Stadtrat im Interview

Hacker: „Mir hängt die Maske auch beim Hals raus“

Wien
15.01.2023 06:00

Kein Tag vergeht ohne Schreckensnachricht aus den Wiener Spitälern. Personalmangel, Gefährdungsanzeigen, ewig lange Wartezeiten. Wiens Spitäler in der Krise? „Wir haben ein Versorgungsproblem“, sagt Peter Hacker (SPÖ). Der Wiener Gesundheitsstadtrat im „Krone“-Gespräch über die Gefährdung von Menschenleben, einen Deckel für Wahlärzte, das Ende der Corona-Maßnahmen und wieso er Pamela Rendi-Wagner für die Beste hält. Ort des Interviews: die Psychiatrie.

„Krone“: Herr Stadtrat, Sie haben sich eine spezielle Abteilung in der Klinik Favoriten für unser Interview ausgesucht. Wenn ich mich so umsehe, klingt das wie der Beginn eines schlechten Witzes: Treffen sich ein SPÖ-Stadtrat und ein „Krone“-Redakteur in der Psychiatrie. Also, was machen wir hier?
Peter Hacker: Wir haben vergangenes Jahr im Gemeinderat ein riesiges Bauprogramm beschlossen, das größte im deutschsprachigen Raum, das es gibt. Wir setzen nämlich kein neues Spital auf die grüne Wiese, sondern bauen unsere bestehenden Spitäler im laufenden Vollbetrieb um. Hier in der Psychiatrie wurde das Übergangsgebäude fertiggestellt, und deshalb meine Einladung hierher.

Das war es aber mit den guten Nachrichten. Laut einer Umfrage der Ärztekammer denken zwei Drittel der Ärzte an Kündigung. Gründe: hohe Belastung, Patientenversorgung wie am Fließband und eine Arbeitsweise, die ihrem medizinischen Versorgungs- und Behandlungsanspruch widerspricht. Wenn all die Ärzte gehen, sind die Spitäler leer. Was tun Sie dagegen?
Ich fand die Interpretation etwas merkwürdig. Also laut Ärztekammer wurden 10.000 Ärzte befragt, von denen gehören aber nur 3500 in den Stand des Wiener Gesundheitsverbunds. Punkt zwei: Es ist überhaupt nicht überraschend, dass arbeitende Menschen irgendwann einmal darüber nachdenken, ihren Job zu wechseln. Ich kenne überhaupt niemanden, der das nicht gelegentlich tut.

Und wohin wollen die Ärzte wechseln? 48 Prozent möchten Wahlärzte werden. Und das in einer Situation, in der in ganzen Grätzeln mittlerweile kein einziger Kassen-Hausarzt mehr Patienten aufnimmt und am Freitagabend in der ganzen Stadt drei Kinderärzte ihre Ordinationen geöffnet haben. Wie würde ein Peter-Hacker-Modell aussehen, das die Zwei-Klassen-Medizin beendet?
Wir sind uns alle völlig einig, dass uns diese Entwicklung nicht gefällt. Es ist ein Widerspruch zur zentralen Zielsetzung eines solidarischen Gesundheitssystems. Das heißt aber nicht, dass es gar keine Wahlärzte geben soll. Wir werden Änderungen brauchen. Problembeispiel Nummer eins: Ein niedergelassener Arzt, der einen Kassenvertrag hat, hat einen Gebietsschutz einzuhalten. Du kannst keinen Kassenvertrag bekommen, wenn im Nebenhaus ein anderer Arzt schon einen Kassenvertrag im gleichen Fach hat. Bei Wahlärzten gibt es diese Spielregel nicht. Und da muss man die Frage stellen, wieso stellen die Ärztekammer und die Österreichische Gesundheitskasse diese Regel nicht auf. Man muss auch diese Frage stellen: Wieso kann jeder, der sein Studium beendet hat, sofort eine Wahlarztordination eröffnen?

Braucht es also ein Wahlarztkontingent, einen Deckel?
In irgendeiner Form. Es braucht eine Diskussion und Überlegungen zur Regulierung.

