Verteidiger spricht

Leon (6) qualvoll ertrunken: „Ermittlungspannen“

Tirol
29.02.2024 10:21

Es ist einer der aufsehenerregendsten Kriminalfälle über die Grenzen Tirols hinaus. Der kleine Leon (6) ertrank im August 2022 in der Kitzbüheler Ache, sein Vater (39) rückte ins Visier der Ermittlungen und sitzt seit Februar 2023 in U-Haft. Nun, fast auf den Tag genau ein Jahr nach seiner Festnahme, brachte seine Verteidigung einen Antrag auf Haftentlassung ein - und begründet dies mit einer Reihe von Punkten. Auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck meldet sich zu Wort.

Von seiner Familie wurde Leon liebevoll „Sonnenschein“ genannt - und zwar wegen seines unverwechselbaren Lächelns. Er litt am sogenannten Syngap-Syndrom, einem unheilbaren Gendefekt, und wurde unter anderem mehrfach in der Nacht wach, nächtliche Spaziergänge waren somit keine Seltenheit. 

Ab 28. August 2022 änderte sich alles
Bei einem dieser Spaziergänge passierte das Unglück. Es war Sonntag, der 28. August 2022, als gegen 4 Uhr in der Früh der damals sechsjährige Bub in der Kitzbüheler Ache bei St. Johann in Tirol ertrank. Ein Unbekannter soll dem Papa, der mit seinem Sohn den Spaziergang machte, zuvor eine Flasche über den Kopf gezogen haben, er soll bewusstlos zusammengesackt sein. Um 5.20 Uhr soll ein Passant den noch immer bewusstlosen Mann gefunden und Alarm geschlagen haben. Leon soll währenddessen selbstständig aus dem Kinderwagen gekrabbelt und in die Fluten gestürzt sein.

Verhaftung von Leons Papa
Am 27. Februar, dann die Wende! Die Polizei nahm den Vater von Leon fest - und zwar wegen des dringenden Tatverdachts des Verbrechens des Mordes und des Vergehens der Vortäuschung einer Straftat. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft Innsbruck lautete: „Er wird beschuldigt, seinen Sohn umgebracht und in die Ache geworfen zu haben, um ihn von seinem Leid zu erlösen.“ Wenige Tage später wurde über ihn die U-Haft verhängt. Seither sitzt der 39-Jährige in der Justizanstalt Innsbruck. Er bestreitet alle Vorwürfe vehement, für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Antrag auf Haftentlassung am 26. Februar 2024
Nun, ein Jahr später, ein erneuter Paukenschlag! Sein Verteidiger Albert Heiss reichte einen Antrag auf Haftentlassung ein und legte - gemeinsam mit Mathias Kapferer, Rechtsbeistand der Mutter von Leon - bei einer Pressekonferenz im AC Hotel mitten in Innsbruck am Donnerstagvormittag seine Begründung dar. Die beiden sprachen von „einer ganzen Reihe von Argumenten, Fakten und fragwürdigen Rückschlüssen der Ermittlungsbehörden“ - ja sogar von „Ermittlungspannen“. 

Mangelhafte Spurensicherung und Auswertung
„Die Auswertung der Spuren am Tatort ist grob mangelhaft geblieben und zum Teil gegen den Stand der Technik erfolgt. Beweismittel sind damit nicht mehr verwertbar“, betont Heiss. Und weiter: „So wurde nicht einmal die Hälfte der Scherben, die möglicherweise von der Flasche stammen, gesichert. Scherben wurden teilweise auch noch Tage nach dem Vorfall von Privatpersonen gefunden und bei der Polizei abgegeben. Videoaufnahmen belegen zudem, dass mehrere Tage nach dem Vorfall Scherben am Tatort von einem Mitarbeiter der Straßenreinigung entsorgt wurden. Die Flasche wird von der Polizei als Tatwerkzeug angesehen, mit der sich der Beschuldigte selbst verletzt hätte.“

Verstoß gegen die Grundsätze der Objektivität
Ermittlungsbeamte haben laut den beiden Anwälten „nachweislich und protokolliert“ vorgreifend eine Beweiswürdigung vorgenommen - was laut Strafprozessordnung unzulässig sei. Beweismittel wie Videoaufnahmen seien „trotz entsprechender Möglichkeiten“ nicht sichergestellt worden. 

Auswertung der Handydaten
„Bei der Auswertung der Handydaten des Beschuldigten haben die Beamten des Landeskriminalamtes eine Software verwendet, die erhebliche Fehler aufweist. So ist der Vorwurf der Polizei, dass die Schrittaufzeichnungen am Handy einen Beweis darstellen, nicht haltbar - was auch externe Sachverständigengutachten belegen“, sagt Heiss. Ebenso wenig haltbar sei die Behauptung, dass der Beschuldigte nach dem Begriff „Ohnmacht“ zur Vorbereitung eines vorgetäuschten Raubüberfalles gegoogelt hätte. 

