Pater Johannes stellt vieles auf den Kopf: das Müssen, das Machen – und sogar den Begriff Gott. In seinem Buch „Nichts machen müssen“ plädiert der Benediktinermönch für eine radikale Umkehr im Denken – weniger Funktionieren, mehr Dasein. Ein Gespräch über das Nichts und die heilende Kraft der Stille.
„Krone“: Pater Johannes, Ihr Buch heißt ja „Nichts machen müssen“ (20 Euro, Edition Platin). Haben wir das Nichtstun verlernt?
Pater Johannes: Ja, aber eigentlich geht es nicht um „nichts tun“, sondern um „nichts machen müssen!“
Wieso?
Weil wir nicht wissen, was „nichts“ ist. Weil wir nicht wissen, was „machen“ ist. Und weil wir nicht wissen, was „müssen“ ist.
Zum Thema „Müssen“ gleich die nächste Frage: Woher erkenne ich, dass ich etwas machen muss?
Das ist eine wahnsinnig schwierige Frage, weil man ja permanent entscheiden muss: Wann bin ich in einer Situation verantwortlich – und wann nicht?
Warum fällt es uns heute so schwer, einfach nur zu sein, ohne uns dabei rechtfertigen zu müssen?
Viele Menschen gönnen sich keine Pause, sie handeln einfach, fühlen sich ständig zu etwas verpflichtet und wissen irgendwann gar nicht mehr, was sie als Erstes tun sollen. Sie fühlen sich völlig überfordert, werfen alles hin und sagen: „Jetzt mache ich gar nichts mehr.“ Ich wollte kein Buch für ratlose Faulpelze schreiben, sondern eines, das Menschen motiviert, eine neue Haltung zum Leben zu finden. Es geht darum, sich selbst und andere von diesem permanenten Druck zu befreien.
Ich wollte kein Buch für ratlose Faulpelze schreiben, sondern eines, das Menschen motiviert, eine neue Haltung zum Leben zu finden. Es geht darum, sich selbst und andere von diesem permanenten Druck zu befreien.
Benediktinermönch Pater Johannes
Wenn jemand in Pension geht, wird er sofort gefragt: „Und, was machst du jetzt?“ Dabei wäre die eigentlich interessante Frage: „Wer bist du?“ Wenn jemand spazieren geht, wird das sofort gerechtfertigt – mit Gesundheit, frischer Luft, Bewegung. Einfach nur spazieren zu gehen, scheint heute unanständig zu sein.
Wenn wir jemanden treffen, fragen wir oft: „Wie geht's?“ Aber unausgesprochen folgt sofort die zweite Frage: „Und was machst du?“ Wenn dann jemand sagt: „Ich mache nichts“, reagieren viele enttäuscht – obwohl genau das oft ihr heimlicher Wunsch wäre: einmal nichts machen zu müssen.
Was ist dieses „Nichts“ für Sie persönlich?
Es ist das große Geheimnis und ich nenne es Gott. Gott ist für mich auf der einen Seite das Nichts und auf der anderen Seite das Alles. Es ist dieser Grenzbereich zwischen beidem, der für mich die Erfüllung des Lebens darstellt. Dann sage ich manchmal: Es ist eigentlich egal, ob es das Nichts oder das Alles ist. Manche nennen mich deswegen Atheist – aber das bin ich nicht. Genau da spielt sich das Leben ab: in diesem Zwischenraum.
„Ich muss nicht alles mitmachen“
Sie schreiben, dass man das Nein-Sagen lernen muss. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, wir leben in einer Gesellschaft, in der ohnehin jeder nur mehr auf sich selbst schaut. Wollen wir wirklich in so einer Welt leben?
Wenn man „Nein“ nur als Verneinung und Abgrenzung versteht, hat man das Prinzip nicht verstanden. Nein-Sagen wird oft mit Verweigerung verwechselt – das ist falsch. „Nichts machen müssen“ bedeutet nicht, sich dem Leben zu entziehen, sondern sich mitten hineinzubegeben. DA SEIN. Es richtet sich an hochaktive Menschen. Es bedeutet aber auch: Ich muss nicht alles mitmachen, nicht jedem Trend hinterherlaufen.
Am Karfreitag ist Jesus gestorben. Sollen wir diesen Tag mehr zelebrieren und zum Innehalten heranziehen?
