Mit Büchern wie „Hain“ oder „Rombo“ zählt Esther Kinsky zu den gefeiertsten Autorinnen des deutschsprachigen Raums. Zuletzt erhielt sie 2022 den renommierten Kleist-Preis. Am 1. und 2. Juni hält die deutsche Autorin die Frühlingsvorlesung der Akademie Graz. Die „Krone“ hat sie vor der Veranstaltung im Grazer Literaturhaus zum Interview gebeten.
Frau Kinsky, viele ihrer Texte sind der Versuch, der Natur mit den Mitteln der Sprache näherzukommen. Können Sie sich noch erinnern, wann und wie dieses literarische Interesse für die Natur begonnen hat?
Nein, das kann ich nicht. Und ich versuche nie der Natur näher zu kommen, das ist ein großes Missverständnis. Ich beschäftige mich mit dem Verhältnis der Sprache zu dem, was wir sehen. Es geht mir um Gelände, nicht um Natur. Um Spuren in den Flächen, die uns umgeben.
Ob Caspar David Friedrich in der Malerei oder Henry David Thoreau in der Literatur - es gibt dieses romantische Bild vom einsamen Künstler, der in der Natur aufgeht. Welches Verhältnis haben Sie zur Natur?
Friedrich war Romantiker, ja. Es geht aber, glaube ich, um viel mehr als um das „Aufgehen in der Natur“, es geht um die Einsamkeit des schöpferischen Menschen, um Fragen, wie sich eine bestimmte Befindlichkeit des Menschen in der Welt im Medium der Malerei auf neue Weise verarbeiten lässt. Es gibt bei ihm sehr viele Hinweise auf historische Spuren in den Landschaften, die nichts mit der Natur zu tun haben. Auch bei Thoreau geht es nicht um den Künstler in der Natur. „Walden“ ist ein Werk, das sehr vom Nutz- und Nützlichkeitsgedanken bewegt ist, es ist ein frühes Anti-Konsumbuch, ein Versuch, ein Leben aufzuzeigen, in dem man sich von bestimmten Zwängen konsum- und deshalb auch profitorientierter Wirtschaft und Zivilisation freimacht. Thoreau war ein großartiger Beobachter und er hat sich dabei auch bahnbrechend mit Fragen des Menschen in der Gesellschaft auseinandergesetzt. Warum denkt jeder bei Thoreau an Natur und nicht an zivilen Ungehorsam?
In ihrer Frühlingsvorlesung in Graz widmen Sie sich „Störungen“ - welche Störungen sind gemeint?
In den Vorlesungen geht es um „gestörtes Gelände“, das ist ein Begriff aus der Naturkunde, der eine Fläche bezeichnet, die nach menschlicher Intervention brachliegt und langsam wieder zu einer anspruchslosen Flora zurückfindet. Ein Beispiel dafür wäre etwa ein aufgelassener Tagebau. Ich benutze diesen Begriff, um Gelände zu erkunden, die auf andere Weise gestört sind, etwa durch Geschichte, durch traumatisierende Ereignisse.
Die menschlichen Eingriffe in die Natur haben die Erde - unter anderem - an den Rand einer Klima-Krise geführt. Ist der Mensch nicht die größte „Störung“?
Der Mensch ist der größte Zerstörer, ja, aber wir wissen naturgemäß nicht, wie die Welt ohne den Menschen wäre. Natürlich sind wir jetzt auf dem Weg in die Katastrophe, mal sehen, wann der Mehrheit ein Licht aufgeht.
Kann die Literatur diese „Störung“ bloß aufzeigen? Oder kann sie auch den Weg in eine „Entstörung“ weisen?
Kunst sollte nie einen Weg weisen. Das Wesen der Kunst ist ihre Zweckfreiheit. Die Begegnung mit Kunst, egal welcher, kann Menschen die Augen für etwas öffnen, aber dafür muss sich jede/r Betrachtende, Zuhörende, Erfahrende von bestimmten Erwartungen freimachen (etwa der Erwartung einer Funktion, einer Botschaft) und sich einlassen. Das erfordert mehr Mut als man denkt, wie überhaupt das selbstständige Denken Mut erfordert. Denn selbstständiges Denken führt zu Verantwortungsbewusstsein und Verantwortungsbewusstsein unweigerlich zu der Einsicht, dass jede/r für sich Verhaltensweisen ändern muss. Dem gehen die meisten lieber aus dem Weg.
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