"Krone"-Interview

Le Butcherettes: Punk-Feminismus ohne Brechstange

Musik
11.10.2016 14:42

Kompromissloser Garage-Punkrock mit Attitüde und Botschaft - das mexikanisch/amerikanische Musikergespann Le Butcherettes ist tief im Underground verhaftet, kokettiert aber nur allzu gerne mit den großen Namen aus dem Rock- und Punk-Kosmos. Vor einem intensiv-paralysierenden Auftritt im Wiener B72 trafen wir Frontfrau Teri Gender Bender zum Gespräch und ließen uns von der sympathischen und warmherzigen Art der 27-Jährigen begeistern, die langsam aber sicher ihren Frieden mit den Dämonen der Vergangenheit macht.

(Bild: kmm)

Irgendwann war es ihr zu viel. Ständig wurde sie gemobbt, musste sich wegen ihres amerikanischen Akzents verantworten und wurde als Frau nicht für voll genommen. Sie wurde als "Puta" beschimpft und würde ohne mit allen zu schlafen, ohnehin niemals Karriere im Musikbusiness machen. "Es war zu viel, ich wollte nur mehr aus Mexiko raus. Zum Glück hatte ich eine Freundin, die in L.A. wohnt und mir sagte, ich könne temporär zu ihr ziehen, um mein Leben auf die Reihe zu kriegen. Und was soll ich sagen? Zwei Monate später hatte ich einen neuen Drummer und Bassisten" - und keine Lust mehr, in die alte neue Heimat zurückzukehren.

Große Verwandlung
Die Rede ist von Teresa Suárez, 27-jährige Frontfrau von Le Butcherettes, Feministin, Gerechtigkeitsfanatikerin und Vollblutmusikerin. In Denver, Colorado geboren, nach dem Tod ihres alkoholkranken Vaters mit 13 samt der Mutter nach Guadalajara und später nach Mexico City übersiedelt und schlussendlich im glamourösen Los Angeles gelandet. Im Gespräch ist Teresa, die sich seit der Bandgründung schlicht Teri Gender Bender nennt, ganz anders als auf der Bühne. Warmherzig, stets lächelnd, eloquent, extrovertiert und oft unsicher, ob sie nicht zu viel faselt. Wenn man Teri als Fremder begrüßt, zieht sie eine Umarmung dem Händeschütteln vor. Arnold Schwarzenegger, den berühmtesten Sohn aus der Heimat des Interviewers, liebt sie. Wie konnte so eine Person vor neun Jahren eine Band starten, die mit blutgetränkten Schürzen, Fleischstücken und echten Schweineköpfen auf der Bühne stand, um nihilistischen Garage-Punkrock zu fabrizieren?

"Die Bühnenelemente hatten eine zweite Bedeutungsebene und reflektierten mein Leben. Für mich war diese Show ein Statement gegen Unterdrückung und für den Feminismus. Meine Mutter wurde früher oft wie ein Stück Fleisch behandelt und diskriminiert. Ich habe aber nie etwas explizit gegen Männer gemacht, sondern immer nur für die Frauen. Es gab Zeiten, da haben mich die Leute in Mexiko so gemobbt, dass ich gar nicht mehr leben wollte. Es gibt aber so viele kämpfende Menschen, denen es viel schlechter ging und die sich aus ihren miesen Situationen herausgekämpft haben. Diese Leute haben mich dazu inspiriert, mich aus meinem Sumpf zu befreien."

Von 0 auf 100
Teri war auch sehr früh das nötige Glück beschieden. Bei einem lokalen Gig in Mexiko war ein gewisser Omar Rodríguez-Lopéz anwesend, seinerseits Mastermind von Kultbands wie The Mars Volta oder At The Drive-In, verliebte sich sofort in Musik und Performance und produzierte 2011 das Debütalbum "Sin Sin Sin". Erst im Jahr darauf zog Teri nach L.A., hatte im Punkrock-Underground bereits einen Namen und zog die Aufmerksamkeit ganz großer Kaliber auf sich. "Ich spielte damals mit Mike Watt zusammen, einer der besten Freunde von Iggy Pop", erinnert sich Teri zurück, "Mike hat also Iggy von meiner Band erzählt und so kam eines zum anderen. Schlussendlich singt Iggy mit mir auf dem Song ,La Uva‘ vom aktuellen Album ,The Raw Youth‘." Nebenbei dockte Teri auch bei Ex-Red Hot Chili Peppers-Gitarrist John Frusciante an und hatte bereits das musikalische Vergnügen mit Stoner-Rock-Urvater Josh Homme (Queens Of The Stone Age) und Garbage-Frontfrau Shirley Manson.

