Palliativ-Ärztin

„Manchmal drehe ich die Musik auf und schreie“

Kultur
01.11.2023 09:13

Die Kunst des Sterbens: Die kontemplative Ruhe in der Gemäldegalerie der Akademie der Bildendenden Künste ist ein würdiger Treffpunkt, um mit der 1982 geborenen Christina Seebacher kurz vor Allerseelen übers Sterben zu reden. Zwischen Paradies und Hölle, vor dem über allem thronenden Weltenrichter im berühmten Triptychon von Hieronymus Bosch, neben einer Sintflut-Szene, gemalt von Eduard Engerth, berichtet die Ärztin, wie sie als Palliativmedizinerin seit einem Jahr Menschen auf dem letzten Weg begleitet - und aus, was wir Lebenden davon lernen können.

„Krone“: Sie waren lange „reguläre“ Ärztin. Seit einem Jahr sind sie als mobile Palliativmedizinerin unterwegs und besuchen sterbende Menschen zu Hause. Was sind die größten Veränderungen, wenn man Menschen medizinisch betreut, die nicht mehr geheilt werden können? 
Christina Seebacher: Ein großer Unterschied ist, dass ich in dem Beruf ganz viel Zeit für die Patientinnen und Patienten haben kann, wofür man sehr viel Dankbarkeit bekommt. Der andere große Unterschied ist, dass es ums Wesentliche, das Sterben, das Ende des Lebens geht. Es gibt keine Oberflächlichkeiten, es geht in die Tiefe. Es sind so viel Dinge auf einmal unwichtig.

Für mich ist das Schöne, ich darf mit den Patienten mitgehen, ich darf sie begleiten. Ich muss nicht mehr die Ärztin sein, die den Menschen sagt, was sie zu tun haben - sondern es ist eigentlich umgekehrt.

Christina Seebacher vor Fügers „Tod des Germanicus“ in Gemäldegalerie der Akademie (Bild: Zwefo)
Christina Seebacher vor Fügers „Tod des Germanicus“ in Gemäldegalerie der Akademie

Wie kann man die letzten Monate, Wochen von Sterbenden so erträglich wie möglich machen? Was sind die Hauptaufgaben?
Der eine große Teil ist sicher die Symptomkontrolle, also Schmerzen, Atemnot, Ängste so gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Ganz wichtig ist auch, den Menschen Verständnis entgegenzubringen, ihnen Sicherheit zu geben, dass sie auch über die Ängste und Nöte reden können, über das Sterben. Denn das können sie oft mit den Angehörigen nicht. Mitunter ist es leichter, mit Außenstehenden darüber zu sprechen.

Wie gehen die Patienten mit ihrer Diagnose um?
Ganz individuell. Es gibt Menschen, die schon beim ersten Besuch genau wissen, ich möchte nicht zu Hause sterben, ich will auf eine Palliativstation. Oder welche, die in jedem Fall zu Hause bleiben, nie wieder in ein Krankenhaus wollen, egal was passiert. Es gibt manche, die bis zum Schluss nicht wahrhaben wollen, dass sie eine todbringende Erkrankung haben und kurz vor dem Sterben sind.

Christina Seebacher

  • Geboren 1982 in Klagenfurt
  • Medizinstudium in Graz
  • Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin in Kärnten (Friesach und Klagenfurt)
  • Ausbildung zur Internistin in Wien und Niederösterreich
  • Notärztin und Zusatzausbildung Gastroenterologie und Hepatologie im Krankenhaus Krems.
  • Seit einem Jahr im mobilen Palliativteam tätig

Für Angehörige, Freunde ist es der Umgang mit Sterbenden sicher nicht immer leicht. Worüber spricht man mit Todkranken? Wie kann man sich verhalten?
Ich betreue gerade eine 55-jährige Patientin mit einem Hirntumor. Eine langjährige Freundin von ihr hat mich beim ersten Besuch um Rat gefragt, weil sie das Gefühl hatte, die Patientin will nicht wahrhaben, dass sie sterben wird. Die Freundin wollte ihr sagen: Du, die Pläne, die du hast, die werden sich nicht mehr ausgehen. Ich habe ihr gesagt, dass es nicht um ihren Wunsch geht, dass die Patientin erkennt, dass sie stirbt. Das ist vielleicht ihr Schutzmechanismus, dass sie die letzten Wochen, Monate so gut wie möglich erlebt. Aber die Freundin soll thematisieren, dass es ihr manchmal schwerfällt, über gewisse Dinge zu sprechen. Ich glaube am wichtigsten ist es, authentisch zu bleiben, egal ob als Angehörige oder als Sterbebegleitung.

Christina Seebacher und Stefan Musil vor dem „Weltgerichts-Triptychon“ von H. Bosch (Bild: Zwefo)
Christina Seebacher und Stefan Musil vor dem „Weltgerichts-Triptychon“ von H. Bosch

Sich aus Eigenschutz an Dinge zu klammern, etwa noch einmal etwas Besonders erleben zu wollen, sich einen lang gehegten Wunsch sich zu erfüllen, vielleicht einen Theaterbesuch, ist doch verständlich?
Natürlich. Das sind auch Dinge, die wir mitunter noch ermöglichen können. Vielleicht geht es darum, die Enkelkinder noch einmal zu sehen oder wirklich um einen Besuch im Theater, ein Konzert. Es gibt Möglichkeiten, etwa mit ehrenamtlich Helfenden das zu ermöglichen.