Karfreitag konfrontiert uns mit Schmerz, Grausamkeit und Erschütterung. Die Frage ist: Fliehen wir davor – oder lassen wir uns verwandeln? Diese Entscheidung ist der Wendepunkt. Manche Theologen sagen, die Auferstehung hat im Moment des Todes begonnen. Ich glaube das auch: Wenn wir an den tiefsten Punkt unserer Existenz kommen, kann sich etwas Neues öffnen. Die Angst vor dem Tod ist real – wegen der Schmerzen, wegen des Alleinseins. Aber sie darf uns nicht daran hindern, diesen Punkt anzunehmen.
„Stille konfrontiert mich mit mir selbst“
Viele Menschen haben auch Angst vor der Stille. Was würden Sie ihnen raten?Stille ist nicht resignierendes Schweigen oder Verstummen, sondern konfrontiert mich mit mir selbst und dem Leben. Sie weckt vieles in uns, das wir lieber nicht wahrnehmen wollen. Deshalb machen viele Lärm – zur Ablenkung. Aber Stille ist auch voller Weisheit. Sie sagt uns alles – wenn wir bereit sind, zuzuhören.
Am Karsamstag feiern wir die Auferstehung – ein Neubeginn. Wie gelingt er? Durch ganz einfache Dinge: bewusst atmen, bewusst sehen, hören, riechen, schmecken. Auferstehung ist eine sinnliche Erfahrung. Ostern bedeutet, mit allen Sinnen zu leben und beschenkt werden. Meine Lieblingsheilige, Hildegard von Bingen, sagte: „Schau ins Grün.“ Das ist kein banaler Ratschlag, sondern ein Aufruf zur Wahrnehmung. Wahrnehmen, was wächst – auch das, was noch im Mist verborgen liegt. Selbst der Misthaufen gehört dazu. Und hoffentlich entdecken wir dort einen grünen Zweig. Ein Osterspaziergang ist also keine Nebensache – er ist ein Symbol für das Leben, das wieder aufbricht.
Heute zeigen wir Veränderungen oft über Äußerlichkeiten – Sport, Diäten. Das Innere ist schwer sichtbar. Wird da etwas verwechselt?
Ja, wir führen ein regelrechtes „Fasten-machen-Theater“ auf. Manche erzählen stolz, sie hätten drei Kilo verloren oder seit Wochen keinen Alkohol getrunken – als müssten sie sich rechtfertigen. Aber echtes Fasten bedeutet nur: ein bisschen weniger von allem „machen“. Keine Übertreibung – nur weniger und bewusster. Viele haben Angst vor diesem Weniger – obwohl es ihnen guttäte. Sie fürchten sich sogar davor, gesund zu werden.
Körper und Seele sind eine Einheit und nicht zu trennen. Jede Zelle ist beseelt. Es ist wichtig, sich vernünftig zu bewegen – aber nicht, um eine Tabelle zu füllen. Lebensglück lässt sich nicht mit dem Blutdruckmessgerät bestimmen.
Manche erzählen stolz, sie hätten drei Kilo verloren oder seit Wochen keinen Alkohol getrunken – als müssten sie sich rechtfertigen.
Pater Johannes über Fasten
Woher weiß ich dann, ob ich glücklich bin?
Durch unsere Sinne – und vor allem durch den sechsten Sinn: durch das Herz. Nicht der Muskel, sondern das innere Zentrum unseres Lebens. Glück zeigt sich in zwei Herzenserfahrungen: Dankbarkeit und Freude. Wer dankbar ist, ist auf dem Weg zur Heilung und des Glücks.
Was können Menschen, die mit Kirche oder Gott nichts anfangen können, dennoch aus Ostern mitnehmen?
Ganz einfach: das Leben wahrnehmen. Wer mit dem Begriff „Gott“ Mühe hat, kann ihn durch „Leben“ ersetzen. Wirklich lebendig sein – das ist eine religiöse Erfahrung. Im Garten, bei Kindern, bei Kranken – selbst beim Sterben – da wird manchmal spürbar, was uns trägt. Das ist Gnade.
Und wenn Sie den Leserinnen und Lesern einen einzigen Satz mitgeben könnten – welcher wäre das?
Höre auf die Dankbarkeit und auf die Freude in dir. Das heißt nicht, dass alles perfekt sein muss. Aber wer das in sich entdeckt, der kennt die Osterfreude.
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