"Shirley ist eines der größten Vorbilder für alle Frauen im Musikgeschäft. Ich erinnere mich gerne an meine Jugend zurück. Meine Cousins haben mich in Mexiko einmal so derbe verarscht, dass ich mich am liebsten die Stiegen runtergeworfen hätte. Dann sah ich auf den Fernseher, plötzlich kamen Garbage und die berühmte Zeile ,I’m only happy when it rains…‘. Der Song hat mir damals das Leben gerettet - heute haben wir schon einen zusammen geschrieben und eine gemeinsame Fotosession hinter uns. Shirley ist warmherzig und intelligent. Sie kann über jedes Thema reden und besitzt ein beneidenswertes Selbstvertrauen."

Vorbild für alles
Manson war für Teri prägend - nicht nur in punkto Selbstvertrauen, sondern auch im Verständnis dafür, dass man sich als Frau im chauvinistischen Business zur Wehr setzen muss. "Ich wünschte, ich wäre so eine gute Feministin, aber manchmal fühle ich mich selbst sexistisch und fürchte, dass ich über die Stränge schlage. Feminismus bedeutet für mich, eine gute Person zu sein, die die Rechte anderer Menschen akzeptiert und respektiert. Das Problem ist, dass es so viele Sub-Genres von Feminismus gibt. Zum Beispiel jene, die mich dafür kritisieren, dass ich Make-Up trage."

Doch Teri weiß noch genau, dass sie in jüngeren Jahren selbst nicht weniger extrem war. "Als ich damals noch die blutgetränkten Liveshows spielte, war Feminismus für mich das Aufstampfen und die laute Artikulation auf der Bühne. Ich rannte eine Zeit lang wirklich mit Büchern zu diesem Thema herum und habe den Leuten Passagen daraus vorgepredigt. Ich war ziemlich lange ein nerviges Arschloch, habe mich aber entwickelt", lacht sie mit einem weiten Blick zurück, "ich musste einfach lernen, weniger zu reden und mehr darüber zu lesen und zu lernen. Mit der Brechstange wirst du niemals jemanden zum Nachdenken bringen."

Neues ohne Gäste
Die großen Schockeffekte sind für Teri und ihre gemischtgeschlechtliche Band aber längst nicht mehr entscheidend. Längst geht es neben der Message auch um ausgeklügeltes Songwriting und die Erweiterung des eigenen musikalischen Kosmos. "A Raw Youth" war dementsprechend ein Reifeprozess in mehrfacher Hinsicht. Doch nun kann man ohnehin das vierte Studioalbum erwarten. "Es ist schon fast fertig, nach dieser Europa-Tour werden wir es beenden. Wann es erscheinen wird, das ist Sache der Plattenfirma, das kann ich noch nicht sagen. Allerdings - glaubt es mir oder nicht - versuche ich tatsächlich möglichst ohne Gäste und große Namen auszukommen."

Die großen Namen, die stecken aber ohnehin in einem anderen Projekt, das bereits davor erscheinen wird. Anfang 2017 darf nämlich mit dem Debütalbum einer Band namens Crystal Fairy gerechnet werden. Neben Teri am Mikro, wird man Omar Rodríguez-Lopéz am Bass, sowie das Melvins-Doppel Buzz Osbourne auf der Gitarre und Dale Crover an den Drums hören können. Mit "Drugs On The Bus" hat das frivole Quartett auch schon ein erstes akustisches Lebenszeichen ins Netz gestellt. "Dort arbeiten wir wirklich als Team zusammen. Jeder hat den Raum betreten und angefangen, am Projekt zu basteln. Buzz setzte mit einer Gitarre ein und Dale spielte das Schlagzeug darüber. Ein echtes Band-Album, auf das ihr euch freuen könnt." Und ein weiterer Beweis für die rapide Entwicklung einer echten Rebellin in der Populärmusik.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele