Öffentliches Wiegen

Ein “Waagnis” um schlanke 20 Cent

Österreich
20.11.2017 12:42

Gewichtige Gründe, sich öffentlich zu wiegen, gibt es schon seit 129 Jahren - sei es bei Einheimischen oder Touristen. Eine der 150 Personenwaagen in Wien ist dafür immer in der Nähe.

Im hektischen Großstadttrubel hat man nicht immer Zeit, innezuhalten. Dabei gibt es in Wien viele Dinge, die eine Geschichte erzählen, wenn man nur genau hinsieht: legendäre Würfeluhren, historische Tramway-Wartehäuschen. Und dann sind da noch die Waagen. Alt und stumm stehen sie da, wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit. Bei Straßenbahnhaltestellen, in diversen Parkanlagen und in Bädern warten sie auf ihre Kundschaft. Tag für Tag laufen wir an ihnen vorbei. Immerhin sind es 150 Stück an der Zahl.

Öffentliches Wiegen seit 1888
Tatsächlich prägen sie seit 1888 das Wiener Stadtbild, wie der Historiker und Stadtforscher Peter Payer in seinem kulturhistorischen Werk über die öffentlichen Personenwaagen beschreibt. Damals wurde im Rahmen einer Ausstellung über neue Erzeugnisse die erste Personenwaage präsentiert. Und wie so oft im Leben, war es anfangs für die Menschen nicht einfach, mit dieser Innovation umzugehen. Zum Kaschieren der Unwissenheit kam der Wiener Schmäh zum Einsatz: "I muss mich beschwern, i hab da drei Kreuzer einitan und 's kommt ka Schokolad außa."

In der Zwischenkriegszeit gewann das Wiegen in der Öffentlichkeit an Beliebtheit. Nach 1950 erreichte der Waagen-Boom seinen Höhepunkt - der prüfende Blick auf den eigenen Körper wurde zur Gewohnheit. Nach und nach verlagerte sich allerdings die regelmäßige Kontrolle des Körpergewichts von der Straße in den privaten Bereich, und die Produktion der gewichtigen Stadtaccessoires wurde schließlich 1978 gänzlich eingestellt.

Engagiertes Paar betreibt Waagen weiter
Dennoch sind die stillen Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit noch immer da. Und das verdanken wir dem Engagement eines burgenländischen Paares. Karin und Andreas Popp kauften Ende der 1980er-Jahre alle noch bestehenden öffentlichen Personenwaagen in Österreich. Die Instandhaltung und Pflege von "400 Stück Kulturgeschichte" betreiben die beiden mit besonderer Sorgfalt. Allfällige Ersatzteile baut der gelernte Schlosser selbst, jede Waage wird bei Bedarf eigenhändig repariert. Die Umrüstung von Schilling auf Euro erledigten die Hüter der soliden Metallriesen in wochenlanger Arbeit bei Minusgraden ebenfalls selbst.

Zwanzig Cent kostet das Wiegen auf einer öffentlichen Personenwaage. Ob man sie heute nützt? Bei Touristen aus aller Welt gelten die alten Originale als begehrte Fotomotive. Und nach Schlemmereien auf einem unserer beliebten Weihnachtsmärkte kommen schnell ein paar Gramm mehr auf der Waage zusammen.

Kronen Zeitung

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