In den 90er-Jahren haben Biohazard den New-York-Hardcore auf eine neue kommerzielle Stufe gehoben – dann scheiterte die Band vor allem an sich selbst. Seit knapp drei Jahren ist das Quartett wieder in der klassischen Besetzung da und begeisterte Fans unlängst mit dem Comebackalbum „Divided We Fall“. Man sei gekommen, um zu bleiben.
Wenn es um zerrüttete Karrieren geht, dann ist die New Yorker Hardcore-Institution Biohazard ganz vorne dabei. Ende der 80er-Jahre gegründet und von bekannten Szenegrößen wie Agnostic Front, Madball und Cro-Mags, aber auch Legenden wie Black Sabbath oder Anthrax inspiriert, ging man vor allem an der Ostküste durch die Decke. Für das 1990 erschienene Debütalbum „Biohazard“ setzte es noch mediale Hiebe. Die Songs glorifizierten Selbstjustiz, man bekannte sich offenbar zur rechtslastigen Skinhead-Szene und der mit einem amerikanischen Adler ausstaffierte Bühnenaufbau war Patriotismus in Reinkultur. Dass Gitarrist/Sänger Evan Seinfeld und Drummer Danny Schuler jüdischer Abstammung waren, wurde bei der Kritik von außen gerne ignoriert. Bassist/Sänger Billy Graziadei meinte zudem, man wollte in puncto Provokation der Grindcore-Band Carnivore über sein, der Popularität taten die vielen Diskussionen jedenfalls keinen Abbruch. Schon mit den beiden Nachfolgewerken wurden Biohazard zur wichtigsten und kommerziell erfolgreichsten Hardcore-Band der frühen 90er-Jahre.
Von ganz oben nach ganz unten
„Urban Discipline“ (1992) holte mit seiner ausgeweiteten Kompositionskunst auch die Metal-Fans ab, das Drittwerk „State Of The World Address“ (1994) traf mit sozialkritischen Texten, ehrlicher Wut und einer frischen Herangehensweise den Nerv der Jugendlichen und verkaufte sich damals mehr als eine Million Mal - eine unvorstellbar hohe Zahl. Mit dem größten Karriereerfolg begann aber der schleichende Niedergang. Lead-Gitarrist Bobby Hambel verließ die Band schon 1995, mit dem volltätowierten und gerne verhaltensauffälligen Frontmann Evan Seinfeld wurde das gemeinsame Musizieren auch immer schwieriger. Der konzentrierte sich zuerst auf eine Schauspielkarriere in der Gefängnisserie „Oz“ und wurde dann - auch dank seiner damaligen Ehefrau Tera Patrick – zu einem gefeierten Pornostar. Mit Fortdauer wurden die Alben schwächer, die Popularität sank und die Band erodierte erstmals 2006. Die Reunion zwei Jahre später fand ohne Seinfeld statt, 2016 versandete die Band ein weiteres Mal im Nichts.
Frontmann Graziadei, stets die treibende Kraft hinter Biohazard, ließ nicht locker und gab in Interviews mit seiner All-Star-Band Powerflo (auch der „Krone“) immer wieder Andeutungen, dass eine richtige Biohazard-Wiedervereinigung möglich wäre. Ende 2022 war es dann wirklich so weit, auch mit dem gereiften und geläuterten Seinfeld ein Bord, die Festival-Shows 2023, u.a. am Nova Rock, wurden zu einem gefeierten Triumphzug für die Kultband aus den frühen 90er-Jahren. Mitverantwortlich war die grassierende Nostalgiewelle für Acts aus jener Zeit. „Wir verstehen uns heute besser denn je“, erzählt Graziadei der „Krone“ im Talk, „alle Bands und Beziehungen haben ihre schwierigen Phasen und prekären Momente. Wenn wir aber eine Stunde pro Abend auf der Bühne stehen, ist jeder Bullshit wie vergessen. Was uns als 20-Jährige wie das Ende der Welt vorkam, kostet uns heute ein müdes Lächeln.“
Wiedergewonnene Bruderschaft
Auch wenn sich Biohazard mit einem für die Hardcore-Szene üblichen Saubermann-Image gerierten, weiß der Frontmann heute genau, wo früher die Prioritäten lagen. „Frauen und Drogen – oder umgekehrt. Die Zeiten sind vorbei. Wir alle haben Familien, touren mit unseren Frauen und Kindern. Das ist ein ganz anderes Leben als früher. Wir wollen die Zeit als Freunde genießen, zusammen ins Studio und auf die Bühne gehen und Musik erschaffen. Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis wir zu viert als klassisches Line-Up wieder zusammengekommen sind. Das kann man gut und gerne als Zeitverschwendung sehen, aber es wäre nicht anders möglich gewesen. Wir hatten 2023 vor dem Nova Rock einen kaputten Bus und waren 36 Stunden darin eingeschlossen. Wäre uns das 1995 passiert, hätten wir uns garantiert umgebracht.“ Die Rufe nach einem richtigen Comebackalbum waren laut, zumal das letzte Werk, „Reborn In Defiance“ aus 2012 nicht unbedingt die Qualitätsstandards der Klassiker erfüllte.
