Neues Album „66“

Paul Weller: Langsam kommt der Spätherbst näher

Musik
24.05.2024 09:00

Zum Geburtstag ein neues Studioalbum – und das gleich nach dem neuen Alter benannt. Kann man schon einmal machen, wenn man Paul Weller ist. Der „Modfather“ zeigt sich nach dreijähriger Albumpause versöhnlich, altersmilde und in sich gekehrt. „66“ erfüllt keine Erwartungshaltungen, sondern ermöglicht dem Kult-Musiker eine neue Form der Expression.

(Bild: kmm)

Manche Künstler versuchen ein Leben lang verzweifelt und sich abstrampelnd ins Rampenlicht zu rücken und eine Karriere auf die Reihe zu kriegen. Dann gibt es andere wie Paul Weller, die in ihrer mehr als 50-jährigen Tätigkeit bislang nicht weniger als drei Weltkarrieren aufs Parkett legten. Mit den legendären The Jam schuf er Songs für die Ewigkeit und verwandelte sich in den 70er-Jahren zum heute gerne zitierten „Modfather“. Nach deren Ende gründete er 1983 mit Mick Talbot die poppigeren und souligeren The Style Council und wurde langsam, aber sicher zum modischen Elder Statesman der britischen Musikszene. Als auch dieses Projekt irgendwann implodierte, begann Weller eine Solokarriere, die seit mittlerweile mehr als drei Dekaden floriert und so manch unvergessliche Klang-Preziose zeitigte.

Imperfektion als Live-Trumpf
Live tritt er gerne mit famoser Band und einem bunten Querschnitt seines beeindruckenden Oeuvres auf, was immer wieder für unvergessliche Momente sorgt. Etwa letzten September, als er die wundervolle Aura des Wiener Volkstheaters für sich zu nützen wusste und sich auch nicht von anhaltenden technischen Problemen aus dem Tritt bringen ließ. Mal stoisch, mal humorig spielte er lässig weiter, bat kurz zu einer notwendigen Pause und verließ das Auditorium mit einem triumphalen Sieg. Nicht nur langjährige Hörer und Weller-Hardliner waren ob des originären Auftritts beeindruckt. Die ungeplante Imperfektion machte den Abend erst zu etwas ganz Besonderem. Imperfektionen, die man auf den Alben Wellers nie findet, die aber auf der Bühne noch eine zusätzliche Portion Spannungswürze in die musikalische Suppe kippen.

Sein mittlerweile 17. Solowerk hat der Brite in ungewohnter Gemütlichkeit aufgenommen. Ganze drei Jahre sind seit seinem letzten Output „Fat Pop (Volume 1)“ vergangen. Das ist für den üblichen Veröffentlichungsrhythmus des Vielarbeiters eine ungewohnt lange Zeitspanne, wiewohl er dazwischen natürlich zweimal auf Tour war, eine B-Sides-Collection veröffentlichte und auch mit so mancher Non-Album-Single aufzuwarten wusste. Langsam merkt aber auch ein Energiebündel wie Weller, dass die Uhr unerbittlich tickt und man sich die juvenile Fitness nicht für immer auf die Fersen heften kann. Dass er das Album „66“ nennt, weil es einen Tag vor seinem 66. Geburtstag erscheint, war nicht vordergründig geplant, sondern ergab sich aus dem länger andauernden Arbeitsprozess. Der gemächliche Nebel der Ruhe zieht vom Entstehungsprozess direkt in die Musik ein.

Zeit für die Innenschau
Wer sich vom agilen Mod noch einmal ein richtiges Soul-Pop-Brett erwartet hat, wird zumindest in diesem Jahr enttäuscht sein. Ein Springinkerl wie Lederkörper Iggy Pop will der stylische Künstler sowieso nicht sein, dass ihm aber gänzlich das Feuer seiner frühen The Jam-Tage fehlt, kommt auf diesen zwölf Songs doch etwas überraschend. Vielmehr erinnert „66“ an das bedächtige „True Meanings“, das 2018 sein erstes Akustikalbum markierte. Weller mäandert 2024 in Saxofon-bestückten Jazzsphären eines Van Morrison, integriert psychedelische 70er-Jahre-Elemente von Pink Floyd ein und lässt dazwischen auch Raum für intrinsische Ruhemomente á la Nick Drake. Die Innenschau war ein – bewusster oder auch unbewusster - Markstein für „66“, den Weller agiert zumeist in sich gekehrt und entschlackt, lässt den Rock’n’Roll erstens sehr selten von der Leine und zweitens nur so, dass er noch nicht einmal im Ansatz gefährlich erscheint.

Selbst das Texten hat Weller dieses Mal zu einem großen Teil alten Freunden und Wegbegleitern überlassen. Der Opener „Ship Of Fools“ ist in seiner Machart überraschend ruhig, obwohl mit Madness‘ Suggs ein eher wilder Charakter sein selbstgeschriebenes Gedicht überlassen hat. Die Lyrics von Ex-Oasis-Hälfte Noel Gallagher auf „Jumble Queen“ hingegen erinnern in ihrer Reim- und Machart deutlicher an sein unvergessenes Hauptprojekt, während sich Gitarrist Richard Hawley samt Slide-Gitarre in „I Woke Up“ noch einmal vergegenwärtigt, dass nach der Covid-Pandemie nichts mehr so ist, wie es früher einmal war. Dazu gibt es allerlei Ausflüge in Wellers Vergangenheit. „Nothing“ zitiert den 60s-lastigen Soul der Style-Council-Phase, das vor knapp zwei Dekaden geschriebene „Sleepy Hollow“ zeigt sich mit Flöte und Xylophon atmosphärisch und das bereits vorab als Single ausgekoppelte „Soul Wandering“ ist wesentlich weniger schräg, als es Texter Bobby Gillespie (Primal Scream) vermuten lassen würde.

Ohne Druck nachdenklich
Immer schielen auch die späteren, weil experimentellen Beatles durch diverse Songteile, während Weller die Geschwindigkeit nur in äußersten Ausnahmefällen nach oben schraubt. „Flying Fish“ ist so ein rarer Moment, der mit Discofunk und Soul ein bisschen an den ungestümen Weller aus den 90er-Jahren erinnert. Dazwischen gibt es vor allem knisternde Streicher zu vernehmen, für die Hannah Peel verantwortlich zeichnet. Die Vollblutmusikerin arbeitete mit Weller ursprünglich für ein spezielles Konzert 2018 in der Londoner Royal Festival Hall, ist aber mittlerweile längst Fixmitglied seiner Liveband, mit der strikten Erlaubnis, ihre kreativen Ideen einzubringen. „66“ ist kein samtweicher Abgesang, aber ein melancholischer Schritt in den Spätherbst eines Musikers, der aufgrund seiner Vielseitigkeit und Erfolge schon langen niemandem mehr etwas beweisen muss. So ganz ohne Druck lässt es leichter nachdenklich sein. Sollte es noch ein Weller-Album geben, bitte gerne so weiter, aber ein bisschen mehr Schwung darf es dann trotz allem sein.

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