Erneute Polit-Farce

Putin-Kritiker Nawalny fasst fünf Jahre Lagerhaft aus

Ausland
18.07.2013 11:40
Der prominente russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist am Donnerstag in einem höchst umstrittenen Prozess wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Der Kritiker von Präsident Wladimir Putin und Kämpfer gegen Korruption wies die Vorwürfe ebenso wie viele Beobachter als reine politische Inszenierung des Kreml zurück. Der 37-Jährige war erst am Mittwoch als Kandidat zur Bürgermeisterwahl in Moskau am 8. September zugelassen worden - wegen der Freiheitsstrafe kann er nun jedoch nicht antreten.

Das Gericht befand den Wirtschaftsjuristen, Anwalt und Blogger für schuldig, 2009 als Berater des Gouverneurs der Region Kirow die staatliche Holzfirma Kirowles um umgerechnet rund 400.000 Euro betrogen zu haben. Richter Sergej Blinow begründete sein Urteil mit der "Schwere des Verbrechens", dessen sich Nawalny schuldig gemacht habe, sowie der "Gefahr, die er für die Gesellschaft darstellt". Neben der Haftstrafe muss der 37-Jährige auch noch eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Rubel (rund 25.000 Euro) zahlen.

Die Staatsanwaltschaft in Kirow, 900 Kilometer östlich von Moskau, hatte sechs Jahre Lagerhaft für Nawalny gefordert. Dieser wiederum hatte in seiner Schlussrede vor dem Urteil erklärt: "Eines Tages werden wir sie besiegen, und dann stecken wir sie ins Gefängnis!" Gemeint sind: der Kreml, die Oligarchen, der korrupte Staatsapparat. Nach der Urteilsverkündung umarmte der Putin-Kritiker seine Frau und seine Mutter, bevor er in Handschellen abgeführt wurde.

Kritiker orten Schauprozess und Justizwillkür
Menschenrechtler sprachen von einem Schauprozess und einem neuen Beispiel für politische Justizwillkür in Russland. Der nunmehrige Richterspruch gilt als Gradmesser für den Umgang mit Andersdenkenden in Russland. In Moskau warnten die Behörden vor Protesten der Opposition. Es gebe keine Genehmigung dafür, hieß es. Sicherheitskräfte sperrten den Manegenplatz nahe des Kreml ab. Dort wollten Nawalnys Anhänger im Fall eines Schuldspruchs demonstrieren.

Als Blogger sorgte Nawalny seit 2007 durch seine kritischen Recherchen zu dubiosen Geschäftspraktiken russischer Großkonzerne, die sich teilweise in Staatsbesitz befinden, für Aufsehen. Die Auftritte des 37-Jährigen während der Proteste nach der umstrittenen Parlamentswahl im Dezember 2011 und gegen die Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin im Mai 2012 machten ihn auch im Ausland bekannt.

Ernsthafter Gegner des Machtgefüges um Putin
Der 37-Jährige mit dem polternden Charisma eines Volkstribuns fordert die Mächtigen immer wieder offen heraus - und ist dazu noch populär. Das macht ihn zu einem ernsthaften Gegner des Machtgefüges um Putin und seinen Premier Dmitri Medwedew. Laut zahlreichen politischen Beobachtern brachte Nawalny auch eher dieser gesellschaftliche Einfluss auf die Anklagebank, als die vorgebrachten Anschuldigungen. Nawalny gilt als heimlicher Held der modernen Mittelklasse, die sich nach einem anderen Russland sehnt als jenem, in dem Oppositionelle ausgeschaltet, Demonstranten verhaftet und kritische Journalisten mundtot gemacht werden.

Die Art, wie er sich bei seinen Recherchen die Informationen verschaffte, ließ aufhorchen: Nawalny kaufte Aktien von Industriegiganten wie dem Erdölkonzern Rosneft, dem Erdgasriesen Gazprom und der WTB-Bank. Als Minderheitsaktionär nutzte er dann sein Teilnahmerecht bei Versammlungen und prangerte dort Korruption und Transparenzmängel an. Später knöpfte sich der Wirtschaftsjurist auch die Regierung und den Kreml sowie nicht-deklarierte Funktionärsimmobilien im Ausland vor - natürlich nicht, ohne die Enthüllungen sogleich ins Internet zu stellen.

Einiges Russland als "Partei der Betrüger und Diebe"
"Mein Blog existiert nur, weil die Medien zensuriert werden", sagte Nawalny. Putins Partei Geeintes Russland schimpfte der Aktivist eine "Partei der Betrüger und Diebe", bei den regierungskritischen Massendemonstrationen im Mai 2012 trat er mit bejubelten Parolen wie "Wir sind die Macht!" oder "Wir vergessen nie, wir vergeben nie!" als Wortführer auf.

Zweimal landete Nawalny dafür im Gefängnis, nach jeweils zwei Wochen kam er wieder frei. Einer Umfrage zufolge kennt ihn inzwischen jeder dritte Bürger des Riesenreichs, das sich von der Ostsee bis nach Alaska streckt. Das "Time"-Magazin wählte ihn 2012 unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt - seinen Erzfeind Putin dagegen nicht.

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