Live in der Wr. Arena

Life Of Agony: Nostalgierevue mit echten Schmerzen

Musik
23.01.2023 05:00

Die prägende 90er-Jahre Rock-Band Life Of Agony zelebrierte Sonntagabend in der restlos ausverkauften Arena das 30-Jahre-Jubiläum ihres Kultalbums „River Runs Red“. Beinahe wäre die Legenden-Rückschau an einem achtlosen Becherwurf gescheitert - am Ende waren aber doch alle Anwesenden glückselig.

(Bild: kmm)

Nirvana, Pearl Jam, Alice In Chains und Co. befreiten die harte Musikszene Ende der 80er- bzw. Anfang der 90er-Jahre bekanntermaßen vom Joch der Oberflächlichkeiten. Nach einem ganzen Jahrzehnt voll mit Haarspray, Spandexhosen und maskulinem Gegockel revolutionierten Grunge und Alternative Rock die Szene und brachten Ernsthaftigkeit ins Spiel. Verlierer in Flanellhemden und zerrissenen Jeans waren in, es durften endlich Gefühle gezeigt werden und statt dem proletoid-sexualisierten Hüftschwung trugen Frontmänner mit stolz geschwellter Brust Kleider und erzählten wagemutig von ihrer eigenen Verletzlichkeit. Auf Albumlänge war „River Runs Red“, das im Oktober 1993 erschienene Debüt von Life Of Agony, die Spitze dieses emotionalen Eisbergs.

Zeitloser Klassiker
Bassist Alan Robert schrieb Musik und Text für das 13 Song starke Konzept über einen jungen Mann, der an den Erwartungen und Forderungen der Welt scheitert und seinem Leben ein Ende setzt. Seine Freundin beendet die Beziehung, sein Chef kündigt ihm den Job und seine Lehrerin erklärt ihm, dass eine Versetzung nicht mehr möglich sei. In den drei gesprochenen Interludes macht ihm die Mutter die Hölle heiß, sodass als letzte Konsequenz im Album-Closer „Friday“ nur mehr der selbstgewählte Freitod durch das Aufschneiden der Pulsadern übrigbleibt. In seinem bierernsten und mahnenden Gesamtkontext hat das Werk auch nach drei Dekaden nichts von seiner schweren Wirkung verloren. Musikalisch als auch inhaltlich ist das einst vom charismatischen Frontmann Keith Caputo vorgetragene Werk ein Lehrstück für Populärmusik mit Verve, Tiefgang und akribischer Detailverliebtheit.

Life Of Agony sollten nie mehr an den Erfolg ihres Debüts herankommen, die Band löste sich danach zweimal auf und aus Keith wurde Mina Caputo, aber seit 2014 ist das leicht veränderte Gespann von damals wieder aktiv und kreierte seither zwei mehr als passable Comeback-Alben. Zum 30-Jahre-Jubiläum von „River Runs Red“ zieht man nun mit einer besonders melancholischen Nostalgierevue durch ganz Europa, die große Halle der Wiener Arena war dahingehend schon Wochen vorher restlos ausverkauft. Mit gebündelten Karriererückschauen lässt sich ordentlich Geld verdienen, denn je schlechter die Gegenwart erscheint, umso mehr sehnt sich der geübte Musik-Aficionado zurück in die Wiege seiner ganz persönlichen Vergangenheit, als das Gras noch grüner, das Eigentum leistbar und - no na - die Musik noch besser war.

Spät in die Spur gefunden
Dabei scheiterte das Vorhaben „Kultabend“ beinahe schon früh am unverbesserlichen österreichischen Konzertgestus. Schon beim Opener „This Time“ knallt Mina Caputo ein randvoller Spritzerbecher auf den Schädel, der ein kleines Cut zur Folge hat. Manche Bands würden (verständlicherweise) abbrechen, Mina entscheidend sich lieber zur Drohung, bei wiederholten Verhaltensfehlern mit dem Mikrofon in die schuldigen Gesichter zu schlagen. Bis sich die aufgeheizte Stimmung zwischen der Band und der Handvoll unbelehrbaren Vollbesoffenen beruhigt, vergehen ein paar Songs, spätestens bei „Through And Through“ hat sich die allgemeine Stimmung aber auf ein erträgliches Maß eingependelt und aus einer aus der Not heraus geborenen Zweckbeziehung wird doch noch ein stimmungsvoller Abend.

Das Kultalbum spielen die New Yorker mit viel Freude, Bühnenenergie und bestem Sound von A bis Z durch und drücken dabei so manch rührselige Freudenträne aus den Drüsen der grau melierten Wegbegleiter im Publikum. Mit „Let’s Pretend“, „Lost At 22“ oder „Other Side Of The River“ gibt es noch weitere Klassiker aus der Frühzeit der Band. Die aktuellen Alben hält man auf dieser Tour bewusst zurück. Beeindruckend ist vor allem die Zeitlosigkeit der alten Songs, die auch beim Sound nichts von ihrer Durchschlagskraft verloren haben. „River Runs Red“ gehört zu den ganz großen Würfen, der Rock-Musikgeschichte. Diesen Beweis liefern Mina Caputo und Co. auch im Livekorsett. Exakt 1994 waren Life Of Agony mit ihren alten Kumpels von Prong genau hier in der Arena am Start. Damals waren die Groove-Thrasher aus New York noch verdiente Headliner und LOA mussten sich ihre Meriten erst verdienen.

Kein Platz für Neues
Prong-Mastermind Tommy Victor, Band-Diktator und unverrückbare Konstante in einem sich ständig wechselnden und erneuernden Line-Up, machte mit seinem Projekt aber nie derart melodische und breitenwirksame Zugeständnisse, weshalb seine Band Mitte der 90er mit „Cleansing“ ihren Popularitätspeak feierte. Die stark an Pantera angelehnten Groove-Riffs paaren sich mit abgehacktem Gesang und viel Punk. Den hört man nicht nur ganz frühen Songs wie dem bereits 1986 verfassten „Disbelief“, sondern auch in den bekannten Hits „Snap Your Fings, Snap Your Neck“, „Beg To Differ“ oder „Broken Peace“. Getreu dem Tour-Motto verzichten auch Prong vornehmlich auf neueres Material, dafür darf Thrash-Tausendsassa Jason Bittner exklusiv auf dieser Tour das Schlagzeug malträtieren. Rund 1000 Menschen machen sich an einem winterlichen Sonntagabend glückselig auf den Weg nach Hause. Mission rundum erfüllt.

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