„Krone“-Interview

Bariton Max Raabe: Einmal Gentleman, einmal Punk

Wien
13.09.2023 10:43

Mit 60 Jahren ist Max Raabe, einzigartiger Leiter des Palast Orchesters Berlin, am Gipfel seiner Lebenszufriedenheit. Auf seinem neuen Album „Wer hat hier schlechte Laune“ besingt er mit fein ziselierten Text-Preziosen die Schrulligkeiten des Alltags, live ist er bald in Wien, Graz und Linz zu sehen. Im Interview spricht er mit der „Krone“ über sich als Privatperson, warum auch ein Verbrenner nachhaltig sein kann und weshalb ein kleiner Punk in ihm steckt.

„Krone“: Herr Raabe, Ihr aktuelles Album heißt „Wer hat hier schlechte Laune“. Sind Sie denn auch öfters mal schlecht gelaunt?
Max Raabe:
Es kann schon sein, dass ich mal muffig bin, aber da ziehe ich mich lieber gleich zurück.

Wenn man sich das Weltgeschehen so ansieht, gibt es unzählige Gründe, um schlechte Laune zu haben. Wie konnten Sie sich dagegen erwehren?
Gar nicht. Der Titel und die Themen auf dem Album haben aber nichts mit dem Weltgeschehen zu tun und mit dem, was man so in der Zeitung liest. Es geht immer nur um das Private. Es gibt einen Song namens „Es wird wieder gut“. Wir glaubten, bis der rauskommt, ist Corona gar kein Thema mehr. Damals dachten wir aber nicht einmal im Traum daran, dass Putin in die Ukraine einmarschiert. Es geht darin darum, dass die Kinder bei schlechter Laune Pizza kriegen und sich die Dinge ohnehin wieder regeln. Ich verspürte nie den Wunsch, den Leuten die Welt zu erklären. Ganz im Gegenteil - ich versuche während eines Konzerts, die Leute der Realität zu entreißen.

„Irgendwas ist immer“, wie ein Lied auf dem Album schon sagt. Dennoch hat es im Großen und Ganzen einen sehr positiven Touch. Ist es manchmal schwierig, sich diesen Positivismus zu bewahren?
Das Album ist optimistisch, aber es schwingt zwischen den Zeilen oft viel Melancholie mit. Ich kann gar nicht anders. Die Stücke entstanden innerhalb von zwei Jahren und nicht innerhalb eines Monats. Ich habe das große Glück, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die Ahnung von Popmusik haben. Sie finden meine Art zu denken und zu texten schräg und lustig und so entsteht am Ende über einen großen Zeitraum hinweg etwas ganz Neues. Wir wollen der Welt aber keine Nachrichten übermitteln.

Sie schreiben die meiste Zeit über die Liebe. Jetzt gibt es schon so viele Lieder über die Liebe, dass ein guter Love-Song schon die Königsdisziplin des Songwritings ist …
Im Grunde ist alles bereits erzählt und alle wissen über alles Bescheid. Es ist natürlich nicht einfach, etwas zu finden, was die Leute noch einmal aufhorchen lässt. Angefangen hat das bei den alten Griechen und es wird bis in alle Ewigkeit vermutlich so weitergehen, dass immer irgendwer irgendwas über die Liebe schreibt. Sie ist der Kitt, der den ganzen Laden zusammenhält.

Hat sich bei Ihnen der Zugang zum Texten und zur allgemeinen Rezeption von Musik verändert?
Ich bestehe immer noch darauf, dass es sich am Ende reimt. Das ist bei vielen nicht unbedingt so, aber bei mir ist das ein absolutes Muss. Was gar nicht zur Popmusik gehört, ist Ironie, aber ich komme nicht ohne Ironie aus. Ich habe auch gar keine Kontrolle darüber. Sie ploppt einfach auf und macht sich breit.

Ist neben der Einzigartigkeit Ihrer Musik das stete Verweigern jeglicher Trends dafür verantwortlich, dass Sie immer Erfolg hatten?
Das ist kein kalkulierter Plan. Das erste Album war „Küssen kann man nicht alleine“ und hat mir ungemein Spaß gemacht. Ich war mir aber nicht sicher, ob es die Leute hören wollen. Die Menschen waren das klassische Repertoire der Weimarer Republik gewohnt und plötzlich machte der Raabe sowas. Es kann einem keiner vorher garantieren, dass das aufgeht. Dass dem nicht so war, hatte vielleicht auch damit zu tun, dass ich mir treu blieb. Ich versuchte nie cool zu sein, denn ich hätte die Dinge nicht anders formulieren können als so. Die Musik darf nicht zu exaltiert sein, nur der neue Song „Strom“ ist eine Ausnahme. Nach einer halben Stunde Bockigkeit habe ich meiner Assoziation zu Kraftwerk aus meiner frühen Jugend aber freie Bahn gegeben.