Eine regelmäßige Ohrfeige für das Wiener Gesundheitswesen sind die Dutzenden Gefährdungsanzeigen. In der Notaufnahme der Klinik Floridsdorf fehlte Personal, die Abteilung sei am Zerfallen, OP-Assistenten übernahmen Pflegetätigkeiten. Was man aus der Notaufnahme in Ottakring hört, ist nicht besser: Es gab Rettungsstaus durch anfahrende Notarztwagen, Patienten lagen in mehreren Bettreihen nebeneinander, ein Herzinfarkt-Patient wurde erst mit zwei Stunden Verspätung behandelt. In Gefährdungsanzeigen ist von Arbeitsüberlastung die Rede, Gefährdung von Patienten, es gab eine Anzeige über die komplette Dienststelle Ottakring. Dazu kommen Patienten, die zu früh entlassen werden oder gar keine Behandlungstermine in den Krankenhäusern bekommen, und überlaufene Ambulanzen, zudem warnte die Ärztekammer gar vor Triagen. Das alles klingt doch grauenhaft. Hier spielt sich in Wien ein Drama in der medizinischen Versorgung ab, oder sehen Sie das anders?
Es klingt zumindest danach, ja. Es ist eine riesige Herausforderung, und wir haben einige Fächer, wo wir auch wirklich ein Problem haben, neue Kräfte zu finden. Und eines davon ist der gesamte Bereich der Notfallmedizin. Und da gibt es verschiedene Problemstellungen dafür, mit denen wir uns gerade beschäftigen. Eine davon ist, dass Notfallmedizin sowie Kindermedizin Fächer sind, in denen es keine Sonderklasse gibt. Und solche Nicht-Sonderklassen sind besonders unattraktiv.

Eine Versorgungskrise sehen Sie nicht?
Wir haben ein Versorgungsproblem. Wir kennen das auch. Wir haben die AUVA-Spitäler Meidling und das Böhler in der Brigittenau mit in der Notfallversorgungslandschaft, und wir kämpfen alle miteinander mit der Frage, wie können wir da einen Betrieb aufrecht erhalten. Aber wir schaffen es auch.

Sind durch dieses Versorgungsproblem Menschenleben in Gefahr?
Nein. Und zwar deswegen, weil unsere Mitarbeiter einen wahnsinnig engagierten Job machen.

Ich bin kein Arzt, aber wenn Patienten in Zweierreihen liegen, wird die Reanimation nicht sehr einfach sein. Und ich glaube, dass sich das Leben von jemandem, der zwei Stunden mit einem Herzinfarkt unbehandelt bleibt, nicht immens verlängert.
Eh, gar keine Frage. Aber das ist definitiv nicht der Dauerzustand.

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Er bevorzugt es, Pressekonferenzen auszurichten und Gerüchte in die Welt zu setzen, die falsch sind.

Hacker über Äztekammer-Vize Dr. Stefan Ferenci

Die Ärztekammer hat folgenden Vorwurf: „Hacker hat die Pensionierungswelle verschlafen. Von den Jungärzten, die ausgebildet werden, bleibt de facto niemand im Spital als Facharzt. Statt aber dem Personalmangel mit Beschäftigungsinitiativen entgegenzuwirken, schränkt der Stadtrat Leistungen ein, siehe Bettensperren.“ Starker Tobak. Alles verschlafen?
Quatsch. Da spricht jemand, der die Fakten nicht kennt(Anm. der Redaktion: Gemeint ist Ärztekammer-Vize Dr.Stefan Ferenci).Er ist ein Wahlarzt und macht die ganze Zeit Werbung für Wahlärzte. Erklärt mir dann, ich soll mit dem Geld, das für die Finanzierung der Spitäler ist, Wahlärzte zahlen.Er bevorzugt es, Pressekonferenzen auszurichten und Gerüchte in die Welt zu setzen, die falsch sind.

Der nächste Aufreger ist die Tatsache, dass Gastpatienten aus anderen Bundesländern in Wien nur noch in Notfällen behandelt werden. Wie viele wurden schon weggeschickt?
Wir haben auch rund um Wien Spitäler, die gut sind und viele solcher Standard-Eingriffe selbst durchführen können. Ich bitte um Verständnis, dass ich dem Wiener Steuerzahler nicht zumuten kann, bei einem Gastpatientenanteil in der Zwischenzeit von weit über 20 Prozent die Abgangsdeckung automatisch zu schlucken. Das sind in Wirklichkeit Äquivalente in etwa der Klinik Ottakring oder der Klinik Landstraße. Das heißt auf gut Deutsch: Wir finanzieren eine der beiden Kliniken ausschließlich für Gastpatienten.

Es sind also schon welche weggeschickt worden?
Ja, sicher.

Die FPÖ, ich weiß, ein Reizwort für Sie, hat folgendes Beispiel gebracht: Ein Flüchtling aus Syrien wird in Wien behandelt, ein gebürtiger Wiener, der in seiner Pension nach Niederösterreich gezogen ist, nicht.
Das ist ein typischer FPÖ-Vergleich. Typische Populismuskeule einer sehr rechtslastigen Partei. Flüchtlinge sind genauso sozialversichert wie alle anderen. Und ein offenes solidarisches Gesundheitssystem stellt nicht die Frage, wer hat die meisten Beiträge bezahlt. Und zur FPÖ: Man muss es auch einmal hinkriegen, auf Twitter, wo nach der Übernahme von Elon Musk alle Sperren aufgehoben wurden, wegen Verhetzung lebenslang gesperrt zu werden, wie Dominik Nepp. Wir reden gerade über dessen Politik.