Sie arbeiten also viel mit Ehrenamtlichen zusammen?
Es gibt viele Freiwillige, die in dem ihnen möglichen Ausmaß, vielleicht einmal pro Woche, ein paar Stunden mit den Patienten verbringen. Einfach auch, um die Angehörigen zu entlasten. Oder mit Patienten, die ganz allein sind, Karten zu spielen, zu plaudern. Die Patienten und wir sind sehr dankbar, dass es diese Menschen gibt.

Im Unterschied zur Ärztin, die sich freut, wenn ein Patient gesund ist, sieht es bei der Palliativmedizin mit Erfolgserlebnissen anders aus. Wie gehen Sie mit der ganzen Situation um, was ziehen Sie selbst für sich daraus?
Als ich begonnen habe, musste ich mein Erfolgsziel natürlich anders definieren. Ein Erfolg ist es vielleicht, wenn man jemanden so begleitet hat, dass man es geschafft hat, die Symptome zu kontrollieren, der Patient irgendwie einen Frieden mit sich gefunden hat. Das gelingt bei vielen auch nicht.
Was ich für mich daraus ziehe und lerne, ist, das eigene Leben so zu leben, wie man es sich vorstellt - manche Dinge nicht auf ewig hinauszuzögern, hinauszuschieben, sondern zu versuchen, im Moment zu leben, weniger Kompromisse zu machen. Es relativiert viel, etwa Materielles sehr schnell. Ich muss hier immer an den Film „Der Club der toten Dichter“ denken, wo der Ausspruch „Carpe diem“ vorkommt. Den Tag so zu nutzen, wie es für das eigene Leben und auch das der Mitmenschen gut ist.

Sie bauen mit den Patienten natürlich oft Beziehungen auf. Wie geht man damit um, dass man ständig Verluste erlebt?
Wir haben immer geplante Supervisionen, das ist auch so vorgeschrieben, wenn man im Palliativbereich arbeitet. Es gibt die Möglichkeiten zu Einzelsupervisionen oder im Team, wenn man besonders belastende Situationen erlebt hat. Natürlich ist es immer auch ein Abschied von Menschen. Man bekommt durchaus ein Gespür, wie lange es noch dauert. Wenn ich fühle, diesen Menschen sehe ich zum letzten Mal, versuche ich mich, nicht verbal, aber in irgendeiner Form zu verabschieden. Schwierig sind für mich dagegen die Fälle, wo ich das nicht kann, wenn der Patient etwa akut ins Krankenhaus kommt und verstirbt.

Wie sehr schützt man sich selbst, wie viel Distanz braucht es?
Abgrenzung ist etwas ganz Wichtiges, das ich lernen musste. Das bedeutet für mich, wenn die Arbeitszeit vorbei ist, schalte ich das Diensthandy aus. Sonst nehme ich alle mit nach Hause - und dann könnte ich den Job nicht mehr machen. Es braucht viel Ausgleich in diesem Beruf. Ich sitze manchmal am Heimweg von einem Besuch im Auto, dreh die Musik auf und schrei einfach mit. Oder man fängt wie verrückt an zu tanzen, um es rauszulassen.

Am Ende stellt sich sicher auch die Frage, kommt man mit sich ins Reine? Wie erleben Sie das?
Ich hatte zu Beginn diese romantische Vorstellung, dass das Sterben schön ist, wenn sich alle aussöhnen, obwohl sie seit 30 Jahren nicht mehr miteinander geredet haben, und am Ende alle um das Sterbebett versammelt sind. Aber das passiert sehr selten. Oft jedoch sterben Menschen, wie sie es bestimmt nicht wollten. Ich hatte einen 43-Jährigen, allein zu Hause in seinen Exkrementen liegend, der im letzten Moment noch angerufen hat. Wir konnten dann nur die Rettung rufen und er ist im Krankenhaus verstorben.
Es gibt auch viele ganz schöne Geschichten. Meine erste Begleitung war mit einem lieben Ehepaar, die sehr lange zusammengelebt haben. Er ist dann gestorben und das Letzte, was er seiner Frau sagen konnte, war: Ich liebe dich. So etwas gibt es auch.

Wie kann man die Angehörigen unterstützen, die ebenfalls enorm viel aushalten müssen?
Viel mit ihnen reden, viel Aufklärung geben, welche Symptome es gibt, wie das Sterben abläuft. Viele, die Sterbende oft jahrelang begleiten, sind längst mehr Krankenschwester und Pfleger als Ehemann, Ehefrau oder Lebenspartner. Wenn es gelingt, diesen Druck von ihnen zu nehmen, damit sie wieder zum Wesentliche zurückkommen können, was sie als Menschen ausmacht - und dass es Partnerschaft trotzdem geben darf.

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