„Es wird wieder gut“ klingt auch wie ein Ausritt aus dem klassischen Raabe-Schema.
Absolut. Das Lied lebt schon alleine durch die Harmonie und die Melancholie mit der Gitarre. So habe ich oft mit Annette Humpe gearbeitet. Man schraubt in der gemeinsamen Arbeit irgendeinen Satz raus und dann passt manchmal der erste und manchmal der zweite, aber so fließt etwas zusammen.

Funktionieren das Komponieren und Finden von Liedern bei Ihnen noch immer sehr zwanglos?
Es macht einfach Spaß. Mich zwingt ja niemand und irgendwann schreibt man wieder was mit jemand anderem zusammen. Zuerst wird einmal zwei Stunden gequatscht und Kaffee getrunken und dann legt man los. Jede Zusammenarbeit ist ein Pingpong-Spiel von Ideen und hat mit einem schönen Treffen zu tun.

All das ist immer noch sehr menschlich in einer Zeit, wo langsam aber sicher die Künstliche Intelligenz beginnt, Lieder zu komponieren. Macht Ihnen das Angst?
Darauf bin ich schon sehr gespannt, aber ich finde es auch ziemlich gruselig. Ich weiß nicht, was die KI im Stil von Max Raabe erfinden würde? Vielleicht sogar eine Zeile, die ich aufgreifen würde? Was man heute schon alleine mit Fotografien basteln kann, ist wirklich stark. Es ist der Beginn einer ganz neuen Zeit. Ich habe noch Leute kennengelernt, die davon erzählten, dass sie ihre Wohnung erstmals auf Elektrizität umgerüstet haben oder eines der ersten Radios erstanden. Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit geht. In Linz hingen Fotos von einem Flugpionier. Der fing in den 1920er-Jahren mit einem Doppeldecker mit Propeller an und kriegte noch mit, wie ein Düsenjet von innen aussieht. Wie innerhalb eines Lebens epochale Veränderungen stattfinden, das ist schon beeindruckend.

Der technologische Fortschritt ist schon seit dem Beginn der Industrialisierung extrem rasant. Durch die Digitalisierung fällt die pure Geschwindigkeit der Entwicklung noch stärker ins Gewicht.
Sie stand aber eine gewisse Zeit lang ein bisschen still. Flugzeuge sehen seit ca. 60-70 Jahren ziemlich gleich aus, das ist die andere Seite. Alles drumherum explodiert alles. Davor haben die Generationen Jahrhunderte lang gleich gelebt: gesät, geerntet, gegessen.

Max Raabe und das Palastorchester steht im positiven Sinne für einen gewissen Stillstand bzw. eine Zeitlosigkeit. Wie geht es Ihnen damit, sich auch jüngeren Hörern zu öffnen und bei Dingen wie Social-Media-Plattformen mitspielen zu müssen?
Unser Pianist kümmert sich um die sozialen Medien. Nicht zu sehr, aber wir sind präsent. Ich höre das von Freunden, dass ihm das sehr gut gelingt. Ich bin auch darin involviert, aber nicht zu sehr. Die schönen und interessanten Kommentare lese ich mir natürlich durch. Durch die Coronazeit konnten wir die Menschen über diese Plattformen sofort informieren, dass Konzerte verschoben oder abgesagt werden. Das war traumhaft.

Durch die Musik und das transportierte Image haftet Ihnen immer etwas Nostalgisches und Gestriges an. Ist das denn im Prinzip ein großes Missverständnis?
Ich habe einen Freundeskreis, der bis in die Grundschulzeit zurückgeht und die Leute sagen, dass ich schon immer so war. Ich blieb mir treu und kann gar nicht anders. Ich wollte niemals einem Trend hinterherlaufen. Mein allererster selbstgebastelter Titel, wo Text und Musik von mir stammten, war „Kein Schwein ruft mich an“. Keine Punkband nutzte zu der Zeit eine solch derbe Wortwahl. Meine Eltern waren entsetzt und ich habe ihnen gar nicht verraten, dass ich den Song selbst geschrieben habe, sonst hätte ich abends wahrscheinlich gar nicht nach Hause kommen dürfen. Das war schon ein Bruch. Man schmeißt mit den Worten um sich, aber sie passen gar nicht zu dem Typen, der da im Frack steht.

Ich bin ein Kindskopf, habe großen Spaß daran und mache alles so, wie es mir gefällt. Vieles entstand durch Zufall. Als ich anfing, stand ich einfach da und sang, bis ich wegmusste. Ich habe nie darauf geachtet, was gut ankommen würde. Ich sehe bei den Konzerten auch, dass das Publikum sehr gemischt ist und viele junge Leute uns schreiben. Durch unseren Humor haben wir jüngeres Publikum gefunden. Wir haben uns immer gesagt, wenn wir einen Saal verlassen, dann kommen wir wieder und die Leute müssen auch wiederkommen. So tickten wir immer, das war das Ziel.

Sind Sie nach außen hin ein geordneter Gentleman und innen anarchischer Punk?
(lacht) Ich sehe wahrscheinlich seriöser aus als ich bin. Diese andere Seite kennen meine Kollegen und mein Freundeskreis. Wir haben im Orchester seit mehr als 30 Jahren nahezu dieselbe Besetzung. Das geht natürlich nicht, wenn der Sänger da vorne durchdreht und sich zu wichtig nimmt. So lange existiert ein Ensemble selten und das könnte indirekt die Antwort auf Ihre Frage sein. So schlimm bin ich dann auch nicht.

