Kolumne

Das Ende von Richtig und Falsch

Vorarlberg
09.09.2023 17:45

„Krone“-Kolumnist Robert Schneider hat sich Gedanken darüber gemacht, warum die gesellschaftlichen Gräber immer tiefer geworden sind und wieso die Debattenkultur so verroht ist. 

„Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, (...) weil er einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.“ Dieser geradezu visionäre Gedanke Jean-Paul Sartres aus seinem 1946 publizierten Essay „L’existentialisme est un humanisme“ scheint sich im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erst richtig zu manifestieren. Wir können immer weniger zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch unterscheiden, sind ergo auf uns selbst geworfen und haben dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Seit den Zeiten des Web 2.0, also dem interaktiven Internet - heute durch den Begriff Social Media ersetzt - sind Integrität und Wirkmächtigkeit von Leitmedien erheblich ins Wanken geraten. Eine tiefgreifende Zäsur bildete vermutlich die Sitzung des UN-Sicherheitsrates vom 5. Februar 2003, als der damalige US-Außenminister Collin Powell angebliche Beweise für biologische Waffen (Anthrax) des Irak vorlegte, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten. Powells Argumentation wurde von nahezu allen Leitmedien übernommen.

Durch die sich zuspitzenden Meinungs-Narrative der Corona-Pandemie und ihrer unterbliebenen Aufarbeitung, wurden diese Gräben nahtlos auf dem Rücken des Ukrainekrieges noch tiefer aufgerissen. Es geht nämlich nicht um den Ukrainekrieg, nicht um ein für oder wider Putin - der Krieg tobt in unseren Köpfen und Herzen. Wem darf man glauben und vertrauen? Wer hat unrecht?

Nahezu jeder Einzelne von uns ist sein eigener Nachrichtenverbreiter geworden, wie die mit aller Vehemenz geführte Verschwörungstheoretiker-Debatte zeigt. Die richtig und die falsch Informierten stehen sich gegenüber, von welchen jeder die „beweisbare Faktizität“ beschwört und den andern als Lügner denunziert. Wer kann - bei aller gewissenhaften Recherche - noch Richtig oder Falsch reklamieren? Alles verschwimmt zu dieser verurteilten Freiheit, die Jean Paul Sartre wohl meinte.

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