Kollektivverträge

ÖGB-Chef: „Krisen-Abschlüsse kein Dauerzustand!“

Wirtschaft
22.12.2025 18:01

In vielen Branchen lagen die Kollektivvertrags-Erhöhungen heuer unter der Teuerung, Hunderttausende Beschäftigte müssen einen Kaufkraftverlust hinnehmen. Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB), erteilt im „Krone“-Interview weiteren KV-Erhöhungen unter der Inflation eine Absage.

„Krone“: Herr Katzian, wenn Sie als Gewerkschaftspräsident auf das Jahr 2025 zurückblicken – haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Wolfgang Katzian: Ich bin 1977 in die Gewerkschaft eingetreten und habe viele Höhen und Tiefen und auch viele Krisen erlebt. Aber so ein Jahr wie dieses, wo wirklich alles zusammenkam, noch nicht.

Heißt konkret?
Wir hatten das größte Budgetdefizit, das es in der 2. Republik je gab. Dadurch hatte die Regierung gar keinen Spielraum für irgendwelche Offensivmaßnahmen. Wir haben das dritte Jahr der Industrie-Rezession. Wir haben Kriege auf der Welt, die Zölle, Handelsabkommen – ein Konglomerat an Schwierigkeiten.

Es gab aber auch noch nie ein Jahr, in dem so viele Branchen bei den Kollektivvertragsverhandlungen unter der Teuerung abgeschlossen haben, oder?
Es gab auch schon in der Vergangenheit Lohnabschlüsse unter der Inflation, Gewerkschaften beweisen in Krisenzeiten Verantwortungsbewusstsein. Außerdem hatten wir in den zwei Jahren davor sehr hohe Lohnabschlüsse gemacht.

Gewerkschaftspräsident Wolfgang Katzian im Gespräch mit „Krone“-Wirtschaftsredakteur Vergil ...
Gewerkschaftspräsident Wolfgang Katzian im Gespräch mit „Krone“-Wirtschaftsredakteur Vergil Siegl(Bild: Eva Manhart)

Was ist der Grund, warum das heuer anders war?
Mit Blick auf die Industrie haben die beteiligten Gewerkschaften heuer gesagt: „Okay, wir machen einen Krisenabschluss.“ Auch in anderen Branchen wie im Handel gab es KV-Abschlüsse unter der Inflation. Am Ende des Tages freut mich kein einziger Abschluss unter der Inflationsrate, aber es war heuer der Situation geschuldet.

Wie werden die KV-Verhandlungen im nächsten Jahr?
Ich sage eines: Wenn es nicht gelingt, die Inflation zu senken, dann werden wir solche Abschlüsse auf Dauer nicht machen können. Permanent unter der Inflationsrate zu liegen, das wird es nicht geben. Krisen-Abschlüsse sind kein Dauerzustand. Wer das glaubt, ist am Holzweg.

Die Inflation soll also, wenn machbar, künftig wieder abgedeckt werden?
Genau. Das Ziel der Gewerkschaftsbewegung ist schließlich vor allem die Sicherung der Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Davon profitiert auch die Wirtschaft.

Die Unternehmen stöhnen über die hohen Kosten ...
Aber ohne Kaufkraft und Konsum gibt es kein Wirtschaftswachstum!

Sie haben sich lange einen Mindestlohn von 2000 Euro brutto gewünscht. Ist das Ziel inzwischen erreicht?
Im Großen und Ganzen haben wir das mittlerweile umgesetzt: Die meisten Branchen und Berufe haben inzwischen einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 2000 Euro oder deutlich mehr. Es gibt nur noch einzelne Ausnahmen.

Zitat Icon

Die meisten Branchen und Berufe haben inzwischen einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 2000 Euro oder deutlich mehr.

Wolfgang Katzian

Zum Beispiel?
Beispielsweise sind wir im Friseurgewerbe bei 1965 Euro brutto im Monat, in der Schuhindustrie bei 1945,25 Euro und im chemischen Gewerbe bei 1989,40 Euro. Aus meiner Sicht sollte es keine Arbeit geben, die nicht mindestens zweitausend Euro bei Vollzeit wert ist.

Den Unternehmen machen die hohen Lohnnebenkosten zu schaffen und sie würden diese gerne gesenkt sehen. Was sagen Sie dazu?
Kosten sind es für die Unternehmer, aber für die Arbeitnehmer sind es Leistungen. Wenn der Unternehmer etwas für die Pension einzahlt, ist es gut für den Arbeitnehmer. Wenn er etwas für die Krankenversicherung oder für die Unfallversicherung zahlt, ist es gut für den Arbeitnehmer. Auch die betriebliche Vorsorge, die Abfertigung neu, ist Teil der Lohnnebenkosten. Ebenso der Beitrag zum Insolvenzentgeltfonds, der Beschäftigten den Lohn zahlt, wenn der Betrieb nicht mehr zahlen kann.

Wenn jemand 56.000 Euro brutto im Jahr verdient, dann kostet er das Unternehmen 72.519 Euro, wegen der Lohnnebenkosten. Wie beurteilen Sie das?
Wenn die Freunde von der Industriellenvereinigung immer daher rennen und schreien: „Die Lohnnebenkosten müssen runter, die sind viel zu hoch“, dann frage ich: Wollt ihr, dass es keine Pensionen gibt und keine Kranken- und Unfallversicherung? Wir wollen das nicht!

Im Regierungsprogramm steht jedenfalls die Auslagerung der Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds ins Budget ...
Der Fonds ist 8,7 Milliarden Euro schwer und damit wird viel bezahlt: vom Schulbuch über die Schülerfreifahrt über die Familienbeihilfe über das Karenzgeld bis zum Kinderbetreuungsgeld. Im Regierungsübereinkommen steht, dass dieser unter Budgetvorbehalt ins Budget wandern soll. Aber wo sollen die acht Milliarden im Budget herkommen? Ich sehe das derzeit nicht. 

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