Wie wichtig sind Ihnen personelle Kontinuität, Kollegenschaft oder gar Freundschaft untereinander?
Total wichtig. Familie und Freunde sind das Wichtigste im Leben, das ist auch keine neue Erkenntnis.

Das Leben wird rundum immer teurer und so wird es in Zukunft auch für Orchesterproduktionen immer schwieriger. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Es läuft bei uns sehr gut und das macht mich fast schon argwöhnisch. Ich bin sehr vorsichtig und versuche nicht, zu optimistisch zu sein, aber es läuft wirklich prima. Als wir Ende März im Berliner Admiralspalast spielten, war der schon Ende Dezember ausverkauft. Jetzt haben wir natürlich ein neues Album und da springt dann auch die Promo-Maschinerie an. Die Titel passen vielleicht auch ganz gut in die Zeit.

Es gibt nicht nur ganz persönliche Songs, sondern auch solche wie „Hummel“, wo die Schönheit der Natur besungen wird. Diese Natur ist durch den Klimawandel bekanntermaßen sehr gefährdet.
Das trifft schon zu. „Hummel“ hat auch etwas Kinderliedhaftes, aber letztlich bin ich ja immer noch wie mit zwölf. (lacht) Ich fahre gerne Fahrrad, habe aber auch ein Auto. Einen Verbrenner, aber den habe ich seit so vielen Jahren, dass man da schon wieder sagen kann, nachhaltig zu sein.

Wird sich die elektronische Herangehensweise, die man „Strom“ und „Es wird wieder gut“ anhört, auch im Live-Setting widerspiegeln?
Ich hoffe, dass wir „Strom“ auf die Bühne kriegen, alle anderen Lieder sind kein Problem. Ich wüsste jetzt wirklich nicht, wie wir das Lied umsetzen. Man kann nicht „uffta, uffta“ auf dem Schlagzeug spielen. Wir werden ca. sechs Lieder von den ganz neuen Sachen spielen, da bleibt „Strom“ vielleicht auf der Strecke.

Ist die Livetauglichkeit von Liedern bei Ihnen immer ein Hintergedanke, oder sind neue Songs anfangs völlig von dieser Vorstellung entkoppelt?
Es gibt bei neuen und alten Titeln keinen Bruch in der Dramaturgie. Das hat mich von Anfang an verblüfft, weil man nicht einfach so damit rechnen kann.

Würden Sie sagen, Ihre Musik passt besonders gut zu Österreich, weil Österreich immer der Ruf der Klassik und einer gewissen Seriosität anhaftet?
Diese Stücke sind jetzt tatsächlich international. Wir spielen auch viel im Ausland. In Italien wurde Musik von uns in der Werbung verwendet und wir fuhren dort zehn Jahre lang jährlich hin. Unter Berlusconi wurden die Theater zusehends runter gespart und es war irgendwann vorbei. Wir haben auch in Frankreich, England und den USA gespielt. Da hat man gut gesehen, dass sich alle Länder und Kontinente immer beobachtet haben, was gerade angesagt ist. Dass die Liebe kommt und die Liebe geht, können Sie in jeder Sprache der Welt sagen. Jeder, der das Stück dann hört, hat das Gefühl, dem folgen zu können.

Das schlägt sich dann nieder in Netflix-Erfolgen wie „Babylon Berlin“.
Dass wir da mitmachen durften, war fein. Ich musste mich davor in jedem dritten Interview früher rechtfertigen, warum wir da nicht dabei sind. (lacht) Die Musik, die bei „Babylon Berlin“ vorkommt, hat ja nichts mit den 1920er-Jahren zu tun, sondern ist sehr modern. Tom Tykwer mochte aber, was ich mit Annette Humpe gemacht habe und wollte uns dabei haben. Mich hat es jedenfalls sehr gefreut.

Ist Ihre Bühnenpersönlichkeit eine ganz andere als die private?
Wenn ich von der Bühne gehe, bin ich privat. Wenn ich einen Frack anziehe, dann bin ich der Vogel auf der Bühne. (lacht) Ich kann das sehr gut trennen, auch wenn es sehr stark ineinandergreift. Ich hab nichts zu verheimlichen, bin aber maulfaul, was das Private angeht. Das war kein intellektueller Entschluss, ich bin da einfach nur ein bisschen bräsig. Daheim bringen doch alle Menschen irgendwann den Müll raus, muss man dafür eine Homestory machen? (lacht)

Tour durch Österreich
Sein neues Album „Wer hat hier schlechte Laune“ präsentiert Max Raabe im September quer durch ganz Österreich. Am 14. und 15. September spielt er in der Wiener Stadthalle F, am 16. und 17. September im Linzer Musiktheater im Volksgarten und am 18. September in der Grazer Stadthalle. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Infos zu den einzelnen Konzerten.

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