Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Mehr als 180 Routen quer durch die gesamte Stadt, die Straßenverkehrsordnung, das Kraftfahrgesetz und dann auch noch das Arbeits- und Sozialrecht. Um in Wien an einen Taxischein zu kommen, muss man sich als Fahrer ordentlich reinknien. Für Wael alles andere als eine einfache Angelegenheit. „Manche haben uns gesagt, in 25 bis 30 Stunden könnte man all das erlernen, wenn man sich richtig konzentriert. Das ist aber absolut unmöglich. Ich habe weit mehr als 100 Stunden gelernt.“ Sehenswürdigkeiten, politische Gebäude und Hotels müssen die Fahrer für Touristen und Geschäftsreisende quasi aus dem Effeff benennen und finden können. Dass heutzutage ohnehin mit Navigationsgeräten gefahren wird und das klassische „Auswendiglernen“ umsonst sei, dem stimmt Wael aber nicht zu. „Sich nur auf die Technik zu verlassen, das kann gefährlich sein.“
Für den 48-Jährigen war der Weg zum Ausweis ein harter, aber keinesfalls vergleichbar mit seinem Schicksal in der Vergangenheit. Als syrischer Kriegsflüchtling war er jahrelang mit dem zerstörerischen Horror der Heimat konfrontiert, dagegen nehmen sich ein paar Lernstunden freilich wie ein sommerlicher Landurlaub aus. Vor exakt zehn Jahren wurde im Zuge zahlreicher Auseinandersetzungen sein Haus abgebrannt. Menschen kamen zum Glück nicht zu schaden, doch das gesamte Hab und Gut seiner Familie war verloren. „Es war am Ende auch egal, wie es passierte. Fakt ist, dass es passierte. Und das lag ganz alleine daran, dass mafiöse Strukturen dieses Land seit mehr als 40 Jahren zerstören.“ Nach dem ersten Schock beschließt Wael vor den Gräuel des Krieges zu flüchten und landet in der Türkei.
Dort verdingt er sich mit Gelegenheitsjobs. Eine kräftige Umstellung für ihn, der vor gut 25 Jahren in Syrien ein Chemie-Studium abschloss und sich mit einem Geschäft für Farben und Lacke selbstständig machte. „Ich habe anfangs 1300 Türkische Lira verdient. Die Miete der Wohnung, die ich dort bekam, hat mich aber monatlich 1200 Türkische Lira gekostet.“ Wael flüchtete zudem nicht allein. Mit ihm suchten seine Frau und drei Kinder Schutz vor den Bombeneinschlägen und Gewehrsalven. „Die Kinder mussten in die Schule gehen. Sie brauchten zu essen und Kleidung. Ich wusste, so kann es nicht weitergehen.“ Wael landet mit seiner Familie über Umwege in Österreich und findet hier erstmals seit vielen Jahren einen Platz, an dem Ruhe und Sicherheit das ständig wiederkehrende Gefühl von Angst ablösen. Vom ersten Tag an versucht er sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um seinem Leben einen Sinn zu verleihen und der neuen Heimat etwas zurückzugeben.
Mit drei guten Freunden versucht er sich temporär mit einer arabischen Kaffeerösterei. Selbstständig, die mühsamen Behördenwege durchtauchend und voller Elan. Als das Geschäft erstmals Gewinne abwirft, erweist sich einer der drei Freunde als schlechte Partie. Der Österreicher nutzt die Unwissenheit und Naivität seiner Kollegen und krallt sich das Unternehmen - ganz legal. „Wir hatten alle keine Ahnung, wie die Dinge vertraglich laufen und haben ihm vertraut. Er hat sich aber von vornherein alles zusichern lassen und uns schlussendlich ausgebootet.“ Als ausgebildeter Chemiker bewirbt sich Wael beim pharmazeutischen Unternehmen Takeda, scheitert dort aber an der strengen Altershürde. „Sie suchten in der Fabrik nach jungen und frischen Arbeitskräften. Ich habe zwar viel Wissen und Erfahrung, aber mit über 40 Jahren sahen sie für mich keine Zukunft.“
Nun sitzt Wael seit einigen Jahren im Taxi, hat seinen Traum nach einem Job im chemischen oder medizinischen Bereich aber nicht aufgegeben. Völlig unmöglich scheint derzeit eine Rückkehr in die alte Heimat. „Meine Mutter ist 87, sie lebt noch in meiner Heimatstadt Homs und wir kommunizieren regelmäßig via WhatsApp. Das hat ihr mein Bruder beigebracht, der auch zu Hause geblieben ist.“ Das Risiko eines Heimatbesuchs wäre schon alleine für Waels eigene Familie zu groß. In Syrien hatte Wael eine Wohnung, einen Bauernhof und ein Reihenhaus in der Nähe des Sees von Homs. Übrig blieb davon wenig. „Eine Rückkehr würde ich nur wagen, wenn Assad irgendwann einmal weg ist.“
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