Breites Spektrum

Seelische Leiden dürfen kein Tabuthema mehr sein

Burgenland
10.10.2025 06:00

Fast zwei Millionen Menschen in Österreich leiden an psychischen Erkrankungen. Viele nehmen keine Unterstützung in Anspruch – aus Scham, Unwissen oder fehlenden Ressourcen. Weil nach wie vor viele Kassentherapieplätze fehlen, setzt das Burgenland auf ein starkes öffentliches Gesundheitssystem.

Psychische Gesundheit ist nicht nur für die eigene Lebensqualität essenziell. Sie hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Psychisch gesunde Menschen sind leistungsfähiger und kreativer, psychisch erkrankte wiederum sind weniger produktiv, häufiger in Krankenstand, arbeitslos, invalide und in Frühpension. Allein in Österreich verursachen Ausfälle, Klinikaufenthalte und Medikamente laut OECD volkswirtschaftliche Kosten von rund 15 Millionen Euro pro Jahr. Bleiben Erkrankungen unbehandelt, sind die sozialen Folgekosten noch höher, weil sie auch das Umfeld massiv belasten und zu Gewalt, sozialer Ausgrenzung, Stigmatisierung, Armut, Obdachlosigkeit und Kriminalität führen können. Investitionen in Prävention, Aufklärung, Therapie und Integration lohnen sich also langfristig – sowohl humanitär als auch ökonomisch.

In den vergangenen Jahren sind die Zahlen psychischer Erkrankungen weltweit deutlich gestiegen. Kriege, globale Krisen, wirtschaftliche Unsicherheiten und eine sich rasant verändernde Welt erzeugen Stress und wirken oft wie Brandbeschleuniger. Auch die Burgenländer spüren das und schätzen laut aktuellem „Austrian Health Report“ ihren psychischen Gesundheitszustand als weniger gut ein.

Studien zeigen: Nur etwa 30 bis 40 Prozent der Psychotherapie-Patienten sind Männer. Viele ...
Studien zeigen: Nur etwa 30 bis 40 Prozent der Psychotherapie-Patienten sind Männer. Viele glauben, „stark sein zu müssen“, und haben Angst vor dem Eingeständnis von Schwäche. Oft fehlt aber auch die Sensibilität für die eigenen Gefühle. Probleme werden häufig mit Arbeit, Alkohol oder Aggression bekämpft.(Bild: Katarzyna Bialasiewicz photographee.eu)

Sicherheit und Chancengleichheit
Werden emotionale Probleme so belastend, dass sie das Wohlbefinden beeinträchtigen und den Alltag einschränken, kann Psychotherapie helfen. Doch nicht jeder kann sich eine leisten. Kassentherapieplätze gibt es, verglichen mit Bevölkerungszahl und Bedarf, im Burgenland nur wenige. In strukturschwachen Regionen in den Bezirken Güssing und Jennersdorf muss man sogar bis zu ein Jahr lang darauf warten! Weil die psychotherapeutische Versorgung in die Zuständigkeit der Sozialversicherungsträger fällt und das Land hier keine direkten Einflussmöglichkeiten auf eine notwendige Verbesserung hat, forciert Rot-Grün ein starkes öffentliches Gesundheitssystem, das Sicherheit und Chancengleichheit bietet.

So etwa ist im aktuellen Regierungsprogramm festgehalten, dass die psychiatrische Versorgung auf neue Beine gestellt wird. Erst im Juni wurde in Neusiedl am See eine Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie eröffnet – die dritte nach Oberwart und Eisenstadt. Bis 2035 – so lange dauern die Ausbauarbeiten noch – sollen auch in der Erwachsenen-Psychiatrie und Tagesklinik im Krankenhaus Eisenstadt Patienten im Alter von 16 bis 24 Jahren versorgt werden.

Bei jüngeren Generationen gibt es zum Glück bereits ein Umdenken. Immer mehr Burschen und junge ...
Bei jüngeren Generationen gibt es zum Glück bereits ein Umdenken. Immer mehr Burschen und junge Männer erkennen, dass frühzeitige Hilfe die Lebensqualität verbessern und Leid erheblich verringern kann.(Bild: Svitlana - stock.adobe.com)

Keine Überweisung nötig
Doch nicht nur Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen dürfen auf Hilfe zählen. Auch für jene, die in Lebenskrisen stecken – und in eine solche kann jeder rutschen –, gibt es Anlaufstellen. „Die Sozialen Dienste Burgenland bieten umfangreiche Angebote für psychische Gesundheit – angefangen bei präventiven Maßnahmen wie der Familienbegleitung von ,Netzwerk Kind‘ und den Fortbildungen der Suchtprävention für Lehrpersonal bis hin zu unseren Behandlungszentren für Kinder und Erwachsene. All diese Angebote sind kostenlos, niederschwellig erreichbar und man benötigt keine Überweisung!“, sagt Geschäftsführer Johannes Zsifkovits. 

Weil für viele Betroffene bereits die Suche nach der richtigen Unterstützung herausfordernd ist, gibt es den Psychosozialen Dienst Burgenland (PSD). Hier finden neben Erkrankten auch deren Angehörige ein offenes Ohr. In jedem Bezirk gibt es eine Einrichtung. Allein im Vorjahr wurden mehr als 5000 Patienten mit rund 43.000 Kontakten rasch, wohnortnah und unentgeltlich unterstützt.

Auf Wunsch auch anonym
„Ein zentraler Vorteil ist das multiprofessionelle Team, das aus Ärzten, Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeitern und Pflegefachkräften besteht und unter einem Dach zusammenarbeitet. Man wird also nicht von einer Stelle zur nächsten geschickt, sondern kann verschiedene Unterstützungsangebote direkt in Anspruch nehmen. Das erleichtert vieles und hilft auch schwer erkrankten Menschen, gut und über längere Zeiträume begleitet zu werden – auf Wunsch auch anonym“, sagt Michaela Wagner, die Chefärztin des PSD Südburgenland.

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Wenn sich jemand das Bein bricht, würde niemand sagen: Reiß dich zusammen! Bei Depressionen und Angststörungen hören wir das immer noch. Auch deshalb empfinden es viele Menschen als Schwäche, sich Hilfe zu holen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Sich Hilfe zu holen, ist eine Stärke!

Dr. Michaela Wagner, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin

Umgang mit Gefühlen
Darüber hinaus setzt das Land auf gezielte Unterstützung an den Schulen – durch Psychologen, Sozialpädagogen und Beratungslehrer. Aufklärung und ein offener Umgang sind nämlich die beste Prävention. „Es geht darum, Lebenskompetenzen zu vermitteln. Die Kinder sollen lernen, mit Emotionen und Konflikten umzugehen. Das macht sich Jahre später bezahlt und schützt beispielsweise auch vor Suchtverhalten“, so Wagner. 

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