Live in der Stadthalle

Sam Smith: Sex, Satan und Selbstbestimmung

Wien
19.05.2023 05:00

Rund 13.000 Fans begeisterte Sam Smith Donnerstag in der Wiener Stadthalle. Die Show rüttelte das bibelfeste Österreich ausgerechnet zu Christi Himmelfahrt ordentlich durch und bewies, wie man erfolgreichen Pop mit einer Message für Toleranz, Liebe, Respekt und Freiheit anno 2023 vermischt. Dadurch kann über so manche Schwäche hinweggesehen werden.

Fünf Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Vor fünf Jahren wurde das Wort Corona in unseren Breitengraden noch ausschließlich mit einem semiguten Bier verbunden, in Russland fand - heute völlig undenkbar - eine Fußball-WM statt und Schwedens Star-DJ Avicii verlor sein Leben an einer Mischung aus zu viel Öffentlichkeit, Überarbeitung und immensem Erfolgsdruck. Vor fünf Jahren war auch der Brite Sam Smith zum ersten und letzten Mal Gast in Österreich. Er präsentierte sein 2017 erschienenes, zweites Erfolgsalbum „The Thrill Of It All“, outete sich kurz zuvor erstmals öffentlich als genderqueer und trat noch relativ züchtig im akkurat sitzenden Anzug vor den Bühnenvorhang. So wie der Rest der Welt hat sich auch Smith seitdem gewaltig verändert - und rund 13.000 Fans werden bei seinem Österreich-Comeback davon live Zeuge.

Gänsehaut für die Konservativen
Kurz vor Corona outete sich Smith als nicht-binär und veröffentlichte im Herbst 2020 das wegen der Pandemie-Wirren etwas unter Wert geschlagene Album „Love Goes“. Mit „Unholy“ gelang zu Beginn dieses Jahres aber der große Wurf zurück ins Rampenlicht. Smith präsentiert sich neuerdings in knallbuntesten Outfits, steht zum fleißig raufgefutterten Lockdown-Bäuchlein und ist mehr oder weniger die menschgewordene „Pride“. Die Live-Konzerte auf der „Gloria“-Tour mäandern zwischen Ausschweifung und Freiheit, Lust und Liebe, Sex und Satan - all das, bei dem es den Konservativen und Ewiggestrigen die Gänsehaut aufzieht. Ein Wunder, dass die Fraktion der ewigen Vergangenheitsbewahrer nicht lautstark vor der Stadthalle demonstrierte. Gut für alle Anwesenden, die ungestört ihre Party des Jahres feiern dürfen.

Bis die aber richtig in Gang kommt, vergeht einige Zeit. Mehr als die Hälfte des Sets füttert Smith mit den - zugegeben großartigen - Balladen aus der Vergangenheit, doch etwas mehr Durchmischung und ein mutigerer Spannungsbogen hätten in der Rückschau einen schlankeren Fuß gemacht. Eine der Tänzerinnen enthüllt zu Beginn eine überdimensionale, vollvergoldete Buddha-Statue, die auch Sam Smith selbst sein könnte, aus deren Becken die Diva steigt und mit den bekannten Top-Hits „Stay With Me“, „I’m Not The Only One“ und „Like I Can“ so ins Set steigt, dass die Fans sofort mühelos den Gesang übernehmen. Die Show ist in die drei Hauptakte „Love“, „Beauty“ und „Sex“ geteilt, inhaltlich vermischt sich alles. So spielt Smith im „Beauty“-Akt das mit einem schönen Gospel-Ende verzierte „Love Goes“, während sich die Tänzerinnen und Tänzer bei „I’m Not Here To Make Friends“ in sexuell eindeutigen Positionierungen üben und den Schlussakt „Sex“ schon verfrüht vorwegnehmen. Eh egal.

Stadthalle als Gay-Bar
Die vierköpfige Band ist meist hinter der pompösen Riesenstatue versteckt, Smith selbst nutzt den Abend für eine Modeshow, in der alles darf und nichts muss. Golden verzierte Pailletten-Kostüme, ein opulentes lilafarbenes Kleid, ein Pyjama-Hemd, Jeans mit aufgestickten rosaroten Herzen, eine pinke Ganzkörperfederboa, die an ein queeres Michelin-Männchen erinnert oder das Teufelskostüm zum famosen Abschluss-Song „Unholy“, bei dem Feature-Gast Kim Petras auf der Videoleinwand zum Einsatz kommt. „Verwandeln wir die Halle in eine Gay-Bar“, sagt Smith vor „Promises“, dem großen Hit mit Calvin Harris, bevor die Show im Schlussdrittel alle Geschütze auffährt. Laser beim Disclosure-Cover „Latch“, Smiths erstem Hit aus 2012, 70s-Disco-Stimmung beim Donna-Summer-Cover „I Feel Love“ und eine zwischen Jesus-Dornenkrone, Höllenfeuer und Sex-Fetisch-Freiheit mäandernde Schlussphase mit „Gloria“, Madonnas „Human Nature“ und eben „Unholy“, deren Intensität wohl allabendlich die Sonntagsgläser in den Regalen des Vatikan durchschüttelt.

Doch bis es zum popkulturellen Sodom und Gomorra kommt, müssen doch ein paar Längen überstanden werden. Auch wenn Songs wie „Perfect“ oder Smiths persönlicher Favorit „How Do You Sleep?“ großen Hitcharakter aufweisen, fadisieren sie anfangs durch ihre fühlbare Gleichförmigkeit. Besonders zäh wird es zu Beginn des „Beauty“-Aktes, wo mit „I’m Kissing You“ und „Lay Me Down“ zwei L’amour-Hatscher am Stück exerziert werden und bei der nach Stimmung dürstenden Zuschauermenge auch nicht richtig zünden wollen. Einen Tag vor seinem 31. Geburtstag zeigt sich Smith dafür in absoluter Top-Laune und man spürt zu jeder Sekunde, dass sich mit dieser Persönlichkeit, diesem Sound und dieser Bühnenshow ein Lebenstraum erfüllt hat. Am Vortag wäre Smith laut eigenem Bekunden durch Wien spaziert, um die Schönheit der Stadt zu bewundern. Muss im Dauerregen und bei Spätnovember-Temperaturen jedenfalls anstrengend gewesen sein.

Star von morgen
Den absoluten Gegensatz zu allem, was Sam Smith so auf die Bühne brachte, gab es im Vorprogramm. Die aufstrebende britische Pop-, R&B- und Soul-Sängerin Cat Burns überzeugte letzten Sommer schon vor Ed Sheeran im Happel-Stadion und lieferte in einem nur knapp halbstündigen Set noch einmal eine Talentprobe ab. Ganz alleine und völlig ohne Band wagte sie sich auf die Bühne, um mit „Go“ und der neuen Single „Live More & Love More“ für ordentlich Stimmung zu sorgen. Mit „You Don’t Love Me Anymore“ gab es sogar eine Nummer, die erst in einer Woche ihre Premiere feiert und das von Sheeran geschriebene, durch Justin Bieber weltbekannt gewordene Lied „Love Yourself“ sang sie A-Cappella mit begeisterten und dankbaren Fans. Eine weitere Talentprobe von einem Star von morgen, der sich schon jetzt mit den besten seines Fachs umgibt.

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