„Krone“-Interview

Joshua Redman: „Eine Jazzband ist Demokratie“

Musik
14.06.2025 09:00

Tenorsaxofonist Joshua Redman kehrt ins Wiener Konzerthaus zurück, um mit seinem guten Freund und Pianist Brad Mehldau zu musizieren. Ein Fest der Improvisation, das am 18. Juni über die Bühne geht. Knapp danach veröffentlicht Redman sein neues Studioalbum.

kmm

Das Saxofonspielen musste der große Sonny Rollins vor mehr als einer Dekade einstellen, aber mit 94 Jahren befindet sich der Doyen des Jazz-Saxofons noch immer unter uns. Improvisationsgewalt und Virtuosität gaben sich beim Modern-Jazz-Avantgardisten die Klinke in die Hand – kein Wunder, dass ein Vollblutmusiker wie Joshua Redman ihn als größte Inspirationsquelle angibt. Dabei ist der 56-Jährige längst selbst eine anerkannte Koryphäe auf seinem Gebiet. Zuletzt überzeugte er 2023 mit seinem famosen Album „Where Are We“, das sich im Grobkonzept mit unterschiedlichen amerikanischen Städten befasste, dabei aber auch die verschiedenen Stimmungen aus unterschiedlichen Zeitepochen mittransportierte. Mit Gabrielle Cavassa setzte der Kalifornier dabei erstmals auf eine Sängerin – bislang bevorzugte es Redman, seine Musik instrumental zu vermitteln.

Fruchtbare Musikbeziehung
„Das war mein erstes Album auf dem renommierten Label Blue Note“, erzählte er uns im Gespräch zum Album, „ich habe zuvor noch nie mit Gabrielle gearbeitet und wir kannten uns bis einen Monat vor der ersten Session noch nicht einmal. Mir geht es immer darum, Musik zu erforschen und sie zu expandieren. Prinzipiell bevorzuge ich instrumentale Musik, in dieser Welt fühle ich mich wohl. Aber ich verschließe mich Experimenten und Versuchen nicht.“ Eine besonders fruchtbare musikalische Beziehung pflegt Redman mit dem allseits bekannten Klavierspieler Brad Mehldau. Redman war 1993 Mehldaus erster Bandleader und lehrte ihm, der Musik mehr Raum und Freiheit zu gewähren. Ein besonderes Talent Redmans: Er holt den Jazz auch in seinen komplexen Momenten aus der inneren Einkehr und macht ihn für ein breites Publikum zugänglich.

Die beiden arbeiteten für unterschiedliche Alben wie „Nearness“ (2016), „RoundAgain“ (2020) oder „LongGone“ (2022) zusammen und haben über die Jahrzehnte eine außergewöhnliche musikalische Verbindung zueinander herausgearbeitet. Immer wieder war der eine beim anderen zu sehen – die Freundschaft verbindet die kreative und menschliche Komponente. „Ich werde in der Musik immer von einem organischen, sehr natürlichen Gefühl geleitet, dass ich in Worten nicht genau beziffern kann“, erklärt Redman weiter, „sehr viele meiner Gedanken kommen aus dem emotionalen Unterbewusstsein und bahnen sich ihren Weg nach vorne. Das kann man physisch gar nicht so genau festmachen und ist wohl eher eine spirituelle Sache.“ Redman fusioniert unterschiedliche Substile und fürchtet sich auch nicht vor einem poppigen Zugang. Wo andere die Nase rümpfen, findet er musikalisches Seelenheil – etwa im Liedgut unterschiedlicher Populärmusiker wie Prince oder den Beatles.

Musik kommt vor dem Statement
Mehldau und Redman sind aber auch geschickte musikalische Seismografen für den Status Quo ihres Heimatlandes Amerika. „Ich sehe mich aber nicht als politischen Künstler, sondern bin in erster Linie jemand, der unterschiedliche Rhythmuswechsel aneinanderreiht“, lacht Redman, „ich versuche vor allem Spaß zu haben und mich mit anderen Musikern zu verbinden. Ich habe natürlich meine politischen und auch moralischen Richtlinien und ein Album wie ,Where We Are‘ hat wahrscheinlich mehr politische Kante als andere, aber für mich kommt die Musik immer vor dem Statement. Im Jazz kann man wie sonst nirgends seinen Emotionen, Gefühlen und Gedanken freien Lauf lassen. Man fühlt sich frei und wenn man mit jemand anderem auf der Bühne steht, dann fühlt man eine Art von kollektiver Freiheit.“

Das Kollektiv dient Redman trotz seiner unumstrittenen Solo-Fähigkeiten auch als sicherer Hafen. „Man weiß nie, was als Nächstes kommt. Man muss allen anderen genau zuhören, um selbst einsteigen zu können und ein Gefühl für das Gemeinsame zu kriegen. Eine Jazzband ist für mich die Verkörperung von Demokratie. Ich bin mir nicht sicher, ob Jazz-Musiker gute Typen wären, um ein Land zu leiten, aber wenn jeder Mensch gerne Jazz hören oder selbst spielen würden, hätten wir untereinander weit weniger Verständigungsprobleme.“ Redmans Saxofon ist schlussendlich ein Tor in eine Welt der Gemeinschaft. Genauso sieht und versteht er seine Musik. Gemeinsam mit Mehldau wird er auch den Beweis antreten, dass sich zwei Menschen auf der Bühne genauso gut für ein tieferes, demokratisches Musikverständnis eignen. In wenigen Tagen erscheint Redmans neues Album „Words Fall Short“ – unter anderem mit Cavassa als Gaststimme.

Redman und Mehldau live in Wien
Joshua Redman und Brad Mehldau spielen am 18. Juni unter dem Namen „The Art Of The Duo“ gemeinsam im Wiener Konzerthaus.

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