"Krone" vor Ort

Ein Jahr nach dem Horror-Beben von Amatrice

Ausland
20.08.2017 14:07

Ohrenbetäubender Baustellenlärm, 34 Grad im Schatten. Ein Lkw nach dem anderen brettert mit Schutt und Trümmern beladen aus der immer noch abgeriegelten Todeszone und wirbelt mächtige Staubwolken auf - willkommen in Amatrice!

Unmittelbar vor dem ersten Jahrestag des verheerenden Erdbebens mit 299 toten Menschen in Mittelitalien macht sich die "Krone" ein Bild vor Ort. Erschütternd: Der historische Stadtkern liegt großteils immer noch in Trümmern. "Wir sind jeden Tag vor Ort und begutachten die Einsturzgefahr", schildert Kommandant Paolo Renzetti beim Lokalaugenschein in der verwüsteten "zona rossa".

Trotz Zerstörung und der allgemeinen Tragödie ist aber eine positive Aufbruchstimmung zu verspüren. "Wir schauen nach vorne, und die Bewohner halten zusammen. Amatrice erlebt eine Wiedergeburt", betont der charismatische Bürgermeister Sergio Pirozzi mit rauer Stimme.

Schaulustige machen Selfies
"Il rinascimento" - die Wiedergeburt, so hat dann auch der gebürtige "Amatricano" Fabio Magnifici seine frisch eröffnete Bar genannt. "Wir brauchten dringend einen Ort, wo alle zusammenkommen können und guten Espresso bekommen", lacht der Italiener mit den langen schwarzen Haaren. Das Lokal des ehemaligen Antiquitätenhändlers ist die erste Anlaufstelle in der Erdbebenstadt. Viele freiwillige Helfer und Überlebende kommen an den Tresen und bestellen hier ihren "caffè".

Doch dann gibt es auch die andere, die dunkle Seite, die den Wiederaufbau sogar behindert: Katastrophentourismus. Familienausflüge zur Trümmerstadt. Und besonders pietätlos: Viele Schaulustige machen Selfies vor der zerstörten Kulisse.

Rathaus als Mahnmal: Uhrzeiger stehen still
"Diese Tatsache macht mich wütend", poltert Bürgermeister Pirozzi, der seit 2009 im Amt ist. Aus diesem Grunde hat der Politiker und Fußballtrainer 40 "no selfie"-Plakate rund um die vom Militär bewachte Todeszone, in die niemand ohne Erlaubnis der Feuerwehr hineindarf, anbringen lassen.

Die Zeit in Amatrice steht still. Das gespenstische Zeugnis sorgt für Gänsehaut-Atmosphäre. Die Uhrzeiger am Rathausturm sind stehen geblieben, als das Horror-Beben die Stadt heimsuchte: am 24. August 2016, um exakt 3.37 Uhr.

Selfie-Verbot soll für Respekt sorgen
"Krone":
Herr Bürgermeister Pirozzi, warum haben Sie in  Amatrice ein Selfie-Verbot ausgerufen?
Pirozzi: Weil es nicht sein kann, dass Schaulustige den Weg auf sich nehmen, um dann anstatt zu helfen ein Selfie vor den Trümmern machen. Das ist respektlos gegenüber unseren vielen toten Freunden.

Vor knapp einem Jahr suchte das Horror-Beben ihre Stadt heim. Die Aufräumarbeiten laufen, trotzdem ist das historische Zentrum nach wie vor ein riesiger  Trümmerhaufen. Wie kommt das?
Es ist alles nicht so leicht hier in Italien. Die zuständigen Kompetenzen und die Bürokratien sind zum Teil sehr kompliziert.

Was tragen Sie zum Wiederaufbau bei?
Ich kümmere mich um die Bewohner von Amatrice. Erfreulich ist, dass schon wieder knapp 2000 Menschen in neuen Fertigteilhäusern wohnen und hier leben wollen.

Wie kann man aus Österreich helfen?
Geldspenden sind nicht alles! Wichtiger ist Solidarität, und auch Schüleraustauschprogramme wären eine wunderbare Sache!

Matthias Lassnig, Kronen Zeitung

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