Tatwerkzeug Glasflasche?
Aufgrund dieser „fehlerhaften Beweissicherung“ sei eine Beurteilung, was das tatsächliche Tatwerkzeug war, nicht möglich, insbesondere nicht zur Glasflasche. „Im Gegensatz zu den Ausführungen der Polizei ist aus medizinischer Sicht eine Fremdverletzung wahrscheinlicher als eine Eigenverletzung. Die DNA-Auswertungen von Glasscherben haben keine Hinweise auf eine Berührung dieser Scherben mit dem Beschuldigten gebracht. Gutachten bestätigen, dass auch eine andere Tatwaffe - etwa ein Schlagstock - möglich ist. Zudem wurden auf den Glasscherben DNA-Spuren einer unbekannten männlichen Person gefunden“, betonen die Anwälte. 

Wo ist das Motiv?
„Die Annahme der Polizei, der Beschuldigte bzw. seine Familie seien in einer verzweifelten Situation gewesen, ist durch zahlreiche Zeugen, Videoaufnahmen, schriftliche Bestätigungen und nicht zuletzt durch ein Gutachten aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaften klar widerlegbar“, sagt Heiss. Folgende Fakten würden dagegen sprechen: „Die Gesundheitssituation von Leon hatte sich deutlich gebessert. Videos zeigen, dass der Bub trotz Beeinträchtigung ein fröhliches und mobiles Kind war.

Es gab bereits Abklärungen zu Kindergarten- und späterem Schulbesuch. Der Beschuldigte hat sich noch am Tag vor dem Überfall um die Verbesserung der Situation in der Küche der Wohnung der Familie gekümmert. Zahlreiche Videoaufnahmen aus einem längeren Zeitraum belegen, dass zwischen Vater und Sohn ein ausgezeichnetes und betont liebevolles Verhältnis bestand“, schlüsseln die Verteidiger auf. 

Zusammenfassend könne laut Heiss und Kapferer Folgendes gesagt werden: „Aus Sicht der Verteidigung ist der dringende Tatverdacht nicht haltbar. Es gibt erhebliche Beweise für die Richtigkeit der Angaben des Beschuldigten. Die Motivlage wurde von den Behörden völlig falsch eingeschätzt.“ 

Bereits am morgigen Freitag wird ein Haftrichter des Landesgerichtes Innsbruck über die Fortdauer der Untersuchungshaft für den 39-Jährigen entscheiden. 

„Unsere Aufgabe ist es, alles objektiv und sachlich zu beurteilen“
Unmittelbar vor Beginn der Pressekonferenz reagierte die Staatsanwaltschaft Innsbruck mit einer Medienaussendung. Sprecher Hansjörg Mayr stellt klar: „Aufgabe der Verteidigung ist es, alles zu tun, was dem Standpunkt des Beschuldigten helfen könnte. Aufgabe der Staatsanwaltschaft hingegen ist es, alles objektiv und sachlich zu beurteilen und dabei die Rechte aller Verfahrensbeteiligten und auch die Unschuldsvermutung zu wahren.“ Die Staatsanwaltschaft lasse sich dabei nicht von „sachfremden, persönlichen Motiven“ leiten, sondern sei ausschließlich dem Gesetz verpflichtet und orientiere sich an den vorliegenden Fakten. Das werde regelmäßig vom Gericht geprüft - im konkreten Fall auch vom Obersten Gerichtshof, der die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft bestätigt habe.

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Wenn die Verteidigung nunmehr öffentlich Ermittlungsergebnisse in ihrem Sinn interpretiert, dann geht es offenbar darum, bereits jetzt die späteren Richter - voraussichtlich Geschworene - zu beeinflussen.

Hansjörg Mayr, Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck (Bild: Christof Birbaumer)

Hansjörg Mayr, Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck

„Während des laufenden Ermittlungsverfahrens wird sich die Staatsanwaltschaft nicht öffentlich zu Beweisergebnissen oder zu Anträgen und Vorbringen der Verteidigung äußern. Das bleibt der Gerichtsverhandlung vorbehalten. Ziel der Staatsanwaltschaft ist es nämlich, eine möglichst unbefangene und unbeeinflusste Entscheidung des Gerichts zu gewährleisten. Wenn die Verteidigung nunmehr öffentlich Ermittlungsergebnisse in ihrem Sinn interpretiert, dann verfolgt sie das Gegenteil: Dann geht es offenbar darum, bereits jetzt die späteren Richter - voraussichtlich Geschworene - zu beeinflussen. Über den eingebrachten Enthaftungsantrag wird nicht die Öffentlichkeit, sondern das Gericht zu entscheiden haben. Dort ist der Antrag zu stellen und zu begründen“, schildert Mayr. 

„Mussten umfangreiche Beweisanträge der Verteidigung prüfen.“
Die Staatsanwaltschaft werde sich unabhängig davon bemühen, das Ermittlungsverfahren „rasch zu beenden“, sodass im Falle einer Anklage auch möglichst bald über Schuld oder Unschuld entschieden werden könne. „Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Zuletzt war die Staatsanwaltschaft unter anderem damit beschäftigt, weitere umfangreiche Beweisanträge der Verteidigung zu prüfen und ihnen dann stattzugeben, wenn der Einfluss auf das weitere Verfahren und die Schuldfrage haben könnte, auch wenn das eine weitere Verzögerung der Ermittlung bedeutet“, betont der Sprecher. 

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