Ägypten-Aufstand

Ganz Kairo versinkt nach der Revolte in Anarchie

Ausland
30.01.2011 16:09
Nach der politischen Revolte droht Ägypten in Anarchie zu versinken: Plünderer, Brandstifter und Räuber terrorisieren die Bevölkerung vor allem in Kairo. Bei den Unruhen wurden bereits 150 Menschen getötet und über 2.000 weitere verletzt. Neue Opfer gab es in Gefängnissen außerhalb der Hauptstadt, aus denen Tausende teils schwer kriminelle Häftlinge ausbrachen. Dabei wurden auch Brände gelegt, bei denen zahlreiche Menschen starben. In Kairo forderten am Sonntag - nach einem ruhigen Vormittag - erneut Tausende Menschen den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak.

In weiten Landesteilen, hauptsächlich aber in Kairo, machen Plünderer- und Räuberbanden den Menschen zunehmend zu schaffen. Jugendgangs zogen durch die Straßen und plünderten Supermärkte und Geschäfte, in wohlhabenden Vierteln wurde in Wohnungen und Häuser eingebrochen. Sogar eine Kinderkrebsklinik wurde überfallen und ausgeraubt, obwohl Ärzte Molotowcocktails herstellten, um das Spital zu verteidigen. Am Rande Kairos machten wiederum Straßenräuber Autofahrern zu schaffen.

Unter anderem im vornehmen Bezirk Samalek in der Innenstadt organisierten die Anrainer Bürgerwehren zum Schutz ihres Privateigentums. Im Viertel Maadi im Süden der Hauptstadt wurden junge Männer über Lautsprecher aufgerufen, an den Eingängen von Häusern Präsenz zu zeigen und Plünderer zu vertreiben.

Plünderer zerstören Mumien in Museum
Im weltberühmten Ägyptischen Museum in Kairo haben Plünderer zwei Mumien zerstört. Das Museum, das neben anderen unwiederbringlichen Artefakten die goldene Maske des Königs Tutenchamun aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert beherbergt, wurde auch vom nach wie vor lodernden Feuer in der benachbarten Zentrale der Regierungspartei NDP bedroht. Das Gebäude war im Lauf der Demonstrationen in Brand gesteckt worden.

Nachdem Unbekannte zwei Mumien geköpft hatten, gelang es jungen Leuten, die Plünderer von weiteren Taten abzuhalten. Allerdings wurden mindestens zehn Kunstgegenstände aus ihren Vitrinen genommen und zerstört sowie der Museums-Shop ausgeräumt. Nun sichern Soldaten das Museum.

"Das waren die Wächter des Museums"
Dielangjährige Direktorin des ägyptischen Museums in Kairo, Wafaa el Saddik, hat das Wachpersonal und Polizisten für die Plünderungen in der Kunstsammlung verantwortlich gemacht: "Das waren die Wächter des Museums, unsere eigenen Leute." Einige der Polizisten hätten offenbar vorher ihre Jacken ausgezogen, "um nicht als Polizisten erkennbar zu sein". Eine zweite Gruppe der Täter sei von hinten über eine Feuerleiter durch die Dachfenster eingestiegen.

Aus Furcht vor weiteren Plünderungen zogen die ägyptischen Streitkräfte auch an anderen historischen Stätten auf. Die Pyramiden von Gizeh wurden für Touristen gesperrt und abgeriegelt. Die Armee nahm bei Einsätzen gegen Plünderer rund 450 Menschen fest, sie sollen vor Militärgerichte gestellt werden.

Tausende Häftlinge aus Gefängnissen geflohen
Indes sind während der Unruhen Tausende Häftlinge aus den Gefängnissen geflohen, darunter auch Schwerverbrecher und islamistische Extremisten. Im Gefängnis Abu Saabel außerhalb Kairos gelang etwa 6.000 Gefangenen die Flucht. Ein weiterer Gefangenenausbruch wurde aus dem Zentralgefängnis in der Oasenstadt Fajum südlich von Kairo gemeldet. Dort sollen die Häftlinge einen Polizeigeneral getötet und einen weiteren General verschleppt haben. Auch aus einem Gefängnis in Wadi al-Natrun nördlich von Kairo sind Tausende Häftlinge entkommen.

