„USA gegen China“

Auslaufmodell UNO? Wie sich die Welt neu ordnet

Ausland
11.09.2023 18:18

BRICS, G20, G7 und Quad sind keine Rabattcodes, sondern Staatenkooperationen, die die UNO zunehmend entwerten. Der Schrei nach Reformen wird immer lauter. Denn wer nicht gehört wird, teilt die Welt nach seinen Regeln ein - und zwar schneller als erwartet.

Am Wochenende verkündete Indiens Ministerpräsident Narendra Modi, dass die G20-Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer die Afrikanische Union (AU) aufnimmt. Damit sind mehr als 100 Staaten bei den G20 vertreten - eine kleine Version der Vereinten Nationen.

Zuvor hatte schon der BRICS-Block um China und Russland eine Erweiterung von fünf auf elf Mitglieder beschlossen, Tendenz stark wachsend.

Und im Westen wächst der Druck, nicht nur das Verteidigungsbündnis NATO zu erweitern, sondern auch den G7-Klub der wichtigsten westlichen Industriestaaten. Hinter allem steckt eine Erkenntnis: Die UNO alleine ist nicht in der Lage, die Welt zu organisieren. Nötige Verabredungen werden zunehmend in anderen Gruppierungen getroffen.

Die verkrustete UNO
Eigentlich hat sich Deutschland stets als Befürworter der UNO gefühlt und gehört zu deren größten Finanziers. Doch die Enttäuschung ist mittlerweile auch in Berlin spürbar: „Die Funktionsfähigkeit ist nicht gegeben“, sagt Regierungssprecher Steffen Hebestreit bemerkenswert offen und verwies auf die Blockade im UNO-Sicherheitsrat vor allem durch die Vetomächte Russland und China. Die erweiterte, informellere G20 nannte er deshalb eine nun notwendige „ergänzende Form der Zusammenarbeit“.

„Natürlich ist es eine Entwertung der UNO - eine selbstverschuldete“, sagt Stefan Mair, Direktor des Thinktanks Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Die UNO hat bisher darin versagt, ihre Struktur zu reformieren.“ Mit den USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sind immer noch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs die einzigen ständigen Mitglieder und Vetomächte im höchsten UNO-Gremium - obwohl sich die Welt rasant verändert hat.

Vergeblich pocht etwa das Milliardenvolk Indien zusammen mit Brasilien, Japan und Deutschland auf eine ständige Präsenz im Sicherheitsrat.

Der globale Süden wird ungeduldig
„Es ist sicherlich interessant, die jüngste Erweiterung der Mitgliedschaft in informellen Organisationen zu beobachten“, sagt auch Amrita Narlikar, Präsidentin des Giga-Thinktanks, zur Nachrichtenagentur Reuters. „Der Grund liegt darin, dass die Länder des globalen Südens selbstbewusster werden und auf ihre Rolle in der Weltordnungspolitik drängen.“

Der Westen müsse sich dessen bewusst werden und die Dringlichkeit einer Reform der Nachkriegsinstitutionen erkennen. Denn kann der Süden seinen wachsenden Einfluss nicht in den alten Organisationen ausüben, werden eben neue gegründet. So erklärt man sich auch in der deutschen Regierung, dass durchaus westlich orientierte Staaten wie Argentinien oder die Vereinigten Arabischen Emirate nun im BRICS-Block mitmachen wollen.

Wegen der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China werden Sorgen vor einer neuen Blockbildung laut - einer um die USA, der andere um China gruppiert. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat stets davor gewarnt, die künftige Welt nur in einem Konflikt „USA gegen China“ zu denken, weil dies alle anderen Nationen gar nicht wollten. Sogar die Erweiterung der BRICS-Gruppe der Schwellenländer begrüßte die deutsche Regierung deshalb, weil jede Form des Multilateralismus gut sei - sofern sie auf der Basis internationalen Rechts basiere.

SWP-Direktor Mair spricht von einer Welle von „Minilateralisierungen“ in kleineren Formaten wie zwischen Deutschland, den USA, Frankreich und Großbritannien (Quad-Format) oder der „Plurilateralisierung“ einer größeren Gruppe von Ländern wie bei G20. Die Erweiterung des G7-Werteklubs um Australien und Südkorea wäre seiner Meinung nach vor allem deshalb sinnvoll, weil damit deren Transatlantik-Fokus relativiert würde.

BRICS-Gruppe: Mehr Schein als Sein?
Der deutsche SPD-Außenpolitiker Nils Schmid plädiert dagegen nur für die Aufnahme Südkoreas. Der BRICS-Gruppe misst er in der künftigen Weltordnung keine wirklich gestaltende Kraft bei. Die Gruppe sei mit autoritären Ländern wie China, Russland bis hin zu Demokratien wie Indien, Brasilien und Argentinien viel zu heterogen. Peking hoffe vorrangig auf ein Instrument, mit dem man besser Solidarität gegen die US-Politik organisieren könne.

Giga-Chefin Narlikar warnt westliche Regierungen vor Illusionen - und empfiehlt ganz neue Wege: „Wenn die G7 ihr Format offiziell etwa für Brasilien, Indien und Südafrika öffnen würden, wäre dies ein klares Signal, dass die alten Großmächte nicht nur Wert auf große Schwellenländer legen, sondern auch auf die demokratische Legitimation dieser großen Märkte.“

Bisher werden diese Demokratien nur als „Gäste“ zu den G7-Treffen der reichen Staaten eingeladen. Die Aufnahme in den G7-Klub könnte Lieferketten aber weg von autoritären Staaten neu ausrichten, meint Narlikar.

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