Offiziell verkündet

Friedensnobelpreis 2012 geht an die Europäische Union

Ausland
12.10.2012 16:45
Der Friedensnobelpreis 2012 geht überraschend an die Europäische Union. Die EU habe den Kontinent vor allem nach den beiden Weltkriegen stabilisiert und zu einem "Platz des Friedens" gemacht, hieß es am Freitag in der Begründung des Nobelkomitees in Oslo. In der aktuellen Euro-Krise dürfte die prestigeträchtige Auszeichnung ein wichtiges Zeichen für die Staatengemeinschaft sein. "Wir sind Friedensnobelpreis!", jubelte etwa die Europadelegation der SPÖ am Freitag.

Nobelkomitee-Chef Thorbjörn Jagland begründete die Entscheidung damit, dass die EU über sechs Jahrzehnte entscheidend zur friedlichen Entwicklung in Europa beigetragen habe. In der schriftlichen Begründung (in voller Länge siehe Infobox) heißt es u.a.: "Über 70 Jahre hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können."

Voting in der Infobox: Hat die EU den Friedensnobelpreis verdient?

"Die Arbeit der EU repräsentiert 'Bruderschaft zwischen den Nationen' und entspricht einer Form von 'Friedenskongress', wie Alfred Nobel dies als Kriterium für den Friedenspreis 1895 in seinem Testament umschrieben hat", rechtfertigt das Komitee die Entscheidung. Als "erfolgreiches Friedensprojekt" war die EU in den letzten Jahren immer wieder für die Auszeichnung nominiert worden. Jagland sowie der Direktor des Nobelinstitutes, Geir Lundestad, gelten seit mehreren Jahren als Verfechter der Vergabe der Auszeichnung an die EU, waren aber bisher an den EU-Kritikern im Komitee gescheitert. Der Friedensnobelpreis ist mit acht Millionen Kronen (nach aktuellem Kurs rund 920.000 Euro) dotiert.

Balsam auf Wunden der krisengeschüttelten EU
Für die von Krisenmeldungen gebeutelte EU dürfte die Anerkennung jedenfalls Balsam auf ihre Wunden sein. Mit dem Friedensnobelpreis 2012 rückt wieder der zentrale Gründungsgedanke der Gemeinschaft ins öffentliche Bewusstsein. Die europäische Integration war von Anfang an als Friedensprojekt konzipiert. "Nie wieder Krieg", lautete das Motto der Gründungsväter nach dem Schrecken der beiden für Europa verheerenden Weltkriege.

In ihrer Außen- und Sicherheitspolitik ist die EU laut aktuellem Lissabon-Vertrag "durch die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und insbesondere durch die Hauptverantwortung des Sicherheitsrats und seiner Mitglieder für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gebunden".

Argument "Friedensprojekt" für Jüngere nicht mehr evident
Trotz des zentralen Friedensgedankens der EU war das Argument "Europa als Friedensprojekt" bei vielen Unionsbürgern mit der Zeit in den Hintergrund getreten - vor allem für jene jüngeren Generationen, denen Kriegserfahrungen großteils fremd sind. Vereinzelt haben die aktuellen Verwerfungen in der Euro-Schuldenkrise das Gespenst des Krieges in Europa aber wieder aufleben lassen.

Zuletzt hatte etwa der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy für den Fall eines Untergangs der Europäischen Union die Gefahr eines Krieges an die Wand gemalt. "Wenn es keine Europäische Union gibt, wird es Krieg geben", sagte Sarkozy am Donnerstag in einem Vortrag vor Unternehmern in New York.

Barroso: "Große Ehre für alle 500 Millionen Bürger"
Europas Spitzenpolitiker reagierten am Freitag erfreut auf die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees. "Als ich heute früh aufgewacht bin, habe ich das nicht erwartet", sagte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso am Freitag in Brüssel. Er habe mit "großer Emotion" von der Auszeichnung erfahren. "Es ist eine große Ehre für alle 500 Millionen Bürger, für alle Mitgliedstaaten und für die EU-Institutionen", sagte Barroso.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, hat sich "zutiefst berührt" gezeigt. Auf Twitter schrieb Schulz: "Versöhnung ist das, worum es geht. Es kann als Inspiration dienen." Schulz hob hervor: "Dieser Preis ist für alle EU-Bürger." Schwedens Außenminister Carl Bildt erklärte auf Twitter: "Es muss erwähnt werden, dass das Nobelkomitee sagt, dass die EU-Erweiterungspolitik mit dem Balkan und der Türkei ein Schlüsselteil ihres Friedensbeitrages ist."