Kommen wir zu Corona. Ich bin heute Morgen mit der U-Bahn gefahren. Etwas mehr als ein Drittel hat gar keine Maske getragen, ein beachtlicher Teil so falsch, dass Riechorgane oben raushingen. Können Sie mir die pandemische Sinnhaftigkeit der so gelebten Maskenpflicht in den Öffis anhand wissenschaftlicher Expertisen erklären?
Wir sind gerade in einer Übergangszeit, ob sich die Pandemie Richtung Endemie entwickelt oder nicht. Wir sehen gerade eine neue Variante, die mit einer extrem hohen Infektiosität in Amerika durchgeschlagen hat. Wir sehen sie auch schon in Österreich. Wir sehen aber noch nicht, dass die auch tatsächlich problematisch ist im Krankmachen. Und daher werden wir die Entwicklung der nächsten Wochen noch abwarten müssen.

Immer mehr Experten wie die Epidemiologen Eva Schernhammer oder Gerald Gartlehner halten die Maskenpflicht in den Öffis für wenig sinnvoll.
Wir tragen seit vielen Monaten die Maske in den öffentlichen Verkehrsmitteln, und das tut überhaupt niemandem weh, wenn das noch zwei oder drei Monate so bleibt.Wann hat denn übrigens die Unmoral der Bevölkerung begonnen? Als ein erfolgreicher Bundeskanzler beschlossen hat, er besucht eine Gemeinde in Vorarlberg. Da haben dann alle gesagt: ,Na Moment einmal, wir sitzen da im Lockdown, und der lässt sich mit Fähnchen begrüßen?´ Das hat die Pandemie massiv unterlaufen. Ich war im Sommer 2021 mit meinem Buben in Velden und war fassungslos, wie es sich dort abgespielt hat.

Sie waren ja auch dort.
Wir waren die Einzigen, die dort mit der Maske herumgelaufen sind. Natürlich gibt es viele, die sagen, das ist ein Blödsinn, das brauchen wir nicht mehr. Ja, das verstehe ich auch. Mir hängt die Maske nämlich auch beim Hals raus. Aber wenn wir die Masken abschaffen, können wir nicht 14 Tage später sagen: ,Ups, wir haben uns geirrt. Da ist eine neue Variante. Hoppala, wir müssen wieder Maske tragen.´ Da nehmen uns die Leute nicht mehr ernst.

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Wenn nichts Unerwartetes passiert, kann man das 2023 schon anstreben. Hoffentlich spielt die Viruserkrankung da mit.

Hacker über das Aus aller Maßnahmen

Gesundheitsminister Johannes Rauch beendet für Österreich nun sämtliche Corona-Maßnahmen.
Wenn nichts Unerwartetes passiert, kann man das schon anstreben. Hoffentlich spielt die Viruserkrankung da mit.

Wenden wir uns der Bundespartei zu. Wer wird bei der nächsten Nationalratswahl für die SPÖ ins Rennen gehen?
Der oder die Beste.

Wer soll das sein?
Zum Bespiel die Parteivorsitzende.

Pamela Rendi-Wagner ist die Beste, die die Sozialdemokratie zu bieten hat?
Definitiv. 

Warum?
Ich habe sie gewählt.

Warum?
Weil ich sie wirklich für eine sehr gute Kandidatin halte.

Warum?
Es wird schön langsam Zeit für eine Bundeskanzlerin. Lassen Sie mir doch die Leidenschaftsfrage einfach beantworten: Ich habe sie gewählt, und ich stehe dazu.

Nennen Sie mir den größten Erfolg von Pamela Rendi-Wagner.
Der größte Erfolg ist, dass sie eine erfolgreiche Oppositionspolitik macht. Das sieht man an den Umfragewerten.

Aber die sind doch nicht berauschend. Die FPÖ überholt die SPÖ in Umfragen, Herbert Kickl könnte aktuell den Kanzleranspruch stellen. Das nennen Sie erfolgreich?
Wir haben natürlich schon einige politische Themen, die auf der Agenda stehen, die schon FPÖ-Themen sind. Und somit müsste man die Frage stellen, wieso fährt die ÖVP gerade Themen, von denen jeder weiß, dass das die Themen sind, die die FPÖ bevorzugt. Wieso macht unser Innenminister etwa so eine Posse über indische Flüchtlinge, über die die ganze Welt über uns lacht, und am meisten lachen sie in Neu-Delhi, weil wir wahrscheinlich das einzige Land auf der Welt sind, das ein Abschiebeabkommen ernsthaft mit Indien abschließt. Die sind ja alle durch Österreich durchgezogen, die fahren in der Zwischenzeit in einem Autobus in Paris. Wir sind sicher das einzige Land, das Inder zu Asylanträgen gebracht hat. Und das alles hat auch nichts mit Hans Peter Doskozil zu tun, das wäre ja Ihre nächste Frage gewesen.

Letzte Frage an den Sportstadtrat: Wie viele Liegestütze schaffen Sie?
(lacht)
Ich weiß es nicht, ich habe schon lang keine gemacht.

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