Regierungsgespräche

Kammern-Debatte: Wehe dem, der am System rüttelt

Wirtschaft
05.11.2017 20:43

Seit ÖVP und FPÖ verhandeln, rumort es in den Kammern. Ohne Pflichtmitgliedschaft würden Geld, Macht und erkämpfte Rechte verloren gehen. Die Debatte birgt indessen Chancen auf Reformen. Freiheitliche und NEOS haben es im Wahlkampf getrommelt, mit den Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP ist die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaften in der mächtigen Arbeiter- und Wirtschaftskammer erstmals ein reales Szenario - auch wenn derzeit gezielt mehr Schreckensmeldungen als Wahrheiten verbreitet werden.

Auf der ganzen Welt ist dieses System ein Unikum, aufgeteilt in zwei Reichshälften, wie so vieles von Bedeutung in dieser Republik. Und für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist es eine ewige Begehrlichkeit, die Bastionen von Rot und Schwarz ins Wanken zu bringen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz wich direkten Fragen bislang gekonnt aus, auch wenn es kein Geheimnis ist, dass er nicht gerade als Fan der Kammern gilt. WKO-General Christoph Leitl sagte es öffentlich, sein designierter Nachfolger Harald Mahrer legte nach: keine gute Idee, und auch der ÖAAB warnte schaumgebremst davor.

Lauter werden die AK und der einflussreiche ÖGB: "Wer die AK schwächt, trifft in Wahrheit die kleinen Leute", heißt es dazu einbetoniert aus den Zentralen.

Kammern nehmen eine Milliarde Euro jährlich ein
Zwei große, durchaus realistische Ängste begleiten den Vorstoß aber tatsächlich: Die Kammern würden deutlich weniger Geld einnehmen, dazu kommen die historisch erkämpften Kollektivverträge, die zweifelsfrei an diesem System hängen.

Kein vernünftig denkender Verhandler am türkis-blauen Tisch denkt zwar daran, das Weihnachtsgeld oder Ähnliches zu "killen" - ein wenig mit Reformgedanken zu spielen, das darf aber erlaubt sein, heißt es.

Die WK zählt 506.145 Mitglieder, der maßgebliche Anteil sind Einzelunternehmer. Allesamt zahlen sie 543 Millionen Euro jährlich an "Kammerumlage" ein. Die AK kommt mit den Pflichtbeiträgen ihrer rund 3,7 Millionen Mitglieder auf 432,68 Millionen Euro jährlich. Insgesamt nehmen die Kammern rund eine Milliarde Euro im Jahr ein.

Gesetzlich sind die Vertretungen seit 2008 in der Verfassung verankert - so heißt es im Artikel 120a: "Die Republik anerkennt die Rolle der Sozialpartner. Sie achtet deren Autonomie und fördert den sozialpartnerschaftlichen Dialog durch die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern."

Zweidrittelmehrheit im Nationalrat für Änderung nötig
Mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat könnte das aber rückgängig gemacht werden. Dazu braucht es eine dritte Partei - sie wäre mit den NEOS gefunden, die aber seit Mahrers Auftritt abwarten: "Es wird sich zeigen, ob die ÖVP tatsächlich an einem zukunftsorientierten Umdenken interessiert ist. Die WK wird sich die Frage stellen müssen, ob sie 41 Vizepräsidenten und neun unterschiedliche Länderkammern weiter braucht", sagt der Abgeordnete Sepp Schellhorn.

Was macht also Kurz? Willigt er ein, wird es innerparteilich rundgehen. Lehnt er ab, könnte die FPÖ ihm dafür anderswo etwas abpressen. Beobachter gehen von Zweiterem aus, da auch Strache klug genug ist, eine Regierungsbeteiligung nur wegen der Kammern nicht an die Wand zu fahren.

Was bleibt also von der mit schweren Geschützen begleiteten Debatte? Die konkrete Hoffnung auf Reformen in den Kammern sollte es allemal sein.

Michael Pichler, Kronen Zeitung

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