist kriminell."

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