Experten und Publikum

Neutralität bei Debatte in Tirol auf dem Prüfstand

Tirol
23.04.2023 11:00

Ein Ex-Militär in Rente, ein Philosoph sowie ein Völkerrechtsexperte debattierten in der Tiroler Silberstadt Schwaz über ein umstrittenes Thema. Othmar Karas übermittelte eine Videobotschaft. Einigkeit besteht unter den Experten darin, dass eine offene Diskussion über die Neutralität erlaubt sein muss.

Was bedeutet die „immerwährende Neutralität“ für Österreich, was spricht für ein Festhalten daran, was brächte ein Aufgeben der Neutralität? Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird darüber immer wieder lautstark diskutiert.

Am Mittwochabend lud die katholische Studentenverbindung K.Ö.St.V. Frundsberg Schwaz in das SZentrum in der Silberstadt zu einer Debatte samt Impulsvorträgen über diese heiklen Fragen. Auf dem Podium fanden sich Walter Obwexer, Europa- und Völkerrechtsexperte der Uni Innsbruck, der ehemalige Tiroler Militärkommandant Herbert Bauer sowie der Sozial- und Kulturphilosoph Andreas Oberprantacher von der Uni Innsbruck ein. Othmar Karas, Vizepräsident des EU-Parlaments (ÖVP), schickte eine Videobotschaft.

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Wir brauchen weder eine Neutralitäts- noch eine Nato-Debatte, sondern eine Debatte darüber, wie wir die Bürger schützen können.

Othmar Karas

Othmar Karas will gemeinsame Verteidigungspolitik der EU
Zweieinhalb Stunden dauerte die Veranstaltung im „Knappensaal“ unter der Moderation des Burschenschafters Florian Kahn. „Wir brauchen weder eine Neutralitäts- noch eine Nato-Debatte, sondern eine Debatte darüber, wie wir die Bürger schützen können“, so Karas. Er plädiert für eine gemeinsame Verteidigungspolitik der EU. „Jeder Euro, der in den Nationalstaaten in das Militär investiert wird, sollte untereinander abgestimmt werden.“ Die Neutralität sei dabei kein Hindernis, ist der EU-Parlamentarier überzeugt. Man müsse sich auf die neuen Herausforderungen der Zukunft einstellen. „Der beste Weg dafür ist eine europäische Verteidigungspolitik.“

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Wenn man an der Neutralität festhalten will, muss man sich überlegen, wie man sie aufrechterhält.

Herbert Bauer

Ex-Militär für Nato oder „mehr Geld für das Heer“
Der Ex-Militär im Ruhestand, Herbert Bauer, kritisiert, „dass ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer die Diskussion über die Neutralität unterbunden hat“. Seiner Meinung nach ist sie überholt. Einen Nato-Beitritt kann er sich durchaus vorstellen. „Wenn man jedoch an der Neutralität festhalten will, muss man sich überlegen, wie man sie aufrechterhält.“

Wolle man sie beibehalten, dann müsse Österreich auch in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen. „Dann muss deutlich mehr investiert werden.“ Als Beispiel nennt er die Schweiz. „Die investiert doppelt so viel in die Verteidigung und ist auch doppelt so stark aufgestellt.“ Zwar rechnet Bauer nicht damit, dass „morgen der Russe vor den Toren Wiens steht. Einen Angriff mit Drohnen oder Raketen kann man jedoch nie ausschließen“.

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Konsequente Militarisierung ist nicht die Lösung und Militärbündnisse sind zu kurz gedacht.

Andreas Oberprantacher

Philosoph bricht Lanze für ein großes Friedensforum
Philosoph Andreas Oberprantacher hegt Zweifel, „dass sich Österreich im Falle eines Angriffs verteidigen könnte“. Er bricht eine Lanze dafür, zwar an der Neutralität festzuhalten, diese aber neu zu definieren. „Konsequente Militarisierung ist nicht die Lösung und Militärbündnisse sind zu kurz gedacht.“ Ihm schwebt vor, dass ein Forum aufgebaut wird, das zum Ziel hat, Kriege und Krisen in der Welt zu entschärfen.

