Ivo Stojkovic

Am Ende schmerzt die Wahrheit weniger

Vorarlberg
03.09.2023 17:25

Ivo Stojkovic gehört zum „Roten Haus“ wie dieses zum Dornbirner Marktplatz. Dass er im Ländle Wurzeln schlug, war keineswegs vorgezeichnet - am Ende sollte er aber genau hier sein Glück finden. 

Ganz allein sitzt er im Gastgarten des Roten Hauses in Dornbirn und verzehrt schnell sein Mittagessen. Die Rush Hour ist vorüber, die letzten Gäste verlassen den Mittagstisch. Er selbst nennt sich die gute Seele des berühmten Restaurants am Marktplatz, hilft aber immer noch aus, wenn Not am Mann ist, auch jetzt, wo Personal im Gastgewerbe Mangelware ist. Ivo Stojkovic ist eine Kellner-Legende. Der groß gewachsene Mann, der immer eine unnahbare Würde ausstrahlt, war wie geschaffen für diesen Beruf. Ein Kellner nach altem Schlag, wie es solche kaum mehr gibt. Ihm konnte man sein Herz ausschütten. Er war der letzte, der ging und der erste, der wieder kam. Oft war er mehr als Kellner. Er hörte geduldig zu, war diskret und servierte nebenbei mit Eleganz.

Wir steigen die engen Treppen im Roten Haus bis fast unters Dach hinauf. Dort hat Stojkovic sein Büro. Dort laufen die Fäden zusammen. Er zeigt mir seinen neuen Computer, ist ganz stolz darauf. Seit geraumer Zeit hat Ivo nämlich ein heimtückisches Augenleiden. „Ich sehe dich doppelt, ob du es glaubst oder nicht. Die Ärzte wissen nicht, was los ist.“ Ich nehme auf einem abgewohnten, grauen Sofa Platz. Auf dem Couchtisch stehen zig knallrote Ordner. Ivo, der es mit allem sehr genau nimmt, wendet einen Ordner, weil er verkehrt herum auf dem Tisch steht. „Bitte entschuldige die Unordnung!“

Ivo Stojkovic hilft im „Roten Haus“ immer noch aus, wenn Not am Mann ist. (Bild: Mathis Fotografie)
Ivo Stojkovic hilft im „Roten Haus“ immer noch aus, wenn Not am Mann ist.

Robert Schneider: Du bist hier in Vorarlberg aufgewachsen. Wann sind deine Eltern aus Serbien hierher gekommen? 
Ivo Stojkovic: Wir kamen am 10. März 1972 zuerst nach Kufstein in Tirol. Meine Eltern hatten dort in einer Eiswaffelfabrik einen Job bekommen. Keine Ahnung, wie das zugegangen ist, aber früher war es so, dass man zuerst einen zugesicherten Job haben musste, um nach Österreich zu kommen. Dort stieg ich in der zweiten Klasse Volksschule ein, konnte aber nur Kyrillisch schreiben. Ich war jeden Tag unendlich traurig, musste dann aus Mangel an Fortschritten die Klasse wiederholen. Meinem Vater hat es in Kufstein überhaupt nicht gefallen, weshalb wir bald nach Wien umgezogen sind. Das war die allerschlimmste Zeit für die Familie, für meine Mutter und meinen kleinen Bruder. Mein Vater war jeden Tag betrunken, hat uns tyrannisiert und geschlagen, besonders meine Mutter. Das war ganz, ganz schlimm. Mit zehn Jahren habe ich den Mut gefasst, meinen eigenen Vater anzuzeigen. Er wurde abgeholt und schließlich abgeschoben, durfte nie mehr nach Österreich.

Du warst damals noch ein Kind und zeigst deinen Vater an?
Ich musste es tun. Die Mama hätte das bestimmt nicht überlebt und weiß der Kuckuck, was mit uns Buben noch alles passiert wäre. Durch einen Bekannten kamen wir schließlich nach Bregenz, und dort begann die schönste Zeit meines Lebens. Unsere Mama, die Konditorin war, fand eine Wohnung und eine Arbeit im Krankenhaus in Bregenz, wo sie die ganzen Kuchen, Torten und Desserts gemacht hat. Ein Leben lang. Ich ging dann in Bregenz zur Schule und machte eine Lehre im Hotel Messmer. 1982 gewann ich den Bundeslehrlingswettbewerb, war bester Kellner Österreichs.