SPÖ-Delegation: "Wir sind Friedensnobelpreis!"
Jubel und Freude auch bei Österreichs Europaabgeordneten: "Wir sind Friedensnobelpreis!", erklärte die SPÖ-Delegation im Europaparlament. Die Europäische Union sei "das Friedensprojekt Nummer 1 in der Welt". "Die Verleihung des Friedensnobelpreises verstehe ich zugleich als Auszeichnung und Warnung", sagte Delegationsleiter Jörg Leichtfried. "Als Auszeichnung einer politischen Arbeit, die nach zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert für Stabilität und Frieden gesorgt hat und sorgt. Als Warnung gilt der Preis jenen Spaltern, Nationalisten und Populisten, die Menschen, Regionen und Länder gegeneinander aufhetzen."

"Der Friedensnobelpreis für die Europäische Union ist eine Mut-Injektion und ein Auftrag für die Zukunft. Dies ist die beste Antwort auf die Zweifler und Kleingeister", sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments und ÖVP-Delegationschef Othmar Karas. "Die EU ist ein Friedens- und Einigungsprojekt ohne historische Parallelen. Die aktuellen Probleme in der EU sind entstanden, weil einige Länder wieder verstärkt auf Alleingänge, anstatt auf ein friedliches Bündeln der Kräfte setzen." Er hoffe, dass die Auszeichnung "alle wachrüttelt, die in Europa eine politische Verantwortung haben".

Mölzer "verwundert", Klaus glaubte an Scherz
"Verwundert" über die Auszeichnung zeigt sich hingegen der rechtskonservative EU-Mandatar Andreas Mölzer (FPÖ). Die EU sei aus Sicht Mölzers in der derzeitigen Euro-Krise kein "Faktor der Stabilität", im Gegenteil: "Die EU legt mit ihrem Vereinheitlichungs- und Zentralisierungswahn den Keim für kommende Konflikte, was die Eurokrise eindrucksvoll bestätigt." Die Währungsunion habe nicht zu einem Zusammenwachsen der Völker, sondern zu "neuem Hass und zu Spaltungstendenzen" geführt.

Der tschechische Präsident und EU-Skeptiker Vaclav Klaus hat die Vergabe des Friedensnobelpreises an die EU in einer ersten Reaktion gar als "Scherz" abgetan. Der neoliberale Staatschef könne die Nachricht nicht glauben, sagte sein Sprecher am Freitag der Zeitung "Pravo". Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg begrüßte dagegen die Osloer Entscheidung. Er bezeichnete die Europäische Union als größtes Friedenswerk der Nachkriegszeit.

Unzufrieden zeigte sich auch die russische Menschenrechtsaktivistin Ljudmila Alexejewa, die dieses Jahr als mögliche Preisträgerin gehandelt worden war. Die EU sei "eine riesige, ziemlich bürokratische Organisation, und es ist klar, welche Rolle der Preis in Zukunft in ihrer Politik spielen wird: meines Erachtens keine". Die Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial, Swetlana Gannuschkina, warf dem Nobelpreis-Komitee "Impotenz" vor. Auch diese Organisation war als mögliche Preisträgerin gehandelt worden.

Umstrittene Auszeichung für US-Präsident Obama
2009 war der Friedensnobelpreis an US-Präsident Barack Obama gegangen. Er habe ein "neues internationales Klima" geschaffen, hieß es in der umstrittenenen Begründung des Komitees. Ungeachtet der Auszeichnung ließ Obama in Pakistan und im Jemen Drohnenangriffe gegen Terroristen fliegen und in einer Kommandoaktion Al-Kaida-Chef Osama bin Laden töten. Während der Titel Friedensnobelpreisträger bei anderen zum Beinamen wurde, wird Obama mit der Auszeichnung in der Öffentlichkeit und in Medien kaum in Verbindung gebracht.

Im letzten Jahr wurden drei Frauen vom Nobelkomitee ausgezeichnet: Die Journalistin Tawakkul Karman aus dem Jemen teilte sich den Friedensnobelpreis mit der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und Leymah Gbowee, ebenfalls aus Liberia.

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