Kampfflugzeuge während Demo im Tiefflug
Um den chaotischen Zuständen Einhalt zu gebieten, überwachte am Sonntagabend das Militär im Zentrum Kairos mit Panzern die Straßen, schwer bewaffnete Soldaten fuhren Patrouille. Während Tausende Protestierer ihre Demonstrationen gegen das Regime von Mubarak fortsetzten, überflogen Kampfflugzeuge den zentralen Tahrir-Platz im Tiefflug, während Soldaten mit 15 Fahrzeugen auf den Platz vorrückten. Um 16 Uhr war erneut eine Ausgangssperre in Kraft getreten.

Armee rückt in Teilen von Sharm el-Sheikh ein
Die Armee ist am Sonntag auch in Teile der Touristenregion Sharm el-Sheikh am Roten Meer eingerückt. Auch in Al-Arisch im Norden der Sinai-Halbinsel hätten Soldaten Stellung bezogen, berichteten Augenzeugen und Sicherheitskreise auf dem Sinai. Sharm el-Sheikh ist bei vielen Urlaubern beliebt. Die Lage dort blieb am Wochenende weiter ruhig.

Arabischer Fernsehsender Al-Jazeera abgeschaltet
Inzwischen hat die ägyptische Regierung den populären arabischen Fernsehsender Al-Jazeera abgeschaltet. Das ägyptische Informationsministerium entzog dem Sender am Sonntag die Akkreditierung für alle Redakteure und widerrief die Sendelizenz für das Kairoer Büro. Der Sender hatte teils rund um die Uhr über die explosive Lage in Ägypten berichtet. Bereits am Freitag waren die Internetverbindungen in Ägypten gekappt worden. Reporter des Senders lieferten zunächst nur noch Telefonberichte, die der in Katar beheimatete Sender ausstrahlte. In einer Erklärung von Al-Jazeera wurde die Entscheidung der ägyptischen Behörden als "Zensur der Stimme des ägyptischen Volkes" scharf verurteilt.

Mubarak ernannte Vizepräsidenten und entließ Regierung
Mubarak hatte am Samstag eine neue Führungsriege gebildet, in der Geheimdienst und Militär dominieren. Er ernannte Geheimdienstchef Omar Suleiman zu seinem Stellvertreter (siehe Infobox). Bereits zuvor war am Samstag die ägyptische Regierung  - wie von Mubarak angeordnet - geschlossen zurückgetreten. Am Sonntag ernannte er für einige Regionen neue Gouverneure und besuchte Armeeeinheiten.

Gratis-Umbuchungs- und Stornomöglichkeiten für Reisende
Das österreichische Außenministerium hat eine Reisewarnung für ganz Ägypten erlassen. Außenamtssprecher Peter Launsky-Tieffenthal sprach von einem "Sicherheitsvakuum". Die Nachfrage nach Rückflügen aus Ägypten nach Österreich sei insbesondere von Österreichern, die sich in Kairo und den nördlichen Städten des Landes aufhielten, gestiegen und man versuche konkrete Hilfe und Flugplätze anzubieten. Mittlerweile seien drei heimische Unterstützungsteams in Kairo, Hurghada und Sharm el-Sheikh im Einsatz. Sie würden etwa Österreicher, die in Not geraten, unterstützen. Die österreichische Botschaft in Kairo "hat keine Probleme", so Launsky-Tieffenthal. Sie ist "funktionsfähig". Die meisten Reiseveranstalter bieten Reisenden, die in den nächsten Tagen nach Ägypten fliegen sollten, kostenlose Umbuchungs- und Stornomöglichkeiten an.

Angesichts der unsicheren Lage versuchten Hunderte Ausländer, die Millionenstadt zu verlassen. Einige Staaten wie Großbritannien oder die Türkei begannen damit, ihre Staatsbürger aus dem Krisenland auszufliegen. Die US-Botschaft in Kairo hat am Sonntag den Amerikanern nahegelegt, Ägypten so rasch wie möglich zu verlassen.

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