Österreich, das immer wieder Schauplatz für internationale diplomatische Verhandlungen ist, könne sich hier federführend einbringen. „Mit dem Fokus auf die Solidarität können wir für mehr Demokratisierung und globale Gerechtigkeit sorgen“, ist der Philosoph überzeugt.

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Im Prinzip schützt die Neutralität Österreich vor einem Krieg. Voraussetzung dafür ist, dass sich die anderen Staaten an das Völkerrecht halten.

Walter Obwexer

Völkerrechtsexperte sieht drei mögliche Szenarien
Völkerrechtsexperte Walter Obwexer bezieht indes bewusst keine Position. Stattdessen zeigt er drei Möglichkeiten auf, die es für die Zukunft gibt. Eine bestehe darin, bei der eingeschränkten Neutralität zu bleiben. Eingeschränkt deshalb, weil Österreich durch den EU-Beitritt dazu verpflichtet ist, einem anderen EU-Mitgliedsstaat im Falle eines Angriffs beizustehen. „Zwar nicht in Form von Waffenlieferungen oder einem militärischen Einsatz, sehr wohl aber mit finanzieller, medizinischer und ähnlicher Unterstützung.“

Die zweite Möglichkeit wäre, dass sich Österreich an einer europäischen Armee beteiligt, die erst geschaffen werden müsste. „Dafür bräuchte es eine Änderung der Verfassung.“ Da ohnehin fast alle EU-Staaten bei der Nato Mitglied sind, schätzt der Experte die Wahrscheinlichkeit für die Gründung einer EU-Armee jedoch als sehr gering ein.

Neutralität und Nato

  • 68 Jahre alt wird der Staatsvertrag, der die Neutralität Österreichs regelte, am 26. Oktober. Außenminister Leopold Figl und die Alliierten unterzeichneten ihn.
  • Seit dem Beitritt Finnlands zählt die Nato exakt 31 Mitglieder. Sie ist ein militärisches und politisches Bündnis, das „Konflikte verhindern“ möchte, wie es auf der Webseite heißt. Wird ein Partner angegriffen, müssen ihm alle anderen beistehen.

Dritte Möglichkeit wäre ein Nato-Beitritt. Hierfür bräuchte es nicht nur eine Änderung der Verfassung, sondern Österreich müsste auch zahlreichen Staaten die Aufhebung der Nostrifizierung aus dem Jahr 1955 vorlegen. Diese würde Russland wohl beeinspruchen.

In der anschließenden Diskussion wurden sich die drei Podiumsgäste nicht einig, was die beste Lösung ist. Einig sind sie sich nur darin, dass offen diskutiert werden muss.

„Schützt sie uns überhaupt davor, angegriffen zu werden?“
Nach den Impulsvorträgen der Experten über die Neutralität war das Publikum eingeladen, Fragen zu stellen. Die beiden drängendsten waren, ob Österreich überhaupt eine Chance auf einen Beitritt zur Nato hätte und ob die Neutralität unser Land eigentlich vor einem Krieg schützt.

„Für die Aufnahme in die Nato bräuchte es natürlich Verhandlungen“, so Bauer. Für unmöglich hält er das Szenario nicht. Zwar sei Österreichs Bundesheer nicht über die Maßen gut aufgestellt. „In der Nato leistet aber jedes Mitgliedsland einfach das, was es kann. Es gibt mehrere Beispiele von Staaten, die militärisch ähnlich aufgestellt sind wie wir.“

Die prekärere zweite Frage beantwortet Obwexer. „Im Prinzip schützt die Neutralität Österreich vor einem Krieg. Voraussetzung dafür ist, dass sich die anderen Staaten an das Völkerrecht halten.“ Wie das Beispiel der Ukraine zeige, halten sich aber nicht alle Staaten an dieses Recht. Der Angriffskrieg Russlands sei nämlich klar völkerrechtswidrig.

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