Das lange Feilen an „Divided We Fall“ hat sich jedenfalls ausgezahlt. Den Metal-Anteil haben Biohazard gewaltig in die Höhe geschraubt, sodass viele Songs mehr nach Slayer als nach den Cro-Mags klingen. Songs wie „Fuck The System“ und „Forsaken“ rattern in Hochgeschwindigkeit durch die Boxen, dazu sorgen Gangshouts, Breakdowns und eine unfassbar dichte Produktion von Matt Hyde dafür, dass man sich die viehisch wildernden Songs am liebsten sofort auf einer Livebühne in die Ohren knüppeln lassen möchte. „Wir alle haben Vorstellungen vom richtigen Sound, das mussten wir erst einmal vereinen können“, so Drummer Schuler, „wir sitzen auch lieber zusammen und jammen, als dass wir unsere Idee einzeln mit technischen Hilfsmitteln wie Pro Tools einspielen.“ Dass Crossover-Sounds mit Metal-Schlagseite (auch Clawfingers Album-Comeback steht schon vor der Tür) wieder immens populär geworden sind, passt gut zum idealen Reunion-Timing der New Yorker. „Keiner in der Band ist besonders talentiert, aber wir vier sind harte Arbeiter mit Visionen“, so Graziadei, „diese starken Unterschiede machen Biohazard aus. Heute können wir auch menschlich miteinander umgehen.“
Inspiration statt Wettbewerb
Dass all die alten Wegbegleiter, Mitstreiter und Konkurrenten in unterschiedlichen Popularitätsgrößen noch immer um die Welt touren, hätte sich im New York der späten 80er-Jahre kaum jemand gedacht. „Es ist bewundernswert, dass dieser Ehrgeiz und Biss noch vorhanden ist“, bestätigt Schuler, „wir hatten alle nie einen großen Wettbewerb untereinander, es war eher so, dass man sich immer gegenseitig inspirierte, aber natürlich mehr Erfolg haben wollte. Unser großes Ziel war es, aus dem dunklen und kriminellen New York die Wahrheit in die Welt zu tragen, aber auch die schönen Seiten aufzuzeigen. Positiv zu bleiben und nicht die Hoffnung zu verlieren.“ Die Passion, sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen, haben die Musiker nie verloren. „Dafür sind Punkrock und Hardcore da. Er muss laut, wütend und aggressiv bleiben. Er muss sich gegen das System auflehnen, das ohnehin überall versagt. Unsere Wut wurde heute zur Passion. Die Passion, den Leuten eine Message zu vermitteln. Wir haben einen Signature-Sound, an dem wir feilen und den wir erweitern. Wir kommen gerade erst so richtig ins Rollen.“
Zum mehr als gelungenen Comebackalbum „Divided We Fall“ fehlt eigentlich nur noch eine ausladende Europatour mit Österreich-Termin. Die Hoffnung, dass es 2026 so weit sein wird, bleibt – auch wenn dahingehend noch nichts fixiert ist.
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