Haben Du und dein Bruder jemals Ressentiments aufgrund eurer Herkunft erlebt? 
Das gab es nie. Wir hatten nie irgend ein Integrationsproblem. Das kann ich ganz ehrlich sagen. Nie hat jemand zu uns „Du Scheiß Tschusch“ oder sowas gesagt. Im Gegenteil. Wir waren immer sehr beliebt.

Du bist so etwas wie ein Star-Kellner geworden. Ich erinnere mich gut. Wenn Du bedient hast, war wirklich der Bär los... 
Das hatte aber auch seine Schattenseiten. Klar, es war eine herrliche Zeit, besonders die Neunziger-Jahre. Da war einfach noch mehr Geselligkeit. Man war immer gut Freund mit allen. Jeder wollte noch einen Letzten mit dir trinken, noch mit dir weggehen. Bis ich merkte, dass ich schön langsam ein Alkoholproblem bekam. Schon am Morgen zitterten mir die Hände, war ich grundlos nervös. Das kann es nicht sein, dachte ich, wies mich selber ins Krankenhaus Maria Ebene ein, um komplett vom Alkohol wegzukommen, was auch funktioniert hat.

Sind deine Eltern noch am Leben? 
Nein. Meine Mama ist vor elfeinhalb Jahren gestorben. Sie hatte Parkinson. Es war schrecklich, das mitzuerleben. Sie war unser ein und alles. So eine Mama, wie mein Bruder und ich sie hatten, gibt es nur ein Mal. Sie war unser Kumpel. Sie war streng. Aber man konnte mit ihr über alles reden, egal was. Vom Tod meines Vaters erfuhr ich nur über Umwege, über einen entfernten Bekannten.

Ivo Stojkovic mit seinem kleinen Bruder (Bild: Mathis Fotografie)
Ivo Stojkovic mit seinem kleinen Bruder

Hat die Nachricht von seinem Tod noch einmal etwas in Dir ausgelöst? 
Nein. Ich fragte, ob sie unten in Serbien Geld für die Beerdigungskosten bräuchten. Das überwies ich dann. Ich weiß nicht, wo sein Grab ist.

Du bist Vater von vier Töchtern aus zwei Beziehungen. Die beiden jüngsten sind oder kommen gerade in die Pubertät. Du bist alleinerziehender Vater. Wie läuft es im Hause Stojkovic? 
Ich liebe meine Mädels über alles auf der Welt. Klar, sie fangen an, sich von mir abzunabeln. Aber gewisse Riten sind mir unglaublich wichtig. Zum Beispiel, dass wir am Sonntag gemeinsam frühstücken, dass wir gemeinsame Mahlzeiten einnehmen. Ich koche für sie, bin ja gelernter Koch. Oh, ich erinnere mich gut, als sie noch klein waren: Am Sonntag habe ich sie immer hübsch gemacht, sie adrett angezogen, ihnen die Fingernägel lackiert, die Frisuren gemacht. So sind wir dann gemeinsam in die Stadt gegangen und herumstolziert.

Gibt es noch einen großen unerfüllten Wunsch in deinem Leben? 
Was soll ich mir wünschen? Ich durfte ein großartiges Leben leben mit allen Licht- und Schattenseiten. Es geht mir wahnsinnig gut. Die Kinder sind gesund. Ich habe ein Dach über dem Kopf, einen vollen Kühlschrank. Ich wünsche mir nur, dass ich meine Töchter auf einen guten Weg bringen kann, ihnen zur Seite stehe, wenn sie mich brauchen. Genau so, wie es meine Mutter für mich und meinen Bruder getan hat. Ich wünsche mir, dass sie gute Menschen werden. Ich sage immer: Schaut her, die Wahrheit ist nicht immer angenehm, aber die Lüge ist noch unangenehmer. Also versucht, bei der Wahrheit zu bleiben. Sie tut am Ende